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„Verstehen Situation ganz genau“

Auch Lettland hat Österreich einen offiziellen Protest wegen der raschen Freilassung des von Litauen als Kriegsverbrecher gesuchten russischen Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow übermittelt. Lettlands Staatspräsident Andris Berzins sagte am Dienstag bei einem Besuch in der litauischen Hauptstadt Vilnius, die österreichische Botschafterin sei ins Außenministerium in Riga zitiert worden.

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Dabei habe man ihr eine Protestnote ausgehändigt. Lettland verstehe die Situation „ganz genau“, zitierte die Nachrichtenagentur BNS den lettischen Präsidenten. Er unterstütze auch persönlich „voll und ganz“ die Position und die Haltung Litauens. Seine Gastgeberin, Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, dankte ihrem Amtskollegen Berzins ausdrücklich für das dadurch erwiesene Verständnis und die Solidarität mit ihrem Land.

Unterstützung auch aus Estland

Auch Estlands Außenminister Urmas Paet bekundete Unterstützung für Litauen. Er nannte am Montagabend die Entscheidung der österreichischen Behörden, Golowatow nach seiner Festnahme in Wien-Schwechat wieder freizulassen, eine „böse Überraschung“. Er kündigte über das Onlineportal Delfi.lt an, ebenfalls eine Protestnote der österreichischen Botschaft übergeben zu wollen.

Blutnacht in Vilnius

In der Nacht auf den 13. Jänner 1991 starben bei einem von Panzern begleiteten Angriff der sowjetischen Sondereinheit Alpha auf eine Menschenmenge vor dem Vilniuser Fernsehturm 14 Menschen, Hunderte weitere wurden verletzt. Litauen ist seit zwei Jahrzehnten bemüht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Sechs Personen wurden 1999 verurteilt, 23 weitere, unter ihnen Ex-KGB-Offizier Michail Golowatow, werden verschiedener Kriegsverbrechen verdächtigt.

Die Außenminister Litauens, Lettlands und Estlands wandten sich unterdessen an ihre europäischen Amtskollegen sowie an EU-Justizkommissarin Viviane Reding. In einem gemeinsamen Schreiben protestieren die drei Minister gegen die Vorgangsweise der österreichischen Justiz.

„Wir unterstreichen, dass ein Europäischer Haftbefehl als Instrument gegenseitigen Vertrauens innerhalb der EU in der Praxis effektiv angewendet werden sollte, um Personen festzunehmen und auszuliefern, insbesondere wenn sie in Kriegsverbrechen und in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt sind“, zitierte die litauische Nachrichtenagentur LETA aus dem Schreiben an die EU-Außenminister und an die Kommission in Brüssel.

Einigung auf bilaterale Arbeitsgruppe

Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) kam im polnischen Sopot mit ihrem litauischen Amtskollegen Remigijus Simasius überein, im Fall Golowatow eine bilaterale Arbeitsgruppe einzusetzen. Das bilaterale Treffen sei „lang und ausführlich“ gewesen, verlautete aus österreichischen Verhandlungskreisen. „Es gab ein gutes Einvernehmen“, hieß es weiter.

Swoboda: Spindelegger „schon etwas patzig“

Deutliche Kritik am Verhalten der österreichischen Regierung gab es vom SPÖ-Europaabgeordneten Hannes Swoboda. Der Vizechef der Sozialdemokraten im EU-Parlament sagte am Dienstag auf Anfrage der APA, er glaube, dass „Österreich da sehr unsensibel und eigentlich nicht solidarisch gehandelt hat“. Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) habe sich „schon etwas patzig“ verhalten.

Ob es einen Druck Russlands gegeben habe, könne er nicht sagen. „Das weiß ich nicht. Andererseits: Was da jetzt alles hineingelesen wird von Litauen und den anderen baltischen Staaten, ist zumindest übertrieben.“ Litauen hätte auch vorbereitetet sein und Österreich ein entsprechendes Informationspaket übergeben müssen. Andererseits habe Österreich bei der Kooperation „ein bissl eine eigenartige Haltung“ an den Tag gelegt. Spindelegger hätte sofort reagieren müssen. Und „man muss einem Land, das so schwere Anschuldigungen hat, doch mehr als 24 Stunden Zeit geben, die Unterlagen zu liefern. Österreich hat sich da nicht geschickt und sensibel verhalten“, so Swoboda.

Menschenrechtsexperte: Schiefe Optik

Das Außenministerium in Wien bezeichnete unterdessen die Beziehungen zu Litauen trotz des aktuellen Konflikts um den ehemaligen russischen KGB-Offizier als nicht beschädigt. „Ich kann mir einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen nicht vorstellen“, sagte der Generalsekretär des Außenministeriums, Johannes Kyrle, im ZIB2-Interview am Montagabend. Litauen hatte zuvor seinen Botschafter in Österreich zu Konsultationen nach Vilnius einberufen.

Golowatow war am Donnerstag in Wien-Schwechat festgenommen worden. Weil die von Litauen im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls gelieferten Informationen laut dem Wiener Außenministerium aber „zu vage“ waren, wurde der in Litauen als Hauptverantwortlicher der blutigen Ereignisse vom 13. Jänner 1991 in Vilnius Angeklagte jedoch wieder freigelassen. Er halte die Entscheidung der heimischen Justizbehörden für „richtig“, sagte Kyrle.

Die Kritik, dass Österreich Golowatow nach nur 24 Stunden zu schnell freigelassen habe, wies Kyrle zurück: Litauen habe einen Antrag auf eine andere Vorgehensweise nach Ansicht der Justiz nicht genau genug begründet. Der österreichische Völkerrechts- und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak sprach dagegen in der ZIB2 von einer „schiefen Optik“.

„Keine Einflussnahme Russlands“

Die Vorwürfe, wonach es vonseiten Moskaus Druck auf Österreich gegeben habe, wies der russische Botschafter in Österreich, Sergej Netschajew, dezidiert zurück: „Wir haben keinen politischen Druck gemacht, was ich von unseren Partnern aus dem dritten Land nicht sagen kann“, sagte er am Montag gegenüber der APA unter Anspielung auf Litauen. Auch Kyrle sagte, es habe keine politische Intervention gegeben: „So einfach ist Österreich nicht unter Druck zu setzen.“ Zuvor hatte Spindelegger betont, dass er persönlich von russischer Seite nicht kontaktiert worden sei.

Vergleich mit Mladic

Spindelegger war in Brüssel mit seinem litauischen Amtskollegen Audronius Azubalis zusammengetroffen: „Wir werden das schon wieder ins Lot bringen“, sagte er nach dem Gespräch. Er sehe nicht, dass Österreich Fehler gemacht habe. „Wenn es einen Justizentscheid gibt, muss man das zur Kenntnis nehmen.“ Azubalis seinerseits verglich Golowatow mit dem früheren bosnisch-serbischen Militärchef Ratko Mladic. Österreich habe mit der Freilassung des Ex-KGB-Offiziers gegen alle Regeln verstoßen.

Zuvor hatte der österreichische Geschäftsträger in Vilnius eine Protestnote Litauens im Außenministerium entgegengenommen, in der eine „plausible Erklärung“ für das Vorgehen der österreichischen Behörden gefordert wird. Außer der diplomatischen Note erhielt Botschaftsrat Josef Sigmund auch ein Geschichtsbuch über jene blutigen Ereignisse im Jänner 1991 überreicht, für die Litauen den ehemaligen Sondertruppenkommandanten Golowatow für verantwortlich hält.

EU: Verfahren rechtskonform

EU-Justizkommissarin Viviane Reding bestätigte am Dienstag die Rechtskonformität des österreichischen Vorgehens bei der Causa um den russischen Ex-KGB-Offizier. Österreich habe das Recht, den europäischen Haftbefehl nicht umzusetzen, wenn die Tat vor der Implementierung erfolgt sei. Der KGB-Offizier soll die ihm von Litauen zur Last gelegten Kriegsverbrechen 1991 begangen haben.

„Rechtlich gesehen ist diese Frage völlig eindeutig“, sagte Reding. „Aber wir dürfen die politische Dimension nicht vergessen“, mahnte die Kommissarin. „Ich habe alle Justizminister daran erinnert, dass sie dazu verpflichtet sind, ehrlich und offen zusammenzuarbeiten“, sagte Reding.

„Die Haftentlassungsentscheidung ist rechtskonform gefallen“, betonte Karl gegenüber der APA. Mit ihrem litauischen Amtskollegen Remigijus Simasius habe sie nach etwa einstündigen bilateralen Gespräche vereinbart, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzuberufen, die noch offene Fragen klären soll. „Ziel ist es, die Wogen wieder zu glätten“, sagte Karl. „Die Beziehungen zwischen Österreich und Litauen sind gut“, betonte die Ministerin.

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