Integration bleibt Ländersache
Im April legte der EU-Ratsvorsitzende Zoltan Balog einen EU-weiten „Rahmenplan für nationale Roma-Strategien“ vor. Vergangenen Freitag wurde das Papier auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet. Entscheidend ist, wie die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten kontrolliert werden soll.
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Die EU-Kommission verpflichtet alle 27 Mitgliedsstaaten, bis Ende des Jahres eine nationale Roma-Strategie vorzulegen und je nach der nationalen Situation der Roma Hilfsprogramme im Kampf gegen die Armut und Diskriminierung der Minderheit zu entwickeln. Sie müssen darlegen, wie sie die Reformprogramme bis zum Jahr 2020 erreichen wollen. Die Kommission wird jährlich überprüfen, ob es zu Fortschritten gekommen ist.
Roma sollen so endlich Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum bekommen. „Der Rahmen setzt dort an, wo auf nationaler und lokaler Ebene noch Probleme bestehen“, so die EU-Justizkommissarin Viviane Reding gegenüber ORF.at.
Keine Durchgriffsmöglichkeiten
Zwar wurde die Roma-Strategie in Brüssel gelobt und vom EU-Parlament einstimmig gebilligt. Wirkliche Durchgriffsmöglichkeiten hat die EU-Kommission bei der Umsetzung aber nicht. Die Mitgliedsstaaten würden nur eine politische, keine rechtliche Verpflichtung eingehen, so der ungarische Minister für soziale Integration, Zoltan Balog. Die Verantwortung für die zukünftige Integration der Roma liegt bei den Mitgliedsstaaten, da die EU nicht für die relevanten Politikfelder zuständig ist. Einige stellen sich bereits quer.
Fehlender Wille der Nationalstaaten
Deutschland sprach sich etwa gegen verpflichtende Maßnahmen für alle Mitgliedsländer aus, weil die Roma in der deutschen Regierung bereits gut integriert seien. Angesichts ihres geringen Anteils an der Bevölkerung will das Land keine gesonderte Strategie zur Roma-Integration entwerfen, sondern die Minderheit im Rahmen bestehender Programme fördern.
Auch Tschechien lehnt eine neue Strategie ab, wie Rob Kushen, Leiter des Europäischen Zentrums für Roma-Rechte, der „Süddeutschen Zeitung“ mitteilte. Es gebe bereits eine Roma-Strategie, und diese würde laut tschechischen Behörden ausreichen. Dabei wird Tschechien immer wieder dafür kritisiert, dass es gesunde Roma-Kinder in Sonderschulen für geistig Behinderte abschiebt. Die Arbeitslosenquote der Roma liegt in der Republik bei 70 Prozent. Rob Kushen erwarte von dem Papier deshalb keinen echten Verbesserungen.
„Ethnische Säuberungen“
Die Lage der Roma in Europa ist prekär. Vergangenen Herbst verwies Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Roma-Gruppen des Landes. Auch Italien und skandinavische Länder versuchten mit Abschiebungen, das Roma-Problem zu „lösen“. Immer wieder ist die Minderheit Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. 2009 wurden in Ungarn Roma-Familien wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ermordet. In Tschechien schob man Roma-Kinder in Sonderschulen ab und in der Slowakei baut man Mauern um Roma-Ghettos, um die Minderheit vom Rest der Bevölkerung abzuschotten.
„Bei Nichteinhaltung droht Rückzahlung“
„Auch wenn in erster Linie die Mitgliedsstaaten oder die Regionen zuständig sind, so kommt der EU doch eine wichtige Koordinierungsrolle zu“, bekräftigt EU-Justizkommissarin Reding. Eine Roma-Task-Force der EU-Kommission soll die Umsetzung der Strategien jedes Jahr überprüfen. Die Mitgliedsstaaten müssen nationale Kontaktstellen nennen, die die Umsetzung der Integrationsstrategie begleiten, überwachen und darüber berichten.
Bei der Kontrolle spielt auch die EU-Grundrechteagentur in Wien eine wichtige Rolle. Sie sammelt Daten über Fälle von Diskriminierung in Europa und soll die Lebensumstände der Roma in den einzelnen Mitgliedsländern analysieren.
Tatsächlich eingreifen kann die EU-Kommission aber nur, indem sie den Geldhahn abdreht. „Gelingt es den Mitgliedsstaaten nicht, das Geld zweckgerecht zu verwenden, müssen sie im schlimmsten Fall die Mittel an die EU zurückerstatten“, so Reding. Das sei aber nicht das Ziel der neuen Roma-Strategie. Sie wünsche sich viel eher, „dass alle Europäerinnen und Europäer, egal welcher ethnischen Gruppe sie angehören, die gleichen Rechte haben, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis“.
Elisabeth Semrad, ORF.at
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