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Vertrauen schwindet

Griechenland steht am Rand einer Pleite, Gerüchte um Italien lassen die Börsen einbrechen, und Irland gilt bereits als nächster Krisenkandidat. In der Euro-Zone tun sich immer mehr Baustellen auf - und nicht ganz unbeteiligt daran sind die Ratingagenturen. Mit ihren Bewertungen entscheiden sie nicht selten über die Zukunft der Staaten. Doch was gibt ihnen die Macht dazu?

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Das Drehbuch ist immer das gleiche: Eine der drei großen Ratingagenturen, Moody’s, Standard & Poor’s (S&P) oder Fitch, stuft die Kreditwürdigkeit eines Landes herab und löst damit einen Teufelskreis aus. Denn je schlechter die Ratingagenturen die Bonität eines Schuldners beurteilen, desto teurer und schwieriger wird es für ihn, sich am Kapitalmarkt Geld zu besorgen. Längst wird darüber diskutiert, die Macht der Ratingagenturen zu beschneiden. Doch bisher konnten sich die drei größten Player erfolgreich gegen alle Anfeindungen durchsetzen.

Ratingagenturen

Weltweit gibt es zwar rund 150 Ratingagenturen, doch teilen sich Moody’s, S&P und Fitch 95 Prozent des Marktes für Ratings. Davon halten die US-Unternehmen Moody’s und S&P jeweils einen Marktanteil von knapp 40 Prozent, die englisch-französische Ratingagentur Fitch kommt auf etwa 15 Prozent.

Mit A, B, C, D zum Erfolg

Entstanden sind Ratingagenturen bereits vor 100 Jahren im Zuge des großen Eisenbahnbaus in den USA. Investoren brauchten Hilfe, um abschätzen zu können, wo ihr Geld gut angelegt ist und Gewinne abwirft. Diesen Wunsch erfüllten Agenturen, die mittels Ratingmodellen das jeweilige Risiko ermittelten. Moody’s bot schon 1860 seine Dienste an, Fitch folgte 1913 und S&P 1941.

Grundlage für ihren Erfolg war die simple Bewertungsmethode, die auch komplexe Anlageformen für Laien verständlich machte: AAA bedeutete dabei „sehr gut, kein Ausfallsrisiko“, über mehrere Abstufungen geht es über B und C hinunter bis D (Default - Zahlungsausfall).

Diese Praxis erwies sich als sehr erfolgreich - und eine lange Geschichte an durchaus hilfreichen Urteilen gab ihnen Recht. 1975 veranlasste die US-Börsenaufsicht sogar, dass sich Unternehmen bewerten lassen müssen, ehe sie für den amerikanischen Kapitalmarkt zugelassen werden. Zugelassen wurden dafür ausdrücklich nur S&P, Moody’s und Fitch. Für diese drei „Big Player“ ist das ein lukratives Geschäft. Denn börsennotierte Unternehmen müssen rund eine Million Euro für ein Rating zahlen.

Krisen völlig verschlafen

Doch es gab auch Rückschläge. Wenn es um die Vorhersage von großen Krisen ging, versagten die Ratingagenturen komplett. Von der Mexiko-Krise 1994 wurden sie ebenso überrascht wie von der Asienkrise 1997. Auch die Russland- und die Brasilien-Krise im Jahr 1998 erwischte sie völlig am falschen Fuß. Und vor der Argentinien-Krise, die 1998 begann und 2001 in einem völligen Kollaps des staatlichen Finanzsystems endete, wurde auch erst gewarnt, als alles schon zu spät war.

Enron Angestellter trägt Box aus Gebäude

Reuters

Die Enron-Pleite

Der Stromkonzern Enron meldete 2001 Insolvenz an. Durch Bilanzfälschung wurden Schulden von 30 Mrd. Dollar vertuscht. Für Empörung sorgte, dass sich 500 Manager vor der Pleite noch Millionenabfindungen auszahlten. Der Skandal erschütterte die USA bis hinauf zum Präsidenten George W. Bush.

Tief verstrickt im Enron-Skandal

Doch den größten Fehler erlaubten sich die Agenturen im Fall des US-Energiegiganten Enron. Jahrelang bewerteten Moody’s und Co. das Unternehmen als solide. So auch am 28. November 2001. Fünf Tage später schlitterte Enron in die größte Pleite in der Geschichte des Landes. Damals mussten sich Moody’s und Co. erstmals auch Kritik vonseiten des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments gefallen lassen.

Finanzkrise stellte alles auf den Kopf

Trotz dieses massiven Vertrauensverlustes behielten die Ratingagenturen vorerst ihre mächtige Stellung. So legte die Bankenaufsicht noch 2006 im Basel-II-Papier fest, dass jede Bank oder Versicherung ihr Kreditrisiko anhand externer Ratingagenturen bestimmen lassen müsse. Erst die Finanzkrise, die 2007 in den USA ihren Ausgang nahm, und an deren Entstehung die Ratingagenturen maßgeblich beteiligt waren, änderte das Image der Ratingagenturen radikal.

In den USA wurden riskante Subprime-Kredite von den Ratingagenturen als sicher eingestuft, und viele institutionelle und private Anleger wurden dadurch in die Irre geführt. Erneut stellte sich heraus, dass die Ratingagenturen tief mit den Finanzinstituten verstrickt waren, deren Produkte sie später als ausgezeichnet bewerteten.

Es folgte eine Welle der Empörung. In Europa wurden 2010 strengere Richtlinien in Kraft gesetzt, wonach Agenturen keine Finanzprodukte mehr bewerten dürfen, an deren Strukturierung sie beteiligt waren. Auch müssen sie sich von der EU-Finanzaufsicht ESMA kontrollieren lassen und etwa ihre Methoden offenlegen.

Länder wehren sich

Damit ist aber noch nicht das derzeit drängendste Problem gelöst: das Rating ganzer Staaten durch Agenturen. Kritiker bemängeln dabei, dass es oft unklar ist, welcher Anteil der Bonitätseinstufungen auf Fakten und Berechnungen und was auf reiner Spekulation beruht. Zuletzt setzte sich Italien gegen diese Vorgangsweise zur Wehr. Die italienische Börsenaufsicht CONSOB zitierte S&P und Moody’s zum Rapport, nachdem sie trotz angekündigten Sparpakets überraschend eine Herabstufung angekündigt hatten.

Schuldenstaaten in der Zwickmühle

Am Beispiel von Griechenland sieht man hingegen gut, welche Auswirkungen die Ratingagenturen auf politische Entscheidungen haben. Als S&P die Kreditwürdigkeit des Landes auf „Ramschstatus“ setzte und damit die Staatsanleihen mit einem Schlag wertlos wurden, löste das Panik an den Börsen aus. Die Finanzminister mussten in einer Nacht- und Nebelaktion den Rettungsschirm über Griechenland aufspannen. Als auch noch Spanien und Portugal herabgeratet wurden, wuchs die Angst vor einem Flächenbrand. Als Konsequenz wurde hastig ein weiteres Hilfspaket für Griechenland beschlossen. Zeit für Verhandlungen und Überlegungen blieb kaum.

Auch um sich etwas Luft zu verschaffen, wird in der EU derzeit heftig darüber diskutiert, den Ratingagenturen zu verbieten, hoch verschuldete Krisenstaaten zu bewerten. Vor allem Frankreich setzt sich dafür ein. Doch hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Einerseits will man die Länder dadurch schützen und Spekulanten den Wind aus den Segeln nehmen, andererseits hätte es ein Land ohne Rating erst recht schwer, an den Kapitalmarkt zurückzukehren.

Appell an mehr Eigenverantwortung

Denn trotz aller Kritik gibt es nach wie vor keinen Ersatz für die Bonitätswächter. Das betont auch die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA): „Ratingagenturen werden auch weiter eine wichtige Rolle im Finanzmarkt spielen“, sagte ein Sprecher. „Die Aufsicht kann ihre Rolle nicht übernehmen.“ Vielmehr appellieren Politik und Experten für mehr Eigenverantwortung. Marktteilnehmer müssten „die notwendige Sensibilität aufbringen und externe Ratings nicht einfach kritiklos übernehmen“, sagte unter anderem der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler. „Hier zählt Eigenverantwortung, indem eigene und transparente Risikoeinschätzungen vorgenommen werden.“

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