„Die meisten sehen sich in Opferrolle“
Als Befreier und Volkshelden werden die heute vor dem UNO-Tribunal in Den Haag angeklagten serbischen und kroatischen Ex-Generäle wie Ratko Mladic und Ante Gotovina noch immer unterstützt und gefeiert. Auch wenn die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens die EU-Perspektive im Fokus haben, wirkt die Vergangenheit - 20 Jahre nach Beginn des Jugoslawien-Krieges - noch immer nach.
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Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Die internationale Gemeinschaft reagierte zögerlich, versuchte man doch, einen Zerfall des Landes zu verhindern. Diese Haltung bestärkte den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic Beobachtern zufolge in seinem militärischen Vorgehen. Nach einem kurzen „Zehntagekrieg“ in Slowenien verlagerte sich der Krieg nach Kroatien, ab 1992 auch nach Bosnien-Herzegowina. Die Kriegsjahre bis 1995 waren von „ethnischen Säuberungen“, Vertreibungen und blutiger Gewalt geprägt.
„Erinnerung ethnisch geprägt“
Für Kriegsverbrechen wurden zahlreiche ehemalige Generäle aller Seiten vor dem UNO-Tribunal angeklagt, viele wurden bereits verurteilt. Nachvollziehen können das viele ihrer Unterstützer nicht. „Die Erinnerung an den Krieg und dessen Deutung sind stark ethnisch geprägt. Jeder hat seine eigene Wahrnehmung und Schuldzuweisung“, analysiert die Historikerin und Südosteuropa-Expertin Marie-Janine Calic im ORF.at-Interview. Bei der Vergangenheitsbewältigung hätten Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Fortschritte gemacht.
Vor allem die oberste politische Ebene setzte immer wieder Zeichen, indem sie sich für Kriegsverbrechen entschuldigte. „Auf der mittleren und unteren Ebene sieht das aber anders aus“, so Calic. „Es gibt einen Prozess der Verdrängung. Die meisten sehen sich nach wie vor in der Rolle der Opfer. Es ist schwer zu akzeptieren, dass es auf allen Seiten Täter gab.“

Reuters/Ranko Cukovic
Mladic-Anhänger demonstrierten in Banja Luka gegen seine Auslieferung.
Auch 20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens herrscht Uneinigkeit über die Gründe, wie eine aktuelle Umfrage der slowenischen Tageszeitung „Dnevnik“ zeigt. Während knapp 36 Prozent der Slowenen wirtschaftliche Unterschiede als wichtigsten Grund nannten, sahen Kroaten (32,5 Prozent) und Serben (25,7 Prozent) die Schuld in ungelösten Fragen aus der Vergangenheit.
Noch immer Heldenstatus
So wird etwa der Ex-General Ratko Mladic, der sich auch für den Völkermord in Srebrenica verantworten muss, vor allem in der bosnischen Republika Srpska, aber auch in Belgrad als „Heiliger“ verehrt. Tausende gingen für ihn auf die Straße. Ähnliches war auch auf kroatischer Seite zu beobachten.
„Operation Sturm“
Bei der „Operation Sturm“ eroberte die kroatische Armee 1995 die von ethnischen Serben kontrollierte Region Krajina. Damit endete der Kroatien-Krieg.
Als der ehemalige kroatische General und Befehlshaber der „Operation Sturm“, Ante Gotovina, im April dieses Jahres wegen Kriegsverbrechen gegen die serbische Bevölkerung zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, reagierte selbst die kroatische Staatsspitze schockiert.
Das Urteil sei „nicht akzeptabel“: „Die Republik Kroatien ehrt und wird ihre Helden ehren“, sagte der kroatische Staatspräsident Ivo Josipovic. In Zagreb gingen Tausende Unterstützer Gotovinas, vor allem Veteranen der Kriegsjahre 1991 bis 1995, auf die Straße. Die Unterstützung für Gotovina sei aber regional unterschiedlich und etwa in Dalmatien und in ländlichen Regionen stärker als in den Städten, sagt Calic.
Milosevic-Projekt noch im Gespräch
Ethnische Spannungen waren nicht die Ursache, aber die Folge des Zerfalls von Jugoslawien. Am deutlichsten ist das heute noch in dem von Ethnien geprägten Bosnien-Herzegowina zu spüren, das sich aus der muslimisch-kroatischen Föderation Bosnien-Herzegowina, der Republika Srpska und dem Sonderverwaltungsgebiet Brcko zusammensetzt. Viele bosnische Serben empfinden Bosnien nur als vorläufigen Staat.
Auch Belgrad beharre weiterhin auf dem regionalen „Projekt“ von Milosevic mit dessen Bemühungen zur Errichtung eines Großserbien, ist Sonja Biserko, Leiterin des Helsinki-Komitees für Menschenrechte in Serbien, überzeugt. Nur werde dieses derzeit mit „anderen Mitteln“ durchgeführt. Belgrad würde besonders in Bosnien-Herzegowina sezessionistische Tendenzen der bosnischen Serben unterstützen, so Biserko. Auch mit der Anerkennung eines unabhängigen Kosovo hadert die serbische Regierung noch.
Druck auf Innenpolitik
Calic betont die Kooperationsbereitschaft der serbischen und kroatischen Regierung mit dem UNO-Tribunal. Dennoch zeige sich, wie stark die Politik die Vergangenheit nach wie vor instrumentalisiere, betont Calic. Das sei vor allem in Bosnien-Herzegowina der Fall. „Es gibt keinen politischen Willen zur Zusammenarbeit. Bestehende Grundkonflikte vom Friedensvertrag von Dayton werden heute nicht militärisch, aber politisch ausgetragen.“
Aber auch in Serbien und Kroatien spielten Veteranen- und Opferverbände in der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. „Es gibt bestimmte Gruppen insbesondere aus dem rechten Lager, die sich dieses Thema schnappen, um innenpolitisch auf die Regierungen Druck zu machen“, so Calic.
Juristische Aufarbeitung nicht beendet
Umso wichtiger sei daher der politische Druck von außen, sich der Vergangenheit zu stellen. Das Haager Tribunal, aber auch die Bedingungen der EU für eine weitere europäische Integration hätten dem Prozess der Aufarbeitung mehr Legitimität gegeben und die Regierungen bei der Vergangenheitsbewältigung gegen Veteranen- und Opferverbände unterstützt. Denn die wichtigsten Anklagen in Den Haag sind fast alle abgehandelt, oder es laufen derzeit die Prozesse. Hunderten bis Tausenden Soldaten und Milizionären der unteren Ebenen müsste aber noch bei den nationalen Gerichten der Prozess gemacht werden.
Feiern zur Unabhängigkeit
Den 20. Jahrestag der Unabhängigkeit nehmen Slowenien und Kroatien dennoch zum Anlass für große Feierlichkeiten. Slowenien zelebrierte den Tag schon am Freitag mit einem Staatsakt, einer feierlichen Parlamentssitzung und einem Festgottesdienst - unter die Gratulanten reihten sich die Präsidenten der vier Nachbarländer, darunter Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer.
Kroatien feierte doppelt. 20 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung gaben die Staats- und Regierungschefs der EU endgültig grünes Licht für einen EU-Beitritt - allerdings unter einem begleitenden Monitoring.
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