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Das Ohr als Käufer

Der richtige Sound kann das Image von Produkten einzigartig prägen und damit den Verkauf ankurbeln. Bei der Produktentwicklung wird daher klangmäßig nichts dem Zufall überlassen. Klanggestalter arbeiten daran, die Geräusche von Würsteln und Rasierapparat angenehm klingen zu lassen. Denn was gut klingt, verkauft sich besser.

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„Plopp, zisch, gluck“: Das Geräusch beim Öffnen und Einschenken von Bier ist unverwechselbar. Auch das Knacken eines Würstels und das Rascheln des Chipssackerls werden von professionellen Sounddesignern exakt definiert und gestaltet. Anders als die Optik ist die Akustik allein zwar kein Kaufargument, kann aber ein Ausschließungsgrund sein.

Geschultes Hören

Das Ohr gehört zu den empfindsamsten Organen. Ein geschulter Hörer kann allein am Klang zwischen sauberem und schmutzigem sowie kaltem und warmem Wasser unterscheiden, sagt der deutsche Sounddesigner Friedrich Blutner.

Doch wer bestimmt, wie etwas klingen soll? „Das sind soziale Prozesse“, so der deutsche Sounddesigner Friedrich Blutner, der sich seit 30 Jahren dem Wohlklang verschrieben hat, im Gespräch mit ORF.at. „Über Generationen haben sich viele akustische Archetypen entwickelt. Diese Schlüsselmuster will das Sounddesign kultivieren, stärken und damit gegen den Lärm ankämpfen. Denn Klang ist Berührung. Man fühlt ihn, wenn er gut ist.“

Retro-Klingelton am Smartphone

„Hören ist kulturell geprägt. Man denke etwa an die chinesische Oper, die für europäische Ohren wenig ansprechend klingt. Andere Dinge wie das Bimmeln, Klingeln und Piepsen eines Spielautomaten klingen wiederum weltweit gleich“, erklärt Psychoakustiker Alois Sontacchi vom Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz gegenüber ORF.at. „Oft hängen die Menschen auch an alten Sounds. Man braucht nichts Neues lernen, sich an nichts Neues gewöhnen“, so Sontacchi. Ein Beispiel dafür sei etwa der Boom des Schepperklingeltons, eines analogen Wählscheibenapparats auf modernen Smartphones.

Geräuschloser Staubsauger irritiert

Nach Ansicht von Akustikdesignern und Marketingexperten muss ein „glücklich“ klingendes Bier mit einem charakteristischen Zisch- und Gluck-Geräusch ins Glas fließen. Die Flaschenhälse der meisten Markenprodukte wurden in den letzten Jahren dahingehend verändert. Ein Würstel muss laut knacken, um Frische zu vermitteln, und auch das Knistern der Chipsverpackung kommt nicht von ungefähr. Die Verpackung soll einladend und appetitlich klingen und vor allem die Vorfreude wecken.

Doch nicht immer schöpft das Sounddesign seine Möglichkeiten auch aus. Ein lautloser Staubsauger wäre technisch zwar durchaus machbar, würde aber von vielen Menschen als minderwertig angesehen. „Man muss das Gefühl haben: Da tut sich was. Nur dann wird es wirklich sauber“, fasst Blutner die Vorstellung der meisten Kunden zusammen. Mit Modellen mit „Boost“- bzw. „Silent“-Taste versucht man die verschiedenen Kundenwünsche zu befriedigen.

An der perfekten Lautstärke des Rasierapparats scheiden sich ebenfalls die Geister. Während Frauen ihre Enthaarungsgeräte möglichst unauffällig und lautlos benutzen wollen, ist bei Männern das Gegenteil der Fall. Sie wollen hören, wie das Gerät arbeitet und der Bart unter lautem Surren und Knistern gestutzt wird.

Türen ploppen, Motoren brummen

Ein Feld, in dem die Klanggestaltung besonders ernst genommen wird, ist das Auto. „Das Gehör besitzt die Fähigkeit, Geräusche bzw. Klänge mit bestimmten Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Dies wird insbesondere in der Automobilindustrie gezielt genutzt. So soll das typische Geräusch beim Zuschlagen von Autotüren Sicherheit und Qualität signalisieren, der Motorsound hingegen Emotionen transportieren“, so der österreichische Soundbranding-Experte Paul Steiner von der BMW Group in München.

Marken, die es sich leisten können, versuchen Qualität hörbar zu machen und entwerfen nicht nur das Äußere möglichst ansprechend, sondern optimieren das komplette Interieur akustisch. Vom Türgriff und –schloss über die Belüftung bis zur Sitzpolsterung, alles muss erst akustische Tests durchlaufen, bevor es in Serie geht.

Die Suche nach dem Elektroauto-Sound

Eine der größten aktuellen Herausforderungen ist das Elektroauto. Noch hat sich kein Standardklang für E-Fahrzeuge etabliert. Eine völlig geräuschlose Variante ist dabei aber nicht denkbar. „Absolute Stille beim Auto wird es nicht geben, weil man Bewegung hören will. Schon allein um das nervige Fahrbahnrollen und den Windwiderstand positiv zu beeinflussen, muss ein Auto klingen,“ so Sounddesigner Blutner, Chef der deutschen Firma Synotec Psychoinformatik.

Geräuschvorgaben für E-Autos

Die Vereinten Nationen empfehlen, künstliches Sounddesign für Elektrofahrzeuge zu integrieren, damit diese im Verkehr akustisch besser wahrgenommen werden können.

Nach seiner Vorstellung soll der perfekte Elektroauto-Sound ökologisch, ressourcenschonend, dynamisch und nachhaltig klingen. Dabei orientiere man sich etwa an Tierstimmen und afrikanischen Instrumenten. „Es muss eine harmonische Komponente haben, etwas Angenehmes, das man wiederhören will“, so Blutner. „Wenn sich ein Grundgeräusch etabliert hat, wird man bei den einzelnen Marken noch weiter in Nuancen unterscheiden. Wir wollen eine gewisse Vielfalt.“

Antischall gegen Flugzeuglärm

Während allerorts am Wohlklang getüftelt wird, haben sich Forscher auch der Weiterentwicklung des Antischalls (Active Noise Cancellation, ANC) verschrieben. Dabei nimmt ein Mikrofon die Außengeräusche auf, gleichzeitig wird eine möglichst genau entgegengesetzte Schallwelle erzeugt. Schall und Gegenschall sollen einander nach dem physikalischen Prinzip der Interferenz auslöschen.

Erste Produkte machen sich dieses Prinzip zunutze. Kopfhörer mit aktiver Lärmreduzierung können etwa im Flugzeug den konstanten Lärm der Turbinen und der Klimaanlage ausblenden, während man mit dem Sitznachbarn weiterhin Gespräche in normaler Lautstärke führen kann. Auch Motorradhelme lassen sich bereits so ausrüsten, dass man den Umgebungslärm hört, aber das Motorengeräusch nicht.

„Schöpfen erst fünf Prozent des Potenzials aus“

Könnte man das Antischallprinzip in Fensterscheiben integrieren, wäre sogar das Ausblenden des kompletten Straßenlärms möglich. Doch bisher ist das Zukunftsmusik. Die aktuelle Technologie reicht für größere Vorhaben nicht aus. „Um wirklich vom Antischall profitieren zu können, muss erst eine komplett neue Technologie erfunden werden“, so Blutner. Er bevorzuge aber einen anderen Ansatz. „Lieber an der Lärmquelle arbeiten, als einfach gegenzuschallen.“

Hier sieht Blutner noch viel Arbeit vor sich. Denkbar wären unter anderem akustisch optimierte Kleidung und Schuhe. Auch könnten Wohlklänge schon bald Küche und Esstisch erobern. Neben Optik und Geschmack könnten Klangköche ihre Speisen künftig akustisch in Szene setzen. „Derzeit schöpfen wir erst circa fünf Prozent des Sounddesign-Potenzials aus", so der deutsche Experte.

Beate Macura, ORF.at

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