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Keine Lizenz zum Bewerten

Seit Jahren werden die drei den Weltmarkt dominierenden US-Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch für die Verschärfung der Finanz- und der Euro-Krise verantwortlich gemacht. Erst am Montag hatte S&P mit seiner Ankündigung, die geplante Beteiligung von Privatgläubigern an der Griechenland-Rettung als Zahlungsausfall zu bewerten, für scharfe Kritik und Empörung gesorgt.

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Nun verschärft die EU offenbar nicht nur den Ton gegenüber den US-Agenturen, sondern nimmt sie tatsächlich ins Visier. So wurden unmittelbar, nachdem die neu geschaffene Europäische Marktaufsichtsbehörde (ESMA) mit Monatsbeginn die alleinige Verantwortung zur Überwachung der Ratingagenturen übernommen hat, die neuen Möglichkeiten angewandt. Konkret hat die italienische Börsenaufsicht CONSOB im Auftrag von ESMA am Montag Vertreter der US-Ratingagentur Standard & Poor’s zum Zeitpunkt und zu den Quellen ihrer Bewertung des jüngst vorgestellten italienischen Sparpakets befragt.

Mitschuld an Euro-Krise?

Kritiker werfen den Agenturen vor, durch die Senkung der Kreditwürdigkeit mehrerer Euro-Länder die Krise der Euro-Zone mitverursacht zu haben. Die Agenturen werden auch für die Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 mitverantwortlich gemacht, welche die weltweite Finanzkrise auslöste. Mit zu guten Ratings hätten sie über die Schieflage der Bank hinweggetäuscht.

„Indiskretionen der Presse“

Die Befragung habe zwei Stunden gedauert, sagte ein Sprecher der CONSOB am Abend. Die Vertreter der Ratingagentur hätten Antworten geliefert, müssten aber noch Dokumente nachreichen. Die Regierung in Rom hatte am Donnerstagabend ein Sparpaket verabschiedet. Bereits Freitagmittag, als die Börsen also noch geöffnet waren, veröffentlichte S&P seine Bewertung - in der Tendenz negativ.

Die Börsenaufsicht kritisierte, die Einzelheiten des Sparplans seien noch gar nicht offiziell bekannt gewesen, die Bewertung der Ratingagentur fuße wohl lediglich auf Spekulationen in den Medien. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei fragwürdig, da die Bewertung die Kurse beeinflussen konnte. Die CONSOB hatte die Ratingagenturen vor einem Jahr aufgefordert, ihre Bewertungen erst dann zu veröffentlichen, wenn die Börsen geschlossen sind.

Am Freitag will die Börsenaufsicht auch Vertreter der Ratingagentur Moody’s vorladen. Sie sollen befragt werden, weil am Tag nach der Veröffentlichung der Moody’s-Bewertung die Kurse der italienischen Banken an der Börse sehr stark gefallen waren. Auch die ESMA in Paris soll sich in der kommenden Woche mit den Vorgängen befassen, wie der Sprecher der CONSOB sagte. Die Behörde war als Konsequenz aus der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise geschaffen worden. Sie nahm ihre Arbeit zu Jahresbeginn auf.

„Nicht blindlings übernehmen“

Die ESMA legte sich mit Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch direkt an und drohte ihnen mit der Versagung ihrer Zulassung, sollten sie die europäischen Bewertungsregeln nicht einhalten. Der Chef der ESMA, Steven Maijoor, sagte Ende Juni der „Financial Times Deutschland“: „Wir sollten nicht blindlings das regulatorische System von Drittländern übernehmen.“

Wenn sich die großen Ratingagenturen nicht an die Regeln in Europa hielten, könnten sie auch nicht zugelassen werden. Damit unterstrich Maijoor den Anspruch der Europäer, mit ihren Regulierungsregeln in Abgrenzung zu den USA eigene Standards für die Risikobewertung zu setzen. Wird ihnen die Lizenz von der neuen Aufsicht versagt, können ihre Ratings in Europa nicht mehr genutzt werden. Maijoor verlängerte zuletzt die Frist für die Zulassung um drei Monate, nachdem die US-Agenturen keine ausreichenden Unterlagen eingereicht und sich offenbar auf ihre Marktmacht verlassen hatten.

Vorstoß für EU-Agentur

Und auch die Bemühungen um den Aufbau einer eigenen europäischen Ratingagentur kommen offenbar langsam in die Gänge. Die Unternehmensberatung Roland Berger übernahm die Initiative für eine Agentur, deren Sitz Frankfurt sein soll. Gesprächspartner sind die hessischen Landesregierung, die Deutsche Börse sowie die Finanzmarktinitiative Frankfurt Main Finance.

Auch Kanzler Werner Faymann (SPÖ) schloss sich am Dienstag der Kritik an den US-Agenturen, die am Montag Nationalbank-Chef Ewald Nowotny eingeläutet hatte, an. Diese hätten in der Finanzkrise häufig die Spekulationen vorangetrieben. Es sei höchst an der Zeit für eine europäische Ratingagentur, so Faymann, der eine entsprechende Initiative auf EU-Ebene starten will.

Große Marktmacht

Ratingagenturen bewerten die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und von Staaten. Wird das Ausfallsrisiko von Krediten an eine Firma oder einen Staat von ihnen höher eingeschätzt, verlangen Banken und Investoren höhere Zinsen. Damit haben Ratingagenturen erheblichen Einfluss auf die Finanzmärkte.

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