1905 wurde der erste Tunnel eröffnet
Ein massiver Alpenbogen durchzieht Österreich von Westen nach Osten. Die wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen sind die Brenner-, die Tauern- und die Pyhrn-Route. Letztere ist die kürzeste und auch die niedrigste Verbindung zwischen Mittel- und Südosteuropa. Dennoch stellte der Bau eines Tunnels vor über hundert Jahren die Ingenieure vor besondere Herausforderungen.
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Die Verbindung zwischen Oberösterreich und Steiermark über den Pyhrnpass war während der Bronze- und Eisenzeit einer der wichtigsten Übergänge der Kalkalpen. Die Römern bauten die „Via Norica“ zu einer richtigen Straße aus, und im Mittelalter war die Passstraße immer wieder Austragungsort erbitterter Kämpfe. In der Neuzeit wurde der Weg über Berg aber zunehmend beschwerlich - und die Pläne für einen Tunnel nahmen Gestalt an.
Kaiserliche Pläne einer „Alpenbahn“
Die ersten Ideen für einen Tunnel zwischen dem oberösterreichischen Spital am Pyhrn und dem steirischen Ardning entstanden schon im 19. Jahrhundert. Im Rahmen des großen Infrastrukturprojekts „Neue Alpenbahnen“ entschied sich der Kaiserliche Hof 1901 dann für die Trassenführung durch den Großen Bosruck.
Schon damals setzten die Ingenieure auf modernste Methoden. So wurde im Vorfeld am Schreienden Bach ein Wasserkraftwerk an der Nordseite des Berges errichtet, das es für damalige Verhältnisse auf eine gute Leistung von 300 PS brachte. Die Energie wurde unter anderem dazu verwendet, ein ausgeklügeltes Belüftungssystem im Tunnelstollen zu betreiben.
Mit der Leistung von zehn Rasenmähern
Die Pläne sahen vor, dass der Vortrieb auf der Südseite durch Handbohrung, auf der Nordseite, wo durch das Kraftwerk genügend Energie vorhanden war, durch maschinelle Bohrung erfolgen soll. Der damals verwendete Bohrwagen war mit vier Bohrmaschinen bestückt, die es zusammen auf 18 PS brachten - das entspricht ungefähr der Leistung von zehn Rasenmähermotoren. Mit einer Geschwindigkeit von 2,80 Metern pro Tag auf der Nordseite und 1,40 Metern auf der Südseite drang man langsam in den Berg vor.
Als der Schreiende Bach versiegte
Doch der Berg hielt auch unliebsame Überraschungen bereit. Nach wenigen hundert Metern stieß man auf der Nordseite plötzlich auf starke Wasserquellen. Schnell wurde klar, dass der Wassereinbruch im Zusammenhang mit dem Schreienden Bach stand. Je mehr Wasser in den Stollen drang, desto schwächer wurde der für die Energiegewinnung immens wichtige Bach. Im Juni 1904 versiegte sein Wasserlauf ganz.
Mit Volldampf voran
Auf der Südseite wurde deshalb bereits im Dezember 1903 eine Dampfmaschine errichtet um die Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Doch durch den Ausfall des Bachs wurde die Belüftung stark beeinträchtigt. Dadurch musste der maschinelle Vortrieb, der enorm viel Sauerstoff verbrauchte, unterbrochen werden. Ab Stollenmeter 1.528 konnte man dann überhaupt nur noch händisch weiterarbeiten.
Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Bald ging auch auf der Nordseite eine Dampfkraftanlage in Betrieb. Die Tagesleistung konnte auf bis zu 5,5 Meter pro Tag angehoben werden und am 22. November 1905 erfolgte der Durchschlag des Nordstollens zum Südstollen. Zu diesem Zeitpunkt wurde dank elektrischer Beleuchtung bereits Tag und Nacht in den Stollen gearbeitet. Sieben Monate später erfolgte die Fertigstellung.
Arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen
Obwohl der Tunnel mit seinen 4.766 Metern einer der kürzesten durch die Alpen ist, gab es aufgrund der geologischen Gegebenheiten eine Reihe von Schwierigkeiten. Der erste Zwischenfall ereignete sich bereits nach rund 500 Metern. Ein Wassereinbruch mit 800 Litern in der Sekunde verlegte den Sollen komplett. Die Belegschaft konnte sich im letzten Moment retten.
Immer wieder trat eiskaltes Wasser ein, die Arbeiten in dem nur zwölf Grad kalten Stollen wurden immer schwieriger. Die Schichten wurden auf vier Stunden reduziert und die Löhne deutlich angehoben. Doch viele Männer wurden krank oder mussten wegen der schlechten Luft den Tunnel verlassen.
Verheerende Explosion im Stollen
Die eigentliche Katastrophe ereignete sich jedoch am 22. Mai 1905. Ein besonders starker Wassereinbruch auf der Südseite hatte den gesamten Stollen erneut unter Wasser gesetzt, und die Kumpel mussten aus dem Berg flüchten. Doch mit den Wassermassen war auch unerwartet Methan ausgetreten. Als fünf Tage nach der „Sintflut“ eine Gruppe von 14 Arbeitern in den Stollen einfuhr, um Arbeitsgerät zu bergen, entzündete sich das hochexplosive Luft-Gas-Gemisch in einem grellen Lichtblitz. Die Männer waren sofort tot. Auch zwei Kumpel die helfen wollten, kamen durch die Giftgase ums Leben.
Eröffnung ohne den Kaiser
Trotz aller Widrigkeiten wurde am 20. August 1905 bei strömendem Regen der Tunnel feierlich mit der Durchfahrt von schön geschmückten Zügen eingeweiht. Der Kaiser selbst hatte es vorgezogen, in Wien zu bleiben. Vielleicht auch weil er zu diesem Zeitpunkt bereits die Kosten auf dem Tisch liegen hatte. Die Baukosten des Eisenbahntunnels betrugen 9,4 Mio. Kronen und lagen damit deutlich über dem Kostenvoranschlag von 5,5 Mio. Kronen.
Siegeszug des Automobils
Gleichzeitig mit der Eröffnung des Eisenbahntunnels begann in Österreich auch der Siegeszug des Automobils. Waren 1907 erst 7.700 Kraftfahrzeuge registriert, waren es vier Jahre später bereits 16.450. Dennoch dauerte es 70 Jahre, bis man auch über einen Autobahntunnel durch den Bosruck nachdachte. 1975 wurde die Pyhrnautobahn AG mit der Herstellung beauftragt, 1983 wurde der einröhrige Tunnel dann dem Verkehr freigegeben.
Bald zweiröhrig durch den Berg
Die Erfahrungen beim Bau des Eisenbahntunnels halfen, den Tunnel schneller und ohne gröbere Vorkommnisse fertigzustellen. Durch eine etwas geänderte Trassenführung hatte man auch keine Wassereinbrüche mehr. Durch den Einsatz der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise verlief der Bau so problemlos, dass die veranschlagten Kosten von 1,7 Mrd. Schilling sogar um 400 Mio. unterschritten wurden.
Seit 2009 wird an der zweiten Tunnelröhre gearbeitet. Mit der Fertigstellung wird 2013 gerechnet. Im August 2011 wurde der Durchschlag gefeiert. Eigentlich sollten sich Nord- und Südstollen erst im Herbst 2011 treffen, doch der Zeitplan konnte deutlich unterschritten werden.
Alte Faustregel außer Kraft gesetzt
Und auch eine ehemals gängige Faustregel konnte außer Kraft gesetzt werden. „Pro Kilometer Stollen ein Toter“ hieß es lange im Tunnelbau. Beim Autobahntunnel durch den Bosruck starb nur ein einziger Arbeiter. Der Mann wurde außerhalb des Tunnels durch einen Steinschlag getötet. Die zweite Tunnelröhre forderte bisher sogar kein einziges Todesopfer.
Doch auch wenn es mit dem Bau rasch vorangeht, und die zweite Röhre wohl bereits 2013 freigegeben wird, müssen die Autofahrer noch etwas Geduld mitbringen. Da die 30 Jahre alte Oströhre durch Gesteinsverschiebungen stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, müssen zuvor dort die Sanierungsarbeiten abgeschlossen werden. Durch zwei Röhren wird die Pyhrnautobahn dann 2015 durch den Bosruck geführt.
Quelle: „Die Straße durch den Bosruck“ von Peter Müller
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