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Zu wenige Betten und Arzneien

Seltener als bei Erwachsenen, aber dafür atypischer, was die Symptome betrifft, und dadurch wohl auch seltener diagnostiziert: Depressionen im Kindesalter. Die Behandlung leide daran, dass für stationäre Behandlung in Österreich die Betten fehlen. Weiters seien die meisten Antidepressiva für Kinder gar nicht zugelassen, sagte der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Christian Kienbacher.

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Unter Kindern leiden weniger als drei Prozent an Depressionen, unter den Jugendlichen 0,4 bis 6,4 Prozent. Mit dem Ende des Kindesalters aber stellt sich bereits ein Überwiegen der Fälle unter Mädchen und jungen Frauen ein. „Die Stichtagsprävalenz (Häufigkeit an einem bestimmten Tag) der Depression beträgt drei bis fünf Prozent in der Bevölkerung, die Lebenszeitprävalenz (zumindest einmal auftretende Depression während des Lebens) liegt bei Frauen bei zehn bis 25 Prozent, bei Männern bei fünf bis zwölf Prozent“, sagte der Experte.

Je nach Alter unterschiedliche Symptome

Charakteristisch für Kinder und Jugendliche sind Symptome wie Interessenverlust, resignative Haltung, „Sich-nicht-freuen-Können“ trotz offenbarer Gründe dafür, Verminderung der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit, Denkhemmung bis hin zum Grübeln und ein stark vermindertes Selbstwertgefühl.

Auch bei den Symptomen gibt es eine Altersschichtung: Stehen im Kleinkindalter (bis drei Jahre) Apathie und Spielunlust im Vordergrund, sind es im Vorschulalter dann vor allem Stimmungslabilitäten, mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen, und eventuell auch aggressives Verhalten. Depressive Schulkinder formulieren erstmals verbal ihre Traurigkeit und können auch schon suizidale Gedanken äußern.

„Bei Suizidgedanken rasch handeln“

„Bei Suizidgedanken (...) ist rasches Handeln gefordert. Immerhin begeht in Österreich pro Woche ein Mensch unter 18 Suizid. Das ist zumeist auf Drogen bzw. Depressionen zurückzuführen“, so Kienbacher. In der Pubertät und im Jugendalter stehen besonders vermindertes Selbstwertgefühl, Ängste, Konzentrationsmangel und auch starke Schwankungen der Gemütslage über den Tag hinweg („völlig down in der Früh“, aktiv erst ab dem Nachmittag) im Vordergrund.

Defizite bei Behandlung

Leichte und mittelschwere Depressionen im Kindes- und Jugendalter können zumeist ambulant behandelt werden, in schweren Fällen sollte eine stationäre Aufnahme erfolgen. Hier gibt es in Österreich laut Kienbacher ein Problem: „Es verfügt die Kindes- und Jugendpsychiatrie nicht über genügend stationäre Betten.“ 80 bis 120 Jugendliche sind regelmäßig auf Stationen der Erwachsenenpsychiatrie aufgenommen.

Das zweite Manko betrifft die Antidepressiva. Sie kommen im Kombination mit der Psychotherapie bei schweren Depressionen zum Einsatz, sollten aber auch nach Abflauen der Symptome mindestens sechs bis neun Monate weitergegeben werden. Eine Zulassung ab dem achten Lebensjahr (sonst zumeist erst ab 18 Jahren bei besonderen Vorsichtsmaßnahmen bis 25) gibt es in Österreich nur für ein einziges Antidepressivum, einen selektiven Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) und sonst nur für ein altes „Trizyklikum“ mit erhöhtem Nebenwirkungspotenzial.

„Keine kleinen Erwachsenen“

„Es gibt nur wenige klinische Studien. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Mit der medikamentösen Behandlung muss man langsam beginnen und engmaschig kontrollieren“, sagte der Kinderpsychiater. Es gibt auch Hinweise darauf, dass durch eine erhöhte Stoffwechselrate bei Kindern die für Erwachsene normalerweise vorgesehene Dosierung der Antidepressiva eigentlich zu gering ist.

Weiterhin fraglich ist, was aus einer US-Studie geschlossen werden sollte, die unter SSRI-Therapie bei Kindern und Jugendlichen in etwas eine Verdopplung der Häufigkeit von Suizidgedanken von zwei auf vier Prozent erbrachte. Das sorgte vor einigen Jahren für weltweite Aufregung. Allerdings, so Kienbacher, „eine Untersuchung in Österreich hat bei AHS-Schülern eine Häufigkeit des Auftretens solcher Gedanken von 50 Prozent gezeigt, bei BHS- und HTL-Schülern von 30 Prozent“. Das habe wohl auch mit psychischen Entwicklungsphasen während der Pubertät und im Jugendalter zu tun. Aber vorsichtig sollte man auf jeden Fall sein.

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