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Taliban drohen mit neuer Gewalt

Bereits im Juli wollen die USA mit dem allmählichen Abzug aus Afghanistan beginnen. Das gab US-Präsident Barack Obama vergangene Woche in einer mit Spannung erwarteten TV-Ansprache bekannt. Bereits bis Ende dieses Jahres werde die US-Truppenstärke um 10.000 Soldaten verringert. Bis zum Sommer 2012 sollen insgesamt 33.000 Soldaten heimkehren.

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Nach diesem ersten Teilabzug werde die Zahl der US-Truppen in Afghanistan „mit konstantem Tempo“ weiter zurückgefahren, so Obama. „Unsere Mission wird sich von Kampf zu Unterstützung wandeln.“ Im Jahr 2014 werde dann der Übergabeprozess an die afghanischen Sicherheitskräfte vollzogen sein. Derzeit sind rund 99.000 US-Soldaten in Afghanistan im Einsatz, das sind etwa zwei Drittel aller am Hindukusch stationierten ausländischen Truppen.

150.000 Soldaten im Einsatz

Insgesamt sind derzeit fast 150.000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert. Die NATO hatte im Vorjahr in Lissabon beschlossen, bis Ende 2014 alle Kampftruppen der internationalen Koalition abzuziehen. Im gleichen Zeitraum soll die Sicherheitsverantwortung stufenweise an einheimische Kräfte übergehen.

Al-Kaida „auf dem Weg der Niederlage“

Der Abzug von 33.000 Soldaten entspricht ungefähr der Aufstockung, mit der Obama im Dezember 2009 auf das Wiedererstarken der Taliban-Rebellen reagiert hatte. Die Erfolge im Kampf gegen die Aufständischen und das Terrornetzwerk Al-Kaida sowie Fortschritte beim Aufbau der einheimischen Sicherheitskräfte würden die Verringerung der US-Präsenz jetzt erlauben, so Obama.

Al-Kaida sei „unter stärkerem Druck als jemals“ seit den Anschlägen vom 11. September 2001, dem Ausgangspunkt des Militäreinsatzes am Hindukusch. Mittlerweile sei mehr als die Hälfte der Al-Kaida-Führung „ausgeschaltet“, darunter der Anfang Mai bei einer US-Kommandoaktion in Pakistan getötete Anführer Osama bin Laden. Zwar bleibe das Terrornetzwerk gefährlich, „aber wir haben Al-Kaida auf den Weg der Niederlage gebracht“, sagte der Präsident.

Obama will Taliban einbeziehen

Verteidigungsminister Robert Gates, der sich zuvor für einen zurückhaltenderen Abzug ausgesprochen hatte, stellte sich am Mittwoch hinter den Präsidenten. Die US-Armee habe „ausreichend Ressourcen, Zeit und Flexibilität“, um den Einsatz zu einem „erfolgreichen Ende“ zu bringen.

Obama mahnte allerdings auch, dass die USA und ihre Verbündeten weiter vor „riesigen Herausforderungen“ stünden. Der Abzug sei daher „der Beginn - aber nicht das Ende - unserer Bemühung, diesen Krieg abzuwickeln“. Dabei warb er auch für eine „politische Lösung“ in Afghanistan unter Einbeziehung der Taliban, sollten diese der Gewalt abschwören und sich von Al-Kaida lossagen.

Taliban wollen vollständigen Abzug

Die Taliban kritisierten den angekündigten Teilabzug umgehend als nicht ausreichend. „Die Lösung der Krise in Afghanistan liegt in dem sofortigen vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen“, teilten die radikal-islamischen Aufständischen am Donnerstag mit. „Solange dies nicht geschieht, wird unser bewaffneter Kampf Tag für Tag stärker werden.“ In ihrer an Medien versandten Stellungnahme teilten die Taliban mit, die Einschätzung der USA, dass ihre Truppen Fortschritte in Afghanistan erzielt hätten, sei „Propaganda“ und entbehre jeder Grundlage.

Positives Echo

Der afghanische Präsident Hamid Karzai begrüßte die Ankündigung Obamas. „Das ist ein bedeutender Schritt zum Nutzen sowohl der Vereinigten Staaten als auch des afghanischen Volkes“, sagte Karzai am Donnerstag in Kabul. „Das Vertrauen des afghanischen Volkes in die afghanische Armee und Polizei wächst jeden Tag und der Schutz dieses Landes ist Aufgabe der Afghanen.“

Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen reagierte positiv. „Die Entscheidung des Präsidenten ist ein natürliches Ergebnis der Fortschritte, die wir gemacht haben“, sagte er am Donnerstag in Brüssel.

56 Prozent für schnellen US-Abzug

Obama ging in seiner Rede auch auf die Kriegsmüdigkeit der US-Bevölkerung in Zeiten hoher Staatsverschuldung und wirtschaftlicher Probleme ein. „Das vergangene Jahrzehnt war schwierig für unser Land“, sagte der Präsident. Angesichts der „hohen Kosten des Krieges“ müssten die USA in Zukunft genau abwägen, wann sie Soldaten nach Übersee entsenden. Es sei an der Zeit, sich auf den Aufbau im eigenen Land zu konzentrieren.

Der Einsatz in Afghanistan hatte zuletzt immer mehr an Rückhalt in der US-Bevölkerung verloren. In einer am Dienstag veröffentlichten Erhebung des PEW Research Centers sprachen sich 56 Prozent der Befragten dafür aus, die US-Truppen so schnell wie möglich abzuziehen. 39 Prozent befürworteten dagegen eine US-Präsenz am Hindukusch, bis sich die Situation dort stabilisiert hat.

Auch Deutschland reduziert Truppen

Auch die Alliierten, die mit den USA am 7. Oktober 2001 die Invasion begannen, holen ihre rund 50.000 Soldaten schrittweise aus dem Kampfgebiet zurück. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bekräftigte am Mittwoch, der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan solle Ende des Jahres beginnen.

„Nicht weitgehend genug“ vs. „überstürzt“

In den USA stieß Obamas Ankündigung unterdessen auf Kritik aus verschiedenen Lagern. Zahlreiche Politiker fordern, den Krieg wegen der immensen Kosten schneller zu beenden. Das sei möglich, weil das wesentliche Ziel, die Ausschaltung der Spitze des Terrornetzwerkes Al-Kaida, nach dem Tod von Bin Laden erreicht worden sei. Vor allem Militärexperten befürchten dagegen, dass die USA mit einem überhasteten Abzug ihre Erfolge gegen die Aufständischen wieder aufs Spiel setzen.

Auch aus den Reihen der Republikaner wurden Obamas Pläne scharf kritisiert. Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Jon Huntsman warf Obama am Mittwoch vor, beim ersten Abzug von US-Soldaten vom Hindukusch nicht weit genug zu gehen. Der Chef des Repräsentantenhauses, John Boehner, befürchtete dagegen einen „überstürzten“ Rückzug der US-Truppen.

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