Potenziale übertrieben?
Nachdem sich mehrere Länder infolge der AKW-Katastrophe in Japan von der Atomkraft verabschieden, dürfte der Bedarf an Erdgas in den kommenden Jahren deutlich steigen. Gas gilt gegenüber Steinkohle und Erdöl noch als die am ehesten akzeptable Übergangslösung auf dem Weg in eine saubere Energiezukunft.
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Das größte Potenzial wird dabei Schiefergas (Shale Gas) zugeschrieben, doch an dem Hype wird zunehmend Kritik laut. Die unkonventionellen Vorkommen - Erdgas gespeichert in Schichten von Tongestein - spielen in der Förderung heute noch eine untergeordnete, aber doch immer wichtigere Rolle gegenüber konventionellen Quellen. Geld verdienen Explorationsunternehmen und Investoren vor allem mit der großen Hoffnung auf künftige Gewinne.
An diesem Punkt hakte unlängst die „New York Times“ mit einem aufwendig recherchierten Artikel ein, der kräftig an dem Hype, vor allem in den USA, rüttelt. Grundlage dafür waren Tausende Seiten an Berichten und E-Mail-Korrespondenz von Rohstoffanalysten, Unternehmensverantwortlichen und Geologen zum Thema Schiefergas, welche die US-Zeitung laut eigenen Angaben über ein halbes Jahr gesichtet und ausgewertet hatte.
Förderung: Theorie und Praxis
Dabei zeige sich bei US-Unternehmen eine auffällige Diskrepanz zwischen internen Einschätzungen und dem, was an die Öffentlichkeit gelangt: Das Potenzial des Rohstoffs werde überschätzt, schöngeredet und zum Teil maßlos übertrieben. Zwar gibt es kaum Zweifel daran, dass die geschätzten Schiefergasvorkommen weltweit Hunderte Milliarden Kubikmeter betragen und damit für 20 bis 65 Jahre reichen dürften - zumindest theoretisch.
Das Problem ist allerdings, dass mangels umfangreicher geologischer Daten noch nicht klar ist, wie viel davon wirtschaftlich rentabel gefördert werden kann. Manchmal koste die Erschließung beim derzeitigen Preisniveau mehr, als das geförderte Gas wert sei, so die „New York Times“.
„Erinnert mich an Dot.coms“
Investorenkapital ströme nur so in die Branche, zitierte die US-Zeitung aus einer E-Mail eines Analysten bei PNC Wealth Management, obwohl klar sei, „dass Schiefergas an sich unprofitabel“ sei. „Erinnert mich an Dot.coms.“ Mit diesem Schlusssatz zieht der Analyst einen Vergleich zu der im Jahr 2000 geplatzten Blase, deren Ursache in einer starken Überbewertung von Unternehmen der „New Economy“ lag. Implizit klingt in dieser Kritik auch durch, dass diese US-Unternehmen, die Gaslagerstätten erkunden bzw. erschließen, nicht ganz das wert sind, was sie ihren Investoren versprechen - wie eben seinerseits die „Dot.coms“.
Branche ist optimistisch
Mit Wirtschaftlichkeit habe das Schiefergasfieber in den USA nichts mehr zu tun, heißt es in einer weiteren E-Mail eines Analysten des Geo-Researchunternehmens IHS Drilling Data, eher mit „gigantischen Ponzi-Spielen“ (einem Schneeballsystem, Anm.). Andere sind laut „New York Times“ optimistisch. Die Förderung werde sich mit steigenden Energiepreisen und technologischen Weiterentwicklung immer besser rechnen, so Steve C. Dixon, Vizepräsident von Chesapeake Energy. Die Fördermengen könnten nur steigen. Das Unternehmen reagierte sogar auf die Kritik und warf der „New York Times“ einen „Krieg“ gegen US-Erdgasunternehmen vor.
Was, wenn die Blase platzt?
Geht Dixons Rechnung nicht auf, dann würden die Folgen „weithin zu spüren sein“, so die US-Zeitung. Schiefergas sei bereits eine fixe Größe in der Planung von Politik, Investoren und US-Bürgern, die Land für Explorationsprojekte verleast haben. Können die Erwartungen in den Rohstoff nicht erfüllt werden, verlieren Kapitalgeber Geld, und Privathaushalte müssen wohl für die Energieversorgung tiefer in die Tasche greifen müssen.
Deborah Rogers von der Federal Reserve Bank of Dallas und frühere Börsenhändlerin übte laut „New York Times“ Kritik an veröffentlichten Daten der Explorationsgesellschaften. „Die Rechnung geht nicht auf.“ Ihre Recherchen hätten ergeben, dass Quellen weit schneller unrentabel würden als angenommen.
Nicht die ganze Wahrheit?
Selbst Experten, die selbst in der Exploration oder Förderung tätig sind, zeigen sich laut den von der Zeitung in Auszügen veröffentlichten E-Mails skeptisch. „Unsere Ingenieure projektieren diese Quelle hier für 20 bis 30 Jahre“, schrieb ein Geologe bei Chesapeake, „aber meiner Meinung nach muss das erst einmal belegt werden.“ Er sei „ziemlich skeptisch“, wenn er sich den prozentuellen Rückgang der Fördermenge im ersten Produktionsjahr ansehe. Zur selben Zeit hieß es vom Präsidenten des Unternehmens in einem Investorenbrief, es sei „Zeit, voll auf Erdgas zu setzen“.
Aus den der „New York Times“ vorliegenden Dokumenten ergeben sich laut der Zeitung keine Hinweise auf absichtliche Irreführung oder sogar Betrug, aber doch in die Richtung, dass mitunter Potenziale vorgegaukelt würden, die es de facto nicht gibt, wie es in einer weiteren E-Mail heißt: „Ich frage mich, wann sie beginnen werden, den Leuten zu sagen, dass diese Quellen nicht das sind, was sie sein sollten.“
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