Die Verwandten sollten das nicht sehen
Alle Welt erwartet von Charlotte Roches neuem Roman „Schoßgebete“ einen handfesten Skandal. Aber hält das neue Buch, was sein Vorgänger „Feuchtgebiete“ versprochen hat? Erste Reaktionen fallen positiv aus. Der Bestseller scheint programmiert.
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Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) schrieb am Montag: „Charlotte Roche hat ein Buch geschrieben, das uns weit über die Lektüre hinaus bewegt und beschäftigt.“ Die Autorin wahre die Balance zwischen Verbergen und Enthüllen, Künstlichkeit und Komik bis zum Schluss, befand Literaturkritikerin Felicitas von Lovenberg.
Startauflage 500.000
Das Buch erscheint in einer Startauflage von 500.000 Exemplaren. Der Piper Verlag vermarktet es mit einer ausgeklügelten Strategie - in Angriff genommen werde das „letzte Tabu“ - „Sex in der Ehe“. Die „FAZ“ war nach Angaben von Verlagspressesprecherin Eva Brenndörfer die erste Zeitung, die eine Rezension schreiben durfte. „Der Spiegel“ bekam ein großes Exklusivinterview mit der 33 Jahre alten Autorin und TV-Moderatorin. „Das Medieninteresse ist riesig, und der Buchhandel hat sehr gut eingekauft“, sagte Brenndörfer auf Anfrage.
Mit ihrem freizügigen ersten Roman „Feuchtgebiete“ hatte Charlotte Roche 2008 einen Skandal ausgelöst. Das Buch stand monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste und verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal. In einem kurzen Werbevideo verspricht die deutsch-britische Autorin ihren Fans jetzt noch eine Steigerung: „Wer dachte, ‚Feuchtgebiete‘ ist krass, muss sich hierbei richtig anschnallen. Das ist eine richtige Achterbahnfahrt der Gefühle.“

Piper
Buchhinweis
Charlotte Roche: Schoßgebete. Piper, 288 Seiten, 17,50 Euro.
Laut „FAZ“ nähert sich Roche in „Schoßgebete“ dem Sex so detailfreudig wie in „Feuchtgebiete“. „Von dem entwaffnend umgangssprachlichen Erzählton ... sollte man sich nicht täuschen lassen: Hier ist eine Erzählerin am Werk, die genau weiß, was sie tut“, hieß es. „Der Unfalltod ihrer Geschwister, das wahre Ereignis, verleiht dem Roman eine Dringlichkeit und eine Wucht, denen man sich nicht entziehen kann.“
Roche im ORF-Interview: „Das musste raus“
In ihrem ersten TV-Interview zum neuen Buch - im Rahmen des ORF-„kultur.montag“ - sagte Roche über den Unfalltod ihrer drei Brüder, der in „Schoßgebete“ eine Rolle spielt: „Ich habe schon im ersten Buch mit dem Gedanken gespielt, den Unfall einzubauen. Ich habe das Gefühl, kein Buch schreiben zu können, ohne diese unglaubliche Geschichte vorkommen zu lassen. Ich schiebe diese Geschichte vor mich her wie einen riesigen Schneeball - und irgendwann musste das in meinen Worten raus. Das war eine Selbstreinigung. Meine Therapeutin sagt, dass man den Horror offensichtlich mal kurz weitergeben möchte, damit man selber mal frei hat.“
Ihre Tochter, sagt Roche, werde „Schoßgebete“ genauso wenig wie „Feuchtgebiete“ lesen dürfen: „Das wäre noch schlimmer, weil sie dann denken würde: ‚Oh Gott, meine Mama - es stimmt doch nicht, dass sie sterben will?‘ Und: ‚Was - die ist depressiv, das wusste ich gar nicht?‘ Ich versuche immer, kindgerecht zu erklären, was ich eigentlich mache. Trotzdem könnte das ein riesiger Treppenwitz von diesem Buch sein, dass die irgendwann sagt: ‚Mama, du bist so ekelhaft, und warum hast du das gemacht, und wieso lässt du das nicht in der Familie? Warum tust du uns das an?‘ Das ist natürlich eine große Angst. Das ist wie so ein aggressiver Akt, dass man eigentlich ohne Rücksicht auf Verluste schreibt.“
Wenn die Verwandten mitlesen
Der Zeitschrift „Brigitte“ sagte die Autorin, sie hoffe, dass auch andere Familienmitglieder das neue Buch nicht lesen würden. Es sei ein so intimer Einblick in eine Ehe, dass ihr Mann nach dem Lesen erst einmal „hinten rüber gefallen“ sei. „Er brauchte Tage, um sich wieder einzukriegen, auch wegen der Vorstellung, was seine Familie über ihn und die Frau, die er liebt, denken wird.“
Charlotte Roche kam mit ihrer Familie nach Stationen in Großbritannien und den Niederlanden im Alter von acht Jahren nach Deutschland. Die Scheidung ihrer Eltern verarbeitete sie unter anderem im Buch „Feuchtgebiete“. Sie wuchs in einem liberalen, kreativen Umfeld auf. Nach einem erfolgreichen Casting moderierte sie legendäre Alternative-Sendungen auf VIVA zwei und später VIVA. Nach deren Einstellung folgten weitere, kurzfristigere Engagements im Radio und TV.
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