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Mischung aus Pop und Tradition

Sie sind zwischen 70 und 84 Jahre alt und begeistern das russische Publikum. Die Buranowo Babuschkas, eine Gruppe von Frauen aus dem russischen Udmurtien, singen Coverversionen bekannter Popsongs traditionell interpretiert und kratzen damit gewaltig am Image des Klischees der biederen russischen Großmutter.

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Die Frauen sprechen eine Sprache, die dem Finnischen viel ähnlicher ist als dem Russischen. Gemeinsames Singen hatte im Dorf Buranowo schon lange Tradition, und die Babuschkas musizieren bereits lange Jahre zusammen, berichtete der amerikanische Radiosender NPR. Doch erst vor drei Jahren schlug ein lokaler Fan den Damen vor, doch einmal modernere Musik zu probieren. Die Gruppe übersetzte Songs wie „Let it Be“ und „Yesterday“ von den Beatles sowie „Hotel California“ von den Eagles ins Udmurtische.

Als erste Videos der Babuschkas auf YouTube die Runde machten, wuchs ihre russische Fangruppe rapide an. Auch die Veranstalter der russischen Eurovision-Song-Contest-Vorausscheidung wurden auf die musizierenden Großmütter aufmerksam. 2010 nahmen die Buranowo Babuschkas tatsächlich an der groß inszenierten Show teil und traten dort gegen Kandidaten an, die - jung und flippig - ziemlich dem Durchschnitt der üblichen Song-Contest-Verdächtigen entsprachen.

Song-Contest-Teilnahme knapp verpasst

Mit ihren traditionellen Kostümen und dem farbenprächtigen Kopfschmuck konnten sich die Babuschkas zwar nicht durchsetzen - den Sieg und damit die Teilnahme am Eurovision Song Contest 2010 sicherte sich die Band Peter Nalitch & Friends mit der Ballade „Lost and Forgotten“.

Doch der im ganzen Land ausgestrahlte Auftritt machte die alten Frauen aus Buranowo zu nationalen Stars und erfüllte die Bevölkerung Udmurtiens mit Stolz. Die Gegend, aus der die Frauen stammen, gelangte bisher primär als Standort sowjetischer Waffenfabriken zu zweifelhafter Berühmtheit und ist unter anderem als Heimat von Michail Kalaschnikow, dem Erfinder des gleichnamigen vollautomatischen Gewehrs, bekannt.

„Viele Menschen haben Udmurtien mit Kalaschnikow verbunden. Ich glaube, die Buranowo Babuschkas sind jetzt unser neues bestes Markenzeichen“, schwärmen Einwohner von Buranowo.

Einnahmen für Kirchenwiederaufbau gestiftet

Für Organisatorisches und die Buchung von Auftritten haben die Frauen mittlerweile einen Agenten in Moskau gefunden. Den größten Teil der Einnahmen spenden sie für den Wiederaufbau der Kirche ihres Dorfes, die zu Stalins Zeiten zerstört wurde.

So modern die Frauen auch wirken mögen, sie verkörpern gleichzeitig auch eine traurige Seite des russischen Alltagslebens. Aufgrund von schlimmen Arbeitsbedingungen in Sowjetzeiten und einem weit verbreitetem Alkoholproblem heutzutage liegt die Lebenserwartung russischer Männer mit 62 Jahren weit unter der ihrer Frauen, die im Schnitt mehr als ein Jahrzehnt älter werden.

Seit Jahren verwitwet

Viele der singenden Babuschkas von Buranowo sind bereits seit Jahren Witwen. Doch anstatt die Tage einsam - dem Klischee entsprechend Gemüse schälend am Straßenrand - zu verbringen, haben sich die Buranowo Babuschkas zusammengetan, um zu musizieren. So auch Elisaweta Sarbatowa, die mit ihren 84 Jahren die älteste Sängerin der Gruppe ist.

Ihr Mann verunglückte 1957 an seinem Arbeitsplatz - seit damals lebt Sarbatowa alleine. „Nachdem ich meinen Mann verloren habe, habe ich eine Art Gabe entdeckt: das Talent, Musik zu komponieren“, erklärte die Sängerin in einem Interview. „Musik kommt direkt aus dem Herzen, auch mein Leiden kommt aus meinem Herzen.“

Mit Armprothese auf der Bühne

Die 72-jährige Valentina Pyattschenko verließ ihren Mann 1984, kurz bevor er an den Folgen seines Alkoholismus verstarb. Sie schlug sich alleine durch das Leben, was ihr nicht immer leicht fiel und der rüstigen Frau schließlich auch einen Arm kostete: Als sie ein neues Vordach für ihr Häuschen bauen wollte, rutschte sie mit der elektrischen Säge ab und amputierte sich so den rechten Unterarm. „Schuld war meine Jacke, irgendwie hat sich die Säge in der Jacke verfangen“, erklärte Pyattschenko ihren schicksalshaften Unfall.

Sie trägt heute zwar eine Prothese, doch das billige Modell ist für die alte Frau zu schwer. So trägt sie ihn ausschließlich auf Konzerten, auf denen sie singt, lächelt und tanzt, als ob der Arm ihr eigener wäre. „Ich bin eine Optimistin, sie werden mich nie jammern hören.“

Die positive Einstellung verbindet alle Mitglieder des Chors. Für die Zukunft haben die Babuschkas viele Pläne, wenn man sie fragen würde, dann würden sie auch gerne erneut an der Song-Contest-Ausscheidung teilnehmen, erklärten sie gegenüber NPR. Doch vor allem wollen sie auf den Konzertreisen und beim gemeinsamen Musizieren Spaß haben.

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