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Hoffnung für Europas Wirtschaft

Fast die Hälfte der Roma-Kinder schließt die Grundschule nicht ab. Die ethnische Minderheit ist auf dem europäischen Arbeitsmarkt kaum integriert. Laut einer Studie der Weltbank könnte die bessere Eingliederung der Volksgruppe auf dem Arbeitsmarkt aber einigen Ländern jährliche Wirtschaftsgewinne von 0,5 Milliarden Euro bringen.

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Während die Roma laut Volksgruppenverbänden auf dem österreichischen Arbeitsmarkt nach und nach Fuß fassen, gibt es in osteuropäischen Ländern wie Tschechien und der Slowakei noch großen Nachholbedarf. Auf der Dreiländerkonferenz „Roma auf dem Arbeitsmarkt“, die kürzlich im ÖGB-Haus in Wien stattfand, haben Betriebsräte, Gewerkschaftssekretäre und Betroffene aus Tschechien, der Slowakei und Österreich über die arbeitsmarktspezifischen Probleme und etwaige Lösungsansätze diskutiert.

Roma in Österreich

Über Roma in Österreich gibt es keine genauen Zahlen. Laut dem Verein THARA, der Roma-Jugendliche bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt unterstützt, leben rund 50.000 bis 100.000 Roma als „offene oder versteckte Minderheiten“ in Wien. Seit 1993 ist die Volksgruppe in Österreich anerkannt und durch Institutionen und Vereine wie den Kulturverein Österreichischer Roma, das Romano Centro und den Verein Ketany für Sinti und Roma vertreten.

Österreich könne ein Vorbild sein, denn Roma seien hierzulande auf dem Arbeitsmarkt bereits gut integriert, resümierte zuletzt Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma. „Wir bemühen uns gemeinsam mit dem Arbeitsmarktservice, den Gewerkschaften, Betrieben und der Wirtschaftskammer, Roma-Jugendlichen schon vor Schulabschluss Lehrstellen und Arbeitsplätze zu vermitteln. Und wir finden sie auch.“ Konkrete Zahlen dazu gibt es nicht. Die Roma seien laut Sarközi in Österreich bereits in allen Berufen tätig – vom Lehrling bis zum Akademiker.

Arbeitslosenquote von 70 Prozent

Anders sieht die Situation bei den osteuropäischen Nachbarn aus. In der Tschechischen Republik, wo die Volksgruppe knapp zwei Prozent der Bevölkerung ausmacht, finden Roma aufgrund fehlender Schul- und Berufsbildung sowie Diskriminierung auf dem Arbeitsplatz kaum Jobs. „Die Arbeitslosenrate in Tschechien liegt derzeit bei 8,3 Prozent. Bei den Roma liegt sie bei 70 Prozent“, sagt Wail Khazal von der tschechischen NGO IQ Roma Service. „Nicht, weil sie nicht gewillt wären zu arbeiten, sondern weil das Ausbildungsniveau zu gering ist.“

Wie aus einem aktuellen Bericht der UNO-Kulturorganisation UNESCO hervorgeht, schließt fast nur die Hälfte der Roma-Kinder die Grundschule ab. „80 Prozent der Kinder in den tschechischen Sonderschulen sind Roma-Kinder“, so Khazal. „Über ein gewisses Ausbildungsniveau kommen sie nie hinaus, deshalb können sie keine weiterführenden Schulen besuchen.“ Und die Jobchancen schwinden. „Hilfreich bei der Integration von Roma auf dem Arbeitsmarkt sind in Tschechien vor allem die ausländischen Unternehmen“, sagt Wail Khazal, von der NGO IQ Roma Service. „Denn die machen keinen Unterschied zwischen Roma und Nicht-Roma.“

Auch in der Slowakei stehen die Chancen für Roma auf dem Arbeitsmarkt schlecht. „Man sieht keine Resultate. Trotz guter Wirtschaftszahlen in den Jahren 2007 und 2008 hat sich an der Arbeitsmarktsituation der Roma nicht verbessert“, sagt Peter Pollak von der slowakischen Assoziation der Arbeitgeber für Roma (AZR). „Einige Firmen holen lieber Arbeitskräfte aus Rumänien oder Bulgarien ins Land, bevor sie Roma einstellen.“

Schwache Gewerkschaften

Anders als in Österreich haben sie in Tschechien und der Slowakei keine starken Gewerkschaftsverbände hinter sich. „Bis jetzt haben Roma nicht an den Gewerkschaften der Slowakei partizipiert“, so Pollak. Die Integration auf dem Arbeitsmarkt und ein existenzsicherndes Einkommen seien aber die Grundvoraussetzung für die Eingliederung in die Gesellschaft. „Betriebsräte sollen in Zukunft mehr Einfluss auf die Unternehmer nehmen“, sagt Marcus Strohmeier vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). „Eine mächtige Organisation wie ein Gewerkschaftsbund hat die Pflicht, gegen Rassismus aktiv zu werden. Und der sitzt in Tschechien und der Slowakei noch tief.“

Roma leiden in den postkommunistischen Gesellschaften an dem neu aufflammenden Nationalismus. „In der Slowakei sind die Menschen gegenüber Roma viel konservativer, intoleranter und radikaler als in der Tschechischen Republik, Tendenz steigend“, sagt Peter Pollak. „Wenn man in der Slowakei als Roma geboren wird, bedeutet das, das ganze Leben in Armut und in ständigem Konflikt mit der Gesellschaft zu leben.“

Großes wirtschaftliches Potenzial

Doch Europa braucht die Volksgruppe. Auch wirtschaftlich. „Wir sollten uns klarmachen, dass wir in den alternden Gesellschaften Europas auf jedes Paar Hände und jeden klugen Kopf angewiesen sind“, sagt EU-Justizkommissarin Viviane Reding. „Ausgrenzung und Diskriminierung werden uns nicht weiterbringen.“

Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2010 zeigt, welchen Beitrag die Roma für die europäische Wirtschaft leisten können. Die volle Integration der Roma in den Arbeitsmarkt könnte einigen Ländern wie Bulgarien, Tschechien, Rumänien und Serbien jährliche Wirtschaftsgewinne von 0,5 Milliarden Euro bringen. Die Roma repräsentieren einen immer größeren Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Das Durchschnittsalter der Volksgruppe liegt bei niedrigen 25 Jahren, gegenüber 40 Jahren der gesamten EU-Bevölkerung. Jeder Dritte Roma ist unter 15 Jahre alt, in Gesamteuropa sind das nur 15 Prozent. „Wir müssen endlich begreifen, dass gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt ein Vorteil ist“, so Reding. „Leben wir das europäische Motto: In Vielfalt geeint.“

Elisabeth Semrad, ORF.at

Links:

  • Kulturverein Österreichischer Roma(www.kv-roma.at)
  • NGO IQ Roma Service
  • Österreichischer Gewerkschaftsbund(www.oegb.at)
  • ZUWINS(www.zuwins.at)
  • ZUWINBAT(www.zuwinbat.at)
  • UNESCO(www.unesco.at)
  • Weltbank