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Mit freien Daten zum Erfolg

Das Team der freien Weltkarte OpenStreetMap (OSM) ist in nur sieben Jahren von einer Person mit GPS-Gerät und PC auf rund 400.000 registrierte Freiwillige gewachsen. Es ist eine Demonstration des Open-Source-Gedankens und des Internets als freie Plattform zur übernationalen Zusammenarbeit. ORF.at sprach mit OSM-Gründer Steve Coast über die Bedeutung des Raums im Internetzeitalter.

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ORF.at: Wie sind Sie 2004 auf die Idee gekommen, OpenStreetMap zu gründen?

Steve Coast: Ich habe in London Physik und Informatik studiert, aber ich habe mein Studium nicht abgeschlossen, weil mich OpenStreetMap so sehr begeistert und beansprucht hat. Jetzt arbeite ich in Seattle bei Microsoft, bin verheiratet - und fühle mich alt.

Der Start von OpenStreetMap war einfach. Ich hatte ein GPS-Gerät und einen Laptop und ich konnte die beiden Maschinen miteinander verbinden. Ich hatte zwar eine Software, die meinen Standort registrieren und anzeigen konnte, aber mir fehlte das dazugehörige Kartenmaterial. Es schien mir also eine gute Idee zu sein, meine Wege mit dem GPS-Gerät zu dokumentieren und meine eigenen Karten zu zeichnen.

Ich schrieb zu diesem Zweck ein Programm und gab es frei, so dass es jeder nutzen konnte. Der logische Schritt war, es so zu machen wie die Wikipedia. Ich dachte mir: Wenn die mit Hilfe von Freiwilligen die Welt als Text beschreiben können, dann können wir das auch mit Karten.

ORF.at: Wie sind Sie vorgegangen, um Mitstreiter zu finden?

Coast: Ich habe sehr viele Vorträge gehalten, vor allem bei Veranstaltungen von Linux-Nutzergruppen in Großbritannien und Kontinentaleuropa. Das war für mich der erste wichtige Schritt, weil Linux-Nutzer das Konzept hinter OpenStreetMap sofort verstanden haben.

Wichtig waren auch die Mapping-Partys, Veranstaltungen, die über einen Tag oder ein Wochenende gingen und bei denen Freiwillige einen bestimmten Ort für die OpenStreetMap erfassten. Wir brachten den Leuten auch bei, wie sie mit GPS-Geräten umgehen und die Daten ins Netz bringen konnten.

ORF.at: Wie hat sich die technische Infrastruktur des Projekts entwickelt?

Coast: Es begann ganz bescheiden mit der Software auf meinem PC. Heute ist die OpenStreetMap so umfangreich, dass man zu ihrem Betrieb leistungsfähige Server und eine exzellente Anbindung ans Netz braucht. Ich weiß nicht genau, wie viele Maschinen wir haben, es werden so um die 30 sein.

Wir haben Rechner an zwei Universitäten in Großbritannien stehen, es gibt aber auch Maschinen in anderen Ländern. Große OSM-Gruppen wie die in den USA oder in Deutschland haben ihre eigenen Server.

ORF.at: Können Sie ungefähr sagen, welchen Anteil an der Erdoberfläche OSM bereits erfasst hat?

Coast: Das lässt sich nur sehr schwer sagen. Man müsste es mit einer anderen Karte vergleichen, aber dafür fehlen uns die Rechte. Es gibt aber wissenschaftliche Untersuchungen, in deren Rahmen das OSM-Material mit proprietären Karten verglichen wurde.

Es stellte sich heraus, dass unsere Karten genauso gut oder schlecht waren wie die kostenpflichtigen - aber das gilt nur für Orte, wo wir auch Nutzer haben. In den großen Städten sind wir so gut wie jede andere Karte, auch wenn bestimmte Daten wie Adressen je nach Verfügbarkeit fehlen können. Auf dem Land sind wir derzeit noch schwach.

ORF.at: Karten haben immer auch eine politische Dimension. Gerät OSM in Konflikte mit Regierungen?

Coast: Bisher nicht. Wir erfassen schließlich keine geheimen Militäranlagen oder Ähnliches. Natürlich gibt es Länder, die mit ihren Daten sehr restriktiv umgehen.

ORF.at: Sie vergleichen OSM gern mit der Wikipedia. Dort gibt es oft harte Kämpfe um die Inhalte - und Vandalismus.

Coast: Das Problem bei Wikipedia ist ja, dass man beispielsweise über Politiker, die darin vorkommen, geteilter Meinung sein kann. Wir können verschiedene Meinungen über Angela Merkel haben. Aber wir können uns darauf einigen, dass Budapest existiert und wo es liegt. Es gibt keine Grundlagen für Meinungsverschiedenheiten.

Es gibt schon Fälle wie Zypern, wo sich Menschen unter anderem über den Namen von Orten streiten. Aber auch dort gibt es keinen Vandalismus. Die Leute können die Namen in beiden Sprachen eintragen und streiten sich dann höchstens darüber, welcher Name zuoberst angezeigt wird. Bei uns geht es um Fakten, die wenig Spielraum für Diskussionen bieten.

ORF.at: Wohin geht der Trend in der Onlinekartographie? In Richtung Echtzeitinformation?

Coast: Ganz klar. Früher wurden Karten alle paar Monate auf den neuesten Stand gebracht. OpenStreetMap wird minütlich aktualisiert. Die Karte selbst wird niemals fertig sein. Es kommen immer neue Gebiete und Details hinzu.

Auch aktuelle Änderungen müssen schnell eingearbeitet werden. Es gibt Phänomene wie Straßen, die nur zu bestimmten Tageszeiten geöffnet sind. Das müssen wir einarbeiten, damit die Routenplanung funktioniert.

ORF.at: Open Data, also die Öffnung nicht personenbezogener Verwaltungsdaten zur freien Auswertung durch Dritte, ist ein wichtiges Thema weltweit. Kann auch OpenStreetMap davon profitieren?

Coast: Definitiv! Als wir angefangen haben, sind oft Leute zu mir gekommen und wollten, dass wir mit ihnen für die Freigabe von Daten der öffentlichen Verwaltung kämpfen. Ich hatte schon vorher berufliche Erfahrung mit diesem Thema gesammelt und wusste, dass es nicht einfach werden würde, den Staat dazu zu bewegen.

Mittlerweile sind freie Projekte wie die Wikipedia oder OpenStreetMap schon so groß und wichtig geworden, dass staatliche Institutionen mitbekommen haben, dass sie sich öffnen müssen, wenn sie relevant sein wollen.

Es ergibt keinen Sinn, dass die Steuerzahler einen Haufen Geld für Datenerhebungen ausgeben und die Ergebnisse dann in dunklen Kellern endgelagert werden, wo sie niemandem nutzen.

ORF.at: Man liest oft, dass das Internet die Bedeutung von Raum und Zeit verändert hat. Was bedeutet Ihnen der Raum im Netzzeitalter?

Coast: Ich glaube, dass die neuen Technologien es uns ermöglichen, den Raum effizienter zu nutzen und ihn besser zu erforschen. Wir haben bei Microsoft eine iPhone-App für das Bildmontagesystem Photosynth veröffentlicht, mit der sich Panoramen von Räumen anfertigen und ins Netz hochladen lassen.

Damit öffnen wir den Raum - und zwar auch für Leute, die an Ort und Stelle leben, aber beispielsweise dieses Hotel noch nie von innen gesehen haben. Für mich als Reisenden ist es praktisch, weil ich dann sehen kann, wie ein bestimmtes Hotel am anderen Ende der Welt aussieht, bevor ich dort ein Zimmer buche.

Das Netz hebt einerseits in gewisser Weise den Raum auf, andererseits macht es ihn auch wertvoller und besser sinnlich erfahrbar.

ORF.at: Als Sie OSM gestartet haben, wurden Onlinekarten noch hauptsächlich auf stationären Rechnern betrachtet. In der Zwischenzeit wurde mit dem Smartphone-Boom die mobile Nutzung wichtiger. Inwieweit mussten Sie die Karten und die Anwendungen an diese Situation anpassen?

Coast: Man kann da schon technisch etwas machen, beispielsweise in den Hintergrundbildern die Farbtiefe verringern, damit sie schneller geladen werden können. Die echte Revolution im Zusammenhang mit OSM bestand aber darin, dass nun viele Leute einen ziemlich guten Computer mit GPS in der Tasche haben.

Viele Apps haben OSM integriert, weil es so flexibel eingesetzt werden kann. Man kann auf Smartphones sogar die Karten verändern, aber die Größe des Bildschirms setzt hier natürlich Grenzen. Man kann aber wichtige Orte - Points of Interest - damit recht gut von unterwegs aus markieren.

ORF.at: Sie sind im November 2010 zu Microsoft gewechselt. Welche Aufgaben nehmen Sie dort wahr?

Coast: Ich arbeite an verschiedenen Werkzeugen für Bing Maps mit und informiere über OpenStreetMap - sowohl auf Kongressen wie diesem als auch intern bei Microsoft. Ich reise viel, halte Vorträge und sammle Wissen über Kartographie.

ORF.at: Arbeiten Sie noch an OSM mit? Sind Sie noch ein „Mapper“, der Straßen und Wege erfasst?

Coast: Ja, klar! Ich habe aber nicht mehr so viel Zeit wie früher - und leider macht das Radfahren in den USA nicht so viel Spaß wie in England. Ich mappe nämlich am liebsten beim Radfahren.

ORF.at: Wie sieht der nächste Schritt in der Entwicklung von OpenStreetMap aus?

Coast: Wir müssen das System so weit entwickeln, dass sich damit zuverlässig Routenplanung betreiben lässt. Wir brauchen Informationen über Einbahnstraßen, Abbiegeverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Ampeln. Das ist viel Arbeit, aber es ist der logische nächste Schritt in unserer Entwicklung.

Das Gespräch führte Günter Hack, ORF.at

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