Unterstützer der estnischen Russen
Hat der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik schon den ersten Nachahmer? Am Donnerstag schoss der Rechtsanwalt Karen Drambjan im estnischen Verteidigungsministerium um sich und nahm zwei Geiseln, die aber unverletzt befreit werden konnten. Drambjan wurde von Sondereinheiten der estnischen Polizei getötet. Nun wird ein politisches Motiv vermutet.
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„Es ist frustrierend. Offenbar ließ er sich von den Ereignissen in Norwegen inspirieren“, sagte der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip. Denn Drambjan hatte ebenfalls bei seinem Angriff große Mengen an Sprengmitteln und Munition in das Verteidigungsministerium gebracht. Auch eine Rauchbombe wurde gezündet. Die Polizei habe den Schützen in der Vergangenheit „auf dem Radar“ gehabt. Er sei jedoch nicht vorbestraft, so Ansip.
Auch die Tageszeitung „Eesti Päevaleht“ (Freitag-Ausgabe) geht unter Berufung auf einen Psychologen von einem politischen Hintergrund aus. Der erschossene Täter soll im Vorfeld der EU-Wahlen 2009 eine „Proklamation“ veröffentlicht haben. Der zitierte Psychologe zog daraus Parallelen zum „Manifest“ des norwegischen Attentäters Breivik.

Reuters
Die Polizei suchte nach Bomben beim estnischen Verteidigungsministerium
„Moralisch bankrottes“ Estland
In seiner Wahlkampfschrift hatte Drambjan die estnische Regierung beschuldigt, einen „Bürgerkrieg“ gegen die russische Minderheit im Land zu führen. Estland charakterisierte er als moralisch bankrottes, am Rande des Neo-Faschismus stehendes Land, das die russische Minderheit diskriminiere. Den estnischen Russen warf er wiederum Unterwürfigkeit vor und forderte sie zum Widerstand auf. Nach Ansicht des Psychologen habe Drambjan seine Tat über einen längeren Zeitraum geplant, denn er weise ähnlich wie Breivik psychopathische Neigungen auf.
Russische Minderheit unterstützt
Geboren wurde der Rechtsanwalt Drambjan in Armenien, nach dem Zerfall der Sowjetunion emigrierte er nach Estland und erhielt dort auch Anfang der 90er Jahre die Staatsbürgerschaft. In der Öffentlichkeit bekannter wurde er vor vier Jahren - als Unterstützer der russischsprachigen Aktivistengruppe „Nachtwache“ (Nochowi Dozor).
Auf dem Gebiet des seit 1991 unabhängigen Estlands leben seit 300 Jahren auch Russen. Derzeit umfasst diese Minderheit rund 25 Prozent der 1,35 Millionen Einwohner. Das Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen gilt als angespannt.
Spannungen in Bevölkerung
Als es 2007 zu blutigen Unruhen mit zahlreichen Verletzten in Tallinn im April 2007 wegen der Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals kam, beteiligte sich der 57-Jährige in mehreren russischsprachigen Parteien außerhalb des Parlaments. 2009 kandidierte er als Vertreter der Vereinigten Linkspartei bei den Europa- und bei den Regionalwahlen selbst.
Nach russischer Ansicht steht der Soldat aus Bronze für den Sieg über den Faschismus. Für Esten ist das Denkmal das Symbol jahrzehntelanger Fremdherrschaft. Die Russen in Estland werden als Nachfolger der Besatzer gesehen. Auch die Unterschiede zwischen Russen und Esten sind deutlich. Die Russen sind vielfach orthodoxen Glaubens und verwenden die kyrillische Schrift. Die Esten verwenden die lateinische Schrift und sie sind mehrheitlich evangelisch.
Private Schwierigkeiten
Medienberichten zufolge war der Rechtsanwalt zuletzt in finanzielle und private Schwierigkeiten geraten. Seine Wohnung wurde nach einer Scheidung gepfändet und zwangsversteigert. Das Motiv könnte daher auch private Verzweiflung sein, argumentierte der Politiker Dimitri Klenski, ebenfalls russisch-estnischer Minderheitsaktivist.
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