Material aus dem Internet bestellt
Die Bombe, die der mutmaßliche Doppelattentäter Anders Behring Breivik vor rund zehn Tagen im Osloer Regierungsviertel hochgehen ließ, dürfte doch größer gewesen sein als zunächst angenommen. Der Leiter der Sprengstoffabteilung der Norwegischen Volkshilfe, Per Nergaard, erhöhte seine ursprüngliche Schätzung am Montag auf das Doppelte.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Statt der zunächst angenommenen 450 bis 500 Kilogramm Sprengstoff dürfte Breivik rund 950 Kilogramm bei seinem Anschlag auf das Regierungsgebäude im Zentrum Oslos verwendet haben. Nach einer gründlichen Analyse des Explosionsortes und der Detonationsschäden dürfte somit die von Breivik selbst in seinem „Manifest“ angegebene Menge weitgehend stimmen.
Hohlraum verhindert noch mehr Tote
Nur die Tatsache, dass Breivik den Lieferwagen mit der Bombe über einem Tunnel platziert hatte, verhinderte noch größeren Schaden. Durch den Hohlraum wurde ein großer Teil der Sprengkraft der Bombe nach unten absorbiert. Es sei „völlig einzigartig“, dass bei der Explosion einer 1.000-Kilo-Bombe in einem Stadtzentrum lediglich acht Menschen getötet wurden, sagte der Sprengstoffexperte gegenüber der Zeitung „Dagsavisen“ (Montag-Ausgabe).

APA/EPA/Berit Roald
Acht Menschen starben bei dem Bombenanschlag im Zentrum Oslos
Detonation nach Feierabend
Ein weiterer Grund für die wohl geringere als vom Täter erhoffte Opferbilanz war der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Anschlags - Freitagnachmittag einige Minuten vor halb vier - von insgesamt 1.600 Bediensteten in den zwei am nächsten gelegenen Gebäuden nur rund 190 in ihren Büros waren. Eigentlich hatte Breivik geplant, früher mit seinem gemieteten Lieferwagen im Regierungsviertel anzukommen, doch er hatte den starken Freitagnachmittagsverkehr falsch eingeschätzt. Er habe laut eigenen Aussagen zwei Stunden hinter seinem Zeitplan gelegen - und das dürfte wohl vielen Menschen das Leben gerettet haben.
Auch Königspalast im Visier
Auch soll Breivik laut einem Bericht der Boulevardzeitung „Verdens Gang“ noch weitere Ziele im Visier gehabt haben. Die Zeitung berichtete am Samstag unter Berufung auf das zweite Verhör, Breivik habe auch den Königspalast und den Sitz der Regierungspartei angreifen wollen. Für den 22. Juli seien aber allein die beiden ausgeführten Angriffe vorgesehen gewesen. Der 32-Jährige habe Schwierigkeiten gehabt, außer der in Oslo gezündeten Bombe weitere Sprengsätze zu bauen, hieß es.
Bestandteile aus dem Internet
Die Bestandteile für seine Bombe besorgte Breivik über das Internet. Dem „Sunday Telegraph“ zufolge erwarb er über eBay von Anbietern in Großbritannien Chemikalien und Schutzausrüstung. Zu Fuß wiederum klapperte er Apotheken ab, um Aspirin in den benötigten Mengen zu besorgen. Per E-Mail bestellte er bei polnischen und chinesischen Unternehmen Düngemittel, das er ebenfalls für den Bombenbau brauchte.
Google benutzte er, um Dichte und Volumen für seine Bombenpräparate zu berechnen, bei Ikea und einem chinesischen Händler besorgte er sich die notwendigen Behälter. In jedem Fall notierte er akribisch in seinem 1.500 Seiten starken „Manifest“, ob und wem gegenüber er seine Legende benutzt hatte und ob ihn Verkäufer wiedererkannt hatten. Dabei bewegte er sich mit seinen Aktivitäten immer auf legalen Bahnen, um keinen Alarm auszulösen. Er habe die Anschläge selbst finanziert und lange dafür gespart, zitierte Staatsanwalt Paal-Fredrik Hjort Kraby den Attentäter.
Breivik geistig zurechnungsfähig
Breivik selbst sitzt in Untersuchungshaft und soll laut Behörden „sehr auskunftsfreudig“ sein. Auf Ansuchen des Gerichts beschäftigt sich derzeit auch ein Ausschuss mit der Frage, ob Breivik geistig voll zurechnungsfähig ist. Zwei Psychologen sollen bis November ein Gutachten vorlegen. Der Leiter des forensisch-medizinischen Ausschusses, Tarjei Rygnestad, geht aber davon aus, dass Breivik für geistig gesund erklärt wird. Die Taten seien so sorgfältig geplant und ausgeführt worden, dass im vorliegenden Fall nicht von einer Geisteskrankheit ausgegangen werden könne, so Rygnestad.
Trauerstunde im Parlament
Unterdessen wurde im norwegischen Parlament am Montag eine Trauerstunde für die 77 Todesopfer abgehalten. In Anwesenheit von König Harald V. und Kronprinz Haakon hielten die Abgeordneten eine Schweigeminute ab und sangen die norwegische Nationalhymne. Parlamentspräsident Dag Terje Andersen verlas einzeln die Namen der Opfer, an dem Parlamentsgebäude hingen die Fahnen auf Halbmast.
Regierungschef Jens Stoltenberg dankte den Norwegern in einer Rede vor den Abgeordneten für ihr Verhalten nach den Anschlägen vom 22. Juli. „Mein größter Dank gilt dem norwegischen Volk, das sich verantwortungsbewusst gezeigt hat, als es darauf ankam, das seine Würde behalten und sich für die Demokratie entschieden hat.“ Für den 21. August kündigte er einen nationalen Gedenktag an, bei dem nicht nur der Opfer gedacht werden soll, sondern auch ihre Familien und die Helfer gewürdigt werden sollen.
Links: