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Wie Ulbricht Chruschtschow drängte

Praktisch mit einem Pinselstrich begann der Bau der Berliner Mauer. Am 13. August 1961 um 0.00 Uhr riegelten die Sicherheitskräfte der DDR die Grenze zwischen West- und Ostberlin ab. Zuerst wurden Linien gezogen, dann Stacheldraht ausgeworfen - und schließlich begann man mit der Kelle in der Hand jene Grenze zu mauern, die in Berlin 43 Kilometer lang sein sollte. Bis ins letzte Detail war der Mauerbau mit Moskau abgesprochen.

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Es war ein demografisches Problem, dem sich das Politbüro der DDR dringend stellen musste. Allein 1960 verließen 200.000 Menschen Ostdeutschland in Richtung Westen - zumeist junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Zwischen 1949 und 1961 waren insgesamt 2,7 Millionen Menschen vom Osten in den Westen Deutschlands geströmt.

Berlin wurde seit 1945 von den vier alliierten Mächten regiert. Der Sowjetunion war die Enklave Westberlin stets ein Dorn im Auge. Doch die Westmächte weigerten sich abzuziehen. Der Wien-Gipfel zwischen US-Präsident John F. Kennedy und dem sowjetischen Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow war in der Berlin-Frage ohne ein konkretes Ergebnis geblieben.

Schwarzweißaufnahme eines ostdeutschen Grenzpolizisten in Berlin neben einem Schild mit der Aufschrift "Sie verlassen jetzt West-Berlin"

AP/Edwin Reichert

„Sie verlassen jetzt West-Berlin“: Botschaft an Passanten, bevor die Mauer gebaut wurde

Ulbricht und die Mauer-Frage

Die DDR unter dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht setzte weiter auf den Schulterschluss mit Moskau. Die Abwanderung aus der Deutschen Demokratischen Republik Richtung Westen musste dringend gestoppt werden. Am 15. Juni ließ Ulbricht im Haus der Ministerien eine internationale Pressekonferenz ausrichten, bei der ihm eine Journalistin der „Frankfurter Rundschau“ folgende Frage stellte: „Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“

Staatsratsvorsitzender Walter Ulbrich

ZDF

DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht bei der historischen Pressekonferenz am 15. Juni 1961

Ulbricht beantwortete die Frage folgendermaßen: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“

Obwohl gar nicht nach den Maßnahmen der Abriegelung gefragt war, brachte Ulbricht als erster das Wort „Mauer“ ins Spiel. Ob Lapsus oder Absicht, konnte nie geklärt werden.

Warten auf die Reaktion aus Moskau

Zu dieser Zeit kommen Führungskräfte der DDR zusammen, um Maßnahmen der Abriegelung zu diskutieren. Die sowjetische Botschaft kennt die Pläne der DDR. Letztlich kann aber nur aus dem Kreml grünes Licht für den Bau einer Mauer kommen. Chruschtschow setzt noch Anfang Juli darauf, dass der Westen aufgrund seiner Drohpolitik in der Berlin-Frage einlenkt.

Am 20. Juli liest Chruschtschow während des Urlaubs auf der Krim Geheimdienstdokumente, die von der atomaren Aufrüstung des Westens berichten - und davon, dass der Westen in der Berlin-Frage nicht nachgeben werde. Hatte er Ulbricht davor, wie es sein Sohn Sergej Chruschtschow jüngst in der Dokumentation „Geheimakte Mauerbau“ sagte, noch geraten, die Ursache und nicht das Symptom der Republikflucht aus der DDR zu bekämpfen, stimmt er nun der Errichtung von Abriegelungsmaßnahmen zu.

Auftrag zur „Grenzregelung“

Chruschtschow gibt den Auftrag zur Ausarbeitung einer „Grenzregelung“ in der DDR. In Wünsdorf (Brandenburg), dem Hauptquartier der Sowjet-Streitkräfte auf DDR-Boden, wird der Plan zum Grenz- und Mauerbau bis ins Detail ausgearbeitet.

Am 1. August reist Ulbricht nochmals nach Moskau, um sich endgültig das grüne Licht aus Moskau zu holen. Mit großem Militäraufgebot sollten etwaige Aufstände von Arbeitern bei der Errichtung der Mauer niedergeschlagen werden. Am 12. August informiert Ulbricht den DDR-Ministerrat, und in der darauffolgenden Nacht beginnt die Abriegelung von Berlin.

Mit einem Pinselstrich beginnt die Umsetzung der Abriegelung. Am Morgen des 13. Juni werden Stacheldrahtrollen ausgelegt, und die Grenze wird endgültig dichtgemacht. An der Grenze stehen Soldaten und Bereitschaftspolizisten der DDR mit steinerner Miene, die niemand mehr durchlassen und zugleich keine Erklärungen abgeben.

Arbeiter mauern die ersten Steinblöcke der Berliner Mauer.

dapd

Rasche Umsetzung: Knapp nach der Abriegelung von Ostberlin begann der Mauerbau

„Sperrwand eines Konzentrationslagers“

Trotz des Entsetzens der Bonner Regierung wie des West-Berliner Senats über die mitten in der Stadt aufgezogene „Sperrwand eines Konzentrationslagers“ (so der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt) unternahmen die Westmächte keine Schritte, um dem Mauerbau Einhalt zu gebieten.

Wegen Berlin wollte man schließlich keinen Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion riskieren.

Der SPD-Politiker Brandt führte seine spätere, gegenüber den kommunistischen Ländern versöhnliche „Ostpolitik“ als Bundeskanzler der BRD (1969 - 1974) auf seine damaligen Eindrücke vom Vorgehen der Westmächte zurück.

„Antifaschistischer Schutzwall“

Obwohl die Mauer nach Darstellung der DDR-Propaganda als „antifaschistischer Schutzwall“ dienen sollte, stellte bereits ihre Konstruktion klar, dass sie in Wahrheit die eigene Bevölkerung am Verlassen des Landes hindern sollte. Hinter dem Begriff „Berliner Mauer“ versteckte sich in Wahrheit eine komplexe Sicherheitsanlage, die im Laufe der Jahre zunehmend erweitert und ausgebaut wurde.

An den meisten Stellen handelte es sich in der 1975 errichteten endgültigen Form um einen doppelten Mauer- oder Stacheldrahtzug, in dessen Zwischenraum sich Bewachungstürme, Alarmdrähte, Beleuchtungsanlagen, ein Graben gegen Überquerungsversuche per Pkw und Hundelaufanlagen verbargen.

Die Toten an der innerdeutschen Grenze

Trotz dieses fast unüberwindlichen Hindernisses versuchten es in den knapp 30 Jahren des Bestehens der Mauer rund 5.000 Menschen, auf die andere Seite zu gelangen.

Etwa 100 bis 200 (die Zahlenangaben variieren stark) starben dabei. Als erster Mensch, der an der Berliner Mauer erschossen wurde, gilt der am 24. August 1961 getötete 24-jährige Günter Litfin, als letztes Todesopfer der in der Nacht vom 5. auf 6. Februar 1989 erschossene 20-jährige Chris Gueffroy.

1989: Das rasche Aus für die Mauer

Das Ende der Berliner Mauer kam dann genauso schnell wie ihre Errichtung: Ende 1989 beschloss die DDR-Führung unter dem Eindruck der Massenflucht ausreisewilliger Ostdeutscher über Ungarn und die westdeutsche Botschaft in Prag in den Westen sowie der zunehmenden regierungskritischen Großdemonstrationen im Land eine Ausreisemöglichkeit für DDR-Bürger ohne besondere Formalitäten.

Als das Politbüromitglied Günter Schabowski die Regelung am 9. November 1989 in einer internationalen Pressekonferenz vorstellte, sagte der über eine eigentlich geplante Sperrfrist uninformierte Funktionär, diese trete „sofort, unverzüglich“ in Kraft.

In der darauffolgenden Nacht begannen DDR-Bürger, massenweise die Grenzübergänge nach Westberlin zu belagern, was schließlich zur Öffnung der Grenze durch die verunsicherten und von der geltenden Regelung noch nicht ausreichend informierten Grenztruppen führte. Die Bilder der auf der Mauer feiernden und jubelnden Menschen gingen um die Welt. Nur wenig später war die Berliner Mauer als Bauwerk Geschichte. In den Köpfen lebte die Mauer noch länger fort.

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