Aufruf an 750.000 Beamte
In Großbritannien könnten am Donnerstag bis zu 750.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes und Lehrer einem Streikaufruf ihrer Gewerkschaften folgen. Grund dafür ist ein Streit mit der Regierung über deren Reformpläne für das Pensionssystem. Damit zeichnet sich der größte Arbeitskampf seit über 90 Jahren ab.
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Bei einer Verhandlungsrunde am Montag hätte sich zwar in einzelnen Punkten eine Annäherung abgezeichnet, insgesamt seien die Gespräche aber enttäuschend verlaufen, sagte der Generalsekretär der Gewerkschaft Public and Commercial Services Union (PCS), Mark Serwotka. Durch den Streik sollen am Donnerstag sowohl Schulen als auch Verwaltungsbüros geschlossen bleiben, im Flug-, Bahn- und Schiffsverkehr könnte es zu Problemen kommen.
Die britische Regierung unter dem konservativen Premierminister David Cameron plant, sowohl Pensionsantrittsalter als auch Pensionsbeiträge zu erhöhen. Die Höhe der Pension soll nicht mehr auf Basis des letzten Gehalts, sondern aus dem Einkommensschnitt während des Erwerbslebens berechnet werden.
Cameron: „Können so nicht weitermachen“
Cameron kritisierte die Streikpläne der Gewerkschaften und betonte, die Pläne der Regierung seien „fair“ und ein „guter Deal“, um die Pensionen für die kommenden Jahrzehnte abzusichern. Das ganze System stehe vor dem Zusammenbruch, wenn es nicht an die Tatsache angepasst werde, dass die Menschen heute länger lebten, sagte Cameron. „Wir können so wie bisher einfach nicht weitermachen.“ Konkret plant seine Regierung, das Pensionsantrittsalter für Beamte schrittweise von derzeit 60 auf 66 Jahre anzuheben.
Für die Gewerkschaften bedeuten die Pläne unter dem Strich: länger arbeiten, und das für deutlich weniger Geld. Für zahlreiche Angestellte des öffentlichen Sektors bringen sie das Fass endgültig zum Überlaufen. Camerons Regierung plant bereits einen Gehaltsstopp und den Abbau von mehr als 300.000 Stellen.
Gewerkschaften: „Wir werden gewinnen“
Angesichts dieser Vorhaben hatte der Generalsekretär der Gewerkschaft Unison, Dave Prentis, der britischen Regierung am Wochenende via „Guardian“ gedroht, sie werde den größten Arbeitskampf seit dem Generalstreik im Jahr 1926 erleben. Er vertritt rund 1,4 Millionen Staatsbedienstete. Die Gewerkschaften würden nach und nach sämtliche Sektoren der öffentlichen Verwaltung lahmlegen, warnte Prentis. „Und wir werden gewinnen.“
Wirtschaftsminister Vince Cable richtete via „Guardian“ am Mittwoch aus, die Streiks hätten „keine öffentliche Unterstützung“. Die Gewerkschaften, die zu den Streiks aufgerufen haben, hätten „kein starkes Mandat“. Die Streiks seien nun „verfrüht“, sagte Cameron via „Telegraph“. Es gäbe Gespräche mit den Gewerkschaften, aber Detailverhandlungen hätten noch nicht einmal begonnen. Unterrichtsminister Michael Gove erklärte in der „Sun“, dass „militante“ Lehrer, die sich am Arbeitskampf beteiligten, ihrem gesamten Berufsstand und den Schulkindern schaden würden. Auch er bezeichnete die Streiks als „verfrüht“ und „übertrieben“.
Sparstift von A bis Z
Die britische Regierung hatte ihre Detailpläne zur Reform des öffentlichen Dienstes am letzten Freitag vorgestellt. Ihr „Angebot“ auszuschlagen, sei ein „kolossaler Fehler“, warnte Finanzstaatssekretär Daniel „Danny“ Alexander. „Unser Angebot ist wahrscheinlich bei weitem das Beste, was in den kommenden Jahren auf den Tisch kommen wird.“ Die Beamtengewerkschaften drohten danach mit einem sofortigen Abbruch der Gespräche, Wirtschaftsverbände warnten die Regierung, vor den Drohungen einzuknicken.
Infolge der Wirtschaftskrise hatte die britische Regierung im vergangenen Herbst ein drastisches Sparprogramm beschlossen. In vier Jahren sollen 81 Milliarden Pfund (über 90 Mrd. Euro) eingespart oder durch Steuererhöhungen zusätzlich eingenommen werden. 490.000 Stellen im Öffentlichen Dienst fallen weg, Büchereien und Schwimmbäder müssen schließen, Schulgebäude werden nicht mehr renoviert, Kulturförderungen werden massiv gekürzt. Bereits im März waren in London Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Sparpakete zu protestieren.
Erinnerungen an Ära Thatcher
Zum längsten und heftigsten Arbeitskampf der jüngeren Geschichte war es in Großbritannien unter der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher, die Großbritannien von 1979 bis 1990 regierte, gekommen. Höhepunkt ihres Konflikts mit den Gewerkschaften und ihrer harten Privatisierungspolitik war der Bergarbeiterstreik (Miners Strike) 1984 und 1985, während dem es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei und Tausenden Festnahmen kam. Entzündet hatte sich der Zorn der Bergarbeiter an der Schließung zahlreicher Kohleminen. Im Mai 1926 führten Pläne für Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen - ebenfalls bei Bergarbeitern - zu einem landesweiten Generalstreik in Großbritannien.
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