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Fertigstellung bis 2023

Mit dem Bau eines bis zu 50 Kilometer langen Kanals will die Türkei die vom Schiffsverkehr verstopfte Bosporus-Meerenge vor der Metropole Istanbul entlasten. „Wir krempeln die Ärmel auf für den Istanbul-Kanal, eines der größten Projekte des Jahrhunderts“, kündigte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan Ende April in Istanbul an.

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Die Wasserstraße soll den Angaben Erdogans zufolge 150 Meter breit und 25 Meter tief sein. Der Kanal, über den schon Monate davor spekuliert wurde, soll auf der europäischen Seite der Zwölf-Millionen-Metropole Istanbul verlaufen. Er soll das Schwarze Meer und das Marmarameer verbinden und täglich bis zu 160 Handelsschiffen und Tankern die Möglichkeit der Passage bieten.

Als Eröffnungsjahr peilt Erdogan das Jahr 2023 an, in dem die türkische Republik ihren 100. Geburtstag feiert. Das Marmarameer ist ein Binnenmeer des Mittelmeers, das über den Bosporus und die Dardanellen die Ägäis mit dem Schwarzen Meer verbindet.

Satellitenbild vom Bosporus

Google Earth/ORF.at (Montage)

Der Bosporus teilt Istanbul und verbindet das Schwarze Meer mit dem Marmarameer

„Eines der größten Projekte aller Zeiten“

Erdogan bezeichnete den geplanten Bau als „eines der größten Projekte aller Zeiten“, das den Panama- und den Suez-Kanal überstrahlen werde. Neben der Entlastung des Schiffsverkehrs in der Bosporus-Meerenge stehe vor allem der Umweltschutz im Vordergrund, hob er hervor. Derzeit wird der Bosporus, der Istanbul in einen europäischen und einen asiatischen Teil trennt, jährlich von Zehntausenden Schiffen durchquert. 140 Millionen Tonnen Öl werden jedes Jahr auf diesem Weg transportiert.

Tankerunfälle als Umweltgefahr

Einer der größten Schiffsunfälle auf dem Bosporus passierte im Jahr 1979, als ein rumänisches Schiff mit fast 95.000 Tonnen Öl mit einem griechischen kollidierte, was zum Tod von 43 Crew-Mitgliedern und einem 27 Tage andauernden Feuer führte. Luft und Wasser wurden dabei stark verschmutzt.

Angesichts des hohen Verkehrsaufkommens wächst die Sorge vor einem schweren Unfall, der für die Umwelt in der Türkei katastrophale Folgen haben könnte. Bei Zusammenstößen von Öltankern waren in den Jahren 1979 und 1994 Dutzende Menschen gestorben.

Auch weiterer Flughafen geplant

Im Rahmen des Projekts soll Istanbul zudem einen einen dritten Flughafen bekommen - es soll der größte der Türkei werden. Geplant sind nach Angaben Erdogans zudem ein neuer Hafen sowie Wohn- und Bürogebäude in der Nähe des Kanals. Über die geplanten Kosten und die Finanzierung machte er keine Angaben.

Der Bau des Kanals ist eines von mehreren Megaprojekten in der wirtschaftlich aufstrebenden Region Istanbul. Im vergangenen Jahr kündigte die Türkei den Bau einer dritten Brücke über den Bosporus an, deren Kosten sich auf 4,5 Mrd. Euro belaufen sollen. Ein türkisch-japanisches Konsortium arbeitet derzeit an Plänen für den Bau eines 1,6 Kilometer langen Eisenbahntunnels unter der Meerenge. Mitte April kündigte Erdogans Regierung den Bau zweier Städte an den Ufern des Bosporus an. Städtebau-Experten kritisieren, dass Nachhaltigkeit und Umweltschutz bei den Projekten zu kurz kommen.

Zweifel an Sinnhaftigkeit

Schon im Vorfeld der offiziellen Bekanntgabe hatten Experten Kritik an den Plänen geäußert: Murat Cemal Yalcintan, Städteplaner an der Mimar Sinan Fine Arts University, sagte gegenüber „Zaman“, dass das Projekt nicht der beste Weg sei, um die Stadt vor Überflutungen zu schützen. Das sei nur ein Vorwand, da man mit dem Projekt „eigentlich danach strebt, den Wert der Region zu erhöhen, die im Vergleich zu anderen Teilen Istanbuls relativ wenig entwickelt ist“. Das Projekt klammere menschliche Faktoren völlig aus.

Tayfun Kahraman von der Turkish Union of Engineers’ and Architects’ Chambers (TMMOB) ist der Ansicht, dass Erdogans Pläne nicht mit dem derzeitigen Städteplan Istanbuls vereinbar sind. Sie seien weit davon entfernt, realistisch zu sein. Seine zwei Hauptkritikpunkte sind, dass die notwendigen Gelder viel sinnvoller investiert werden könnten, und die Abholzung aufgrund der nötigen Umsiedelungen. In der Regierung Erdogan sieht man das offenbar anders: Das Projekt stärke die Umwelt und fördere die Artenvielfalt, sagte ein Mitglied der parlamentarischen Umweltkommission laut „Zaman“.

Vereinbar mit Seeregeln?

Unklar ist außerdem, so „Zaman“, ob die Pläne vereinbar sind mit dem Vertrag von Montreux, der die Nutzung des Bosporus regelt. „Die Türkei kann die Meerenge niemals für den internationalen Schiffsverkehr schließen“, sagte Derya Aydin Okur, Rechtsprofessorin an der Marmara-Universität, gegenüber der Zeitung.

Die Türkei könnte aber sehr wohl Maßnahmen ergreifen, die den Verkehr auf den möglicherweise geplanten anderen Kanal umleiten würden. „Die Türkei kann die Schiffe nicht dazu zwingen, einen anderen Kanal zu verwenden.“ Man könnte jedoch Anreize dafür schaffen, indem zum Beispiel das kostenlose Passieren des Bosporus-Kanals eine zweitägige Wartezeit voraussetzt, wohingegen das kostenpflichtige Passieren der neuen Strecke sofort möglich sein soll, sagte Rechtsexperte Yücel Acer.

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