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Kein Ende der Gewalt in Afghanistan

Der Krieg in Afghanistan ist in seinem zehnten Jahr, selbst Generäle glauben nicht mehr an einen militärischen Sieg. Präsident Hamid Karzai bestätigte am Wochenende erstmals Verhandlungen der USA mit den Taliban.

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Als vor bald einem Jahrzehnt der Einsatz des Westens am Hindukusch begann, schienen die Taliban bald vernichtend geschlagen. Das militärische Engagement, so die Hoffnung damals, werde überschaubar bleiben. Selten hat sich die Staatengemeinschaft so getäuscht.

Inzwischen ist in Washington und Brüssel klar, dass es eine militärische Lösung nicht geben wird. Der Westen und die afghanische Regierung setzen auf Verhandlungen mit den wiedererstarkten Taliban. Erstmals bestätigte Karzai am Wochenende, dass Gespräche laufen. Nur Stunden später wurde deutlich, dass ein Ende der Gewalt - wenn überhaupt - in weiter Ferne liegt.

„Gespräche haben begonnen“

„Die Gespräche mit den Taliban und anderen haben begonnen und, so Gott will, werden fortgesetzt“, sagte Karzai vor jungen Afghanen in der Hauptstadt Kabul. Besonders die USA seien in die Verhandlungen involviert, die eine politische Lösung des gewaltsamen Konflikts zum Ziel haben. Keine andere Nation ist in Afghanistan so stark engagiert wie die USA. Die Amerikaner stellen die mit weitem Abstand meisten Soldaten, sie entrichten den höchsten Blutzoll und sie zahlen am meisten: Alleine der Einsatz der US-Armee kostet die von der Wirtschaftskrise gebeutelte Supermacht nach Angaben der Zeitschrift „The Economist“ jährlich knapp 120 Milliarden Dollar.

Dass es Sondierungen zwischen den Kriegsparteien gibt, ist nicht neu: „Der Spiegel“ hatte bereits vor knapp einem Monat berichtet, der deutsche Sonderbeauftragte für Afghanistan, Michael Steiner, vermittle bei Geheimgesprächen zwischen Vertretern der US-Regierung und der Taliban. Von echten Friedensverhandlungen kann nach Ansicht von Experten aber noch lange nicht die Rede sein - allenfalls dürfte es sich um „Gespräche über Gespräche“ handeln.

Getrennte Sanktionslisten

Offiziell beharren beide Seiten auf ihren Positionen: Afghanische Regierung und Staatengemeinschaft verlangen von den Taliban, sich vom Terrornetz Al-Kaida loszusagen und die afghanische Verfassung anzuerkennen. Die Aufständischen stellen als Bedingung den Abzug der ausländischen Truppen - ohne die Karzai nicht überlebensfähig wäre. Hinter den Kulissen aber geraten die Dinge in Bewegung.

Der Weltsicherheitsrat beschloss am Freitag, künftig getrennte Sanktionslisten für Mitglieder von Al-Kaida und den Taliban zu führen. Das darf als Signal des höchsten UNO-Gremiums an die Taliban gewertet werden, die betonen, sie verfolgten anders als Al-Kaida keine globalen Ziele. Mit der Trennung wird es einfacher werden, Taliban-Anführer von der Liste zu tilgen. Die afghanische Regierung hat nach UNO-Angaben bereits eine Anzahl von Namen vorgelegt, die gestrichen werden könnten. Ziel Karzais ist es, ein politisches Klima zu schaffen, das einen Dialog fördern könnte.

Truppenabzug startet noch im Sommer

Unklar ist allerdings, wie verhandlungswillig die Taliban wirklich sind. Zwar heißt es, ihre in Pakistan vermutete Führung unter Mullah Mohammed Omar sei kriegsmüde, sie könnte aber auch versuchen, den Abzug der internationalen Soldaten abzuwarten und den Krieg schlicht auszusitzen. US-Präsident Barack Obama hat angekündigt, in diesem Sommer mit der Ausdünnung der amerikanischen Truppen zu beginnen, andere Truppensteller wie Deutschland wollen folgen. Stärker als jetzt wird die Internationale Schutztruppe (ISAF) nie wieder werden.

Im Juli will die NATO damit beginnen, in ersten Regionen die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanische Armee und Polizei zu übergeben. Bis 2014 soll der Prozess landesweit abgeschlossen sein, wobei das als ambitioniert gilt. 2014 wird zwar nicht den vollständigen Abzug der ausländischen Soldaten markieren, aber zumindest die Kampftruppen sollen dann nach Hause gehen können. Das militärische Engagement soll sich danach eher auf Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren.

„Konflikt wird nicht auf Schlachtfeld entschieden“

Auch Generäle wie der deutsche ISAF-Sprecher Josef Blotz räumen unumwunden ein, dass ein militärischer Sieg gegen die Taliban unrealistisch ist. „Dieser Konflikt kann nicht und wird nicht auf dem Schlachtfeld entschieden werden, sondern am Verhandlungstisch“, sagt Blotz. Bis es aber so weit ist, schenken sich beide Seiten nichts.

Die ISAF geht gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften massiv gegen die Aufständischen vor, die Blotz für schwächer als noch vor einem Jahr hält. Besonders US-Spezialeinheiten, die nachts gezielt Kommandeure der Taliban töten oder gefangen nehmen, machen den Aufständischen zu schaffen. Die Taliban revanchieren sich ihrerseits mit spektakulären Anschlägen.

Anschlag während Karzai-Rede

Wenige Stunden nach Karzais Ansprache am Samstag gelang es einem Selbstmordkommando der Aufständischen, unweit vom Präsidentenpalast zuzuschlagen. Mitten in der Innenstadt Kabuls drangen drei Selbstmordattentäter in eine Polizeiwache an einem belebten Markt ein, die Angreifer trugen Armeeuniformen. Außer den Attentätern starben neun Menschen.

Ein weiteres Mal wurden die afghanischen Sicherheitskräfte - die schon bald die Verantwortung von den ausländischen Truppen übernehmen sollen - unvorbereitet getroffen.

Can Merey, dpa

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