Who killed the Videostar?
Das Signal am 1. August 1981 war stark und selbstbewusst gewählt: Neil Armstrong hisste auf dem Mond die MTV-Flagge, daraufhin war „Video Killed the Radio Star“ der Buggles der erste Clip. Das Versprechen wurde ein paar Jahre später eingelöst, MTV als Prototyp des Musikfernsehens sollte die TV-Branche revolutionieren. Langfristig gelang die Gratwanderung zwischen Abdeckung von Massengeschmack und Bedienung einzelner Zielgruppen aber nicht.
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Nicht nur das Internet und Videoplattformen wie YouTube haben dem Musikfernsehen im Wesentlichen den Garaus gemacht. Dennoch: MTV und die Videoclipästhetik haben der Fernseh- und Kinoproduktion maßgebliche Impulse gegeben.

MTV
Die Buggles blieben ein One-Hit-Wonder
Schnelle Schnitte, verwackelte Handkamera, teilweise rein künstliche Zeichenwelten und später erste Verwendung von Computeranimationen in den Clips waren völlig neu in der bis dahin weitgehend recht behäbigen Bildschirmdramaturgie. Als 1984 „Miami Vice“ erstmals ausgestrahlt wurde, war aufgrund des Tempos von der ersten MTV-Serie die Rede. Die ästhetische Innovation in Clips ging freilich unbeirrt weiter und auch das Tempo wurde weiter gesteigert. Im Vergleich zu heutigen Hollywood-Blockbustern wirken die Schnittfolgen von „Miami Vice“ geradezu lahm.
Zeichen der Zeit
Der Medienkonzern Warner-Amex hatte es Anfang der 1980er Jahre verstanden, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten: In den USA boomten neue Fernsehsender, gleichzeitig war das visuelle - und damit auch das wirtschaftliche - Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft. Gleichzeitig konnte man mit geringsten Kosten produzieren, die damals noch spärlich vorhandenen Musikvideos, vor allem US-Hardrock und britischer New Pop, kamen schließlich von der Musikindustrie. Und für die Werbeindustrie hatte man die schwierig zu erreichende Gruppe der Jugendlichen praktisch ohne Streuverluste parat.
Erfolg mit Special-Interest-Formaten
Dabei waren die Anfangsjahre zwar ästhetisch revolutionär, wirtschaftlich aber ein Flop. Der „Flow“ aus Musikvideos, unterbrochen nur von kurzen Moderationen und Werbeclips, war völlig neu in einer Fernsehwelt, die mit fixen Programmplätzen auf möglichst breite Zielgruppen gerichtet war. Erst 1983 begann die MTV-Erfolgsgeschichte - Hand in Hand mit dem Aufstieg der internationalen Superstars Michael Jackson und wenig später Madonna, die beide nicht zuletzt wegen ihrer Musikvideos für Jahre die Charts dominierten.
1985 kam bereits der nächste Einbruch. Die Zuseherzahlen brachen ein, der neue Programmchef Tom Freston gab zum Schluss, dass MTV „langweilig“ geworden sei. Der Rückgriff auf TV-Konventionen sollte der Schritt zurück zum Erfolg werden. Mit fixen Special-Interest-Formaten sollten Fans bestimmter Musikrichtungen direkter angesprochen werden: „120 Minutes“ für Alternativ Music, „Headbanger´s Ball“ für Metal und „Yo! MTV Raps“ für Hip-Hop. Gleichzeitig hielten erste musikunabhängige Formate Einzug ins Programm.
Höhenflug mit neuen CDs
Der Erfolg kam aber auch mit ökonomischen Weichenstellungen: MTV wurde an den Medienkonzern Viacom verkauft und die Musikindustrie setzte mit der Umstellung von Vinyl und Musikkassetten auf CDs zu einem Höhenflug an: Von Mitte der 1980er Jahre bis 2000 verdreifachte die Branche ihre Gewinne - mit Musikvideos als Gratiswerbeclips.
Industrie und MTV schlossen in der Folge Exklusivverträge - auch um Konkurrenten im Musikfernsehen auf Distanz zu halten : MTV zahlte den Plattenfirmen einen Anteil an den immer größer werdenden Videoproduktionskosten, konnte aber gleichzeitig darauf vertrauen, dass die Clips nirgendwo anders gespielt werden. Umgekehrt wurden Künstler, die sich nicht an die Vereinbarungen halten wollten, von MTV verbannt.
Global denken, lokal handeln
1985 wurde der Tochtersender VH1 für eine etwas ältere Zielgruppe ins Leben gerufen. Fortgesetzt wurde die Diversifizierung auf geografischer Ebene: 1987 wurden MTV Europe und Australia gegründet, es folgten Filialen: 1988 in Südamerika , 1990 in Brasilien und 1991 in Asien. MTV Europe blieb zunächst englischsprachig, kontinentales Flair wurde vor allem durch Moderatoren mit entsprechender Herkunft sowie Features aus den Ländern erreicht.
Mit dem Sendebeginn von VIVA Ende 1993, das vor allem bei jüngeren Sehern, also genau bei denjenigen, die am schlechtesten Englisch sprachen, MTV im deutschsprachigen Raum den Rang ablief, wurde die Gründung von MTV Germany vakant. Der Aufschwung der deutschen Musikindustrie, an dem VIVA zu einem Gutteil beteiligt war, veranlasste MTV schließlich zur Gründung von MTV Germany. Dem Kampf um Marktanteile setzte Viacom 2004 ein Ende, indem VIVA gekauft wurde.
Das Ende des Massengeschmacks
Wohl auch mithilfe von MTV erfolgte 1991 der endgültige Bruch des klassischen Gegensatzes Underground - Mainstream, festgemacht an Nirvanas Album „Nevermind“, der musikalische Untergrund wurde salonfähig. Es ist die Geburtsstunde des „Mainstreams der Minderheiten“, wie es die Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis und Tom Holert später nennen sollten.
Auch wenn MTV noch einige Jahre erfolgreich sein sollte, gab es immer weniger einen homogenen Massengeschmack, der bedient werden konnte. Auch das Konzept von der Jugend als einheitliche Zielgruppe, die es real wohl nie gegeben, aber als Marketinginstrument zumindest funktioniert hat, musste endgültig der Realität einer ausdifferenzierten Gesellschaft weichen.
Niedergang im Gleichschritt mit Musikindustrie
Ende der 1990er Jahre begann man daher verstärkt auf Reality-TV, Promifernsehen und Comedy zu setzen. Von den ursprünglichen 24 Stunden Musik am Tag waren es 2000 nur mehr acht Stunden und 2008 nur mehr drei - die Kapitulation vor einem differenzierten Markt und einem neuen übermächtigen Gegner: dem Internet. Videoclips wurden zunehmend und selbst ausgewählt auf YouTube und anderen Webplattformen gesehen. MTV war längst zur Abspielstation von Trashserien und Klingeltonwerbeclips geworden.
Frappant ist jedenfalls die Parallele in der Entwicklung von Musikfernsehen und den Gewinnen der Musikindustrie, die ja ebenfalls das Internet für ihren Niedergang verantwortlich macht: Seit 2000 ging es steil bergab.
Zersplitterter Riese verabschiedet Musik
Deutlich machen das auch Preisverleihungen, die MTV schon früh als Branchenevents in Szene setzte. Waren die MTV Awards eine Zeit lang tatsächlich eine einigermaßen anerkannte musikalische Auszeichnung, sagen sie mit ewiggleichen Industrielieblingen als Preisträger mittlerweile vor allem etwas über den Zustand der Branche aus.
Der einstige Riese MTV ist heute ein nach Ländern und Musikrichtungen unterteiltes Gewusel von mehr als 200 Klein- und Kleinstsendern. In Deutschland und Österreich sind MTV und seine sämtlichen Spartenkanäle seit heuer Bezahlsender. Dass MTV sich mittlerweile auch vom Namen „Music Television“ verabschiedet hat, ist nur mehr ein logischer Schritt.
Christian Körber, ORF.at
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