Thomas Farley ist vernünftiger
New York City ist immer noch das Synonym für die Großstadt schlechthin - mit all ihren Möglichkeiten und Verlockungen, ihrer Vielfalt und ihren Schattenseiten. Doch von der einstmaligen „wunderschönen Katastrophe“ (Le Corbusier) ist nur noch wenig übrig. Statt kreativen Chaos gibt es bis ins kleinste Detail gemaßregelte Bürger, die sich brav bevormunden lassen.
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Kaum ein Monat vergeht ohne neue Verhaltensregeln von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. Zuletzt wurde etwa das Rauchen auch in Parks und auf öffentlichen Plätzen mit hoher Besucherfrequenz - etwa auf dem früheren „Sündenpfuhl“ Times Square - verboten. Davor gab es unter anderem einen Feldzug der Stadt gegen Softdrinks und die Anordnung, Speisen dürften nur unter Nennung der Kalorien (in gleich großer Schrift) angeboten werden.

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Times Square: Einst verrucht, heute nicht einmal mehr verraucht
Gesundheitsapostel als Mastermind
Das Mastermind hinter der Bevormundung der New Yorker ist Bloombergs Gesundheitsstadtrat Thomas Farley. Der fanatische Nichtraucher, Diätapostel und Marathonläufer verhehlt nicht einmal, dass er die Stadtbewohner „umerziehen“ will. Der Mensch an sich sei unvernünftig, so Farleys Credo - der sich selbst natürlich als Ausnahme von der Regel sieht -, und deshalb müsse man „unvernünftiges Verhalten“ mit so vielen Hürden versehen wie nur möglich.
Die Kreativität von Farleys Team kennt dabei kaum Grenzen: Zigaretten dürfen nur dort verkauft werden, wo schockierende Aufnahmen von verkrebsten Lungen ausgehängt werden. Das Liegen auf Parkbänken ist verboten. Gescheitert ist er vorerst mit einer „Kohlesäuresteuer“ auf Softdrinks und einem behördlich verordnetem Salzlimit bei Speisen. Noch nicht aufgegeben hat er den Plan, Sozialbeihilfebezieher den Zugang zu zuckerhaltigen Lebensmitteln zu erschweren.
Besessen von gesundem Lebensstil
Schon vor Farleys Amtszeit wurde in New Yorker Bars und Restaurants das Rauchen verboten, ebenso die Verwendung von Transfetten in den Küchen. Die Fokussierung auf gesunden Lebensstil grenzt bei Farley an eine Obsession, räumte auch die „New York Times“ in einem sonst mehr als wohlwollenden Porträt ein. Die Zeitung berichtete etwa über Treffen des städtischen Gesundheitssenats, in denen Farley andere relevante Themen - etwa Sicherheit am Arbeitsplatz, Erste Hilfe und Hygienepolitik - regelmäßig ignoriere.
Andere Kommentatoren sehen Farleys Linie noch kritischer als die „New York Times“. Der britische „Spectator“ unterstellt Farley rassistische und elitäre Motive: Er sei nur am Wohlergehen der weißen Mittelklasse interessiert und an den spezifischen gesundheitlichen Problemen ärmerer und diskriminierter Bevölkerungsschichten zumindest auffällig desinteressiert.
Wenn Ampeln plötzlich ernst genommen werden
Bloomberg wurde schon in den 90er Jahren von seinem Vorgänger Rudolph Giuliani der Weg geebnet. Die New Yorker maulten zwar schon damals über die beinahe totalitaristische Gesinnung seiner „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Verbrechen, genossen jedoch die Vorteile einer sichereren Stadt und nahmen dabei das bisschen Mehr an Regeln, Kontrolle und Bevormundung in Kauf.
Damals verloren etwa Gegenden wie Harlem, die Bronx und auch der Central Park in der Nacht viel von ihrem Schrecken. Auch gab es kaum noch „störende“ Obdachlose - dafür aber auch immer weniger liberale Gesinnung, immer weniger New Yorker Witz, immer pingeligere Polizisten und immer weniger Leben auf der Straße. Sogar rot leuchtende Fußgängerampeln nahmen die New Yorker auf einmal ernst.
Aus aufsässig wird brav
Der Übergang von der Verbrechensbekämpfung zur Bürgerkontrolle war fließend. Anfangs witzelten die New Yorker noch über eingespielte Tonband-Empfehlungen, im Fond von Taxis doch bitte den Sicherheitsgurt anzulegen. Nun empören sie sich selbst über in Meilenweite gesichtete Raucher. Über die Jahre wurden aus den traditionell aufsässigen New Yorkern ziemlich brave Empfehlsempfänger.

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New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg
Es gab auch kein Aufmucken, als Bloomberg heuer ein Zivilschutzsystem vorstellte, das bald auf jedes Handy in der Stadt zugreifen soll. Geplant sind drei Arten von Alarm-SMS mit fix vorgegebenen Klingeltönen. Stufe eins soll Meldungen über vermisste und entführte Kinder vorbehalten sein, Stufe zwei „regionalen Bedrohungen“ und Stufe drei Warnungen des US-Präsidenten vor nationalen Gefahren. Nur Meldungen der Stufe eins und zwei können vom Handybesitzer selbst deaktiviert werden.
Endstation Washington?
Die SMS-Alarm-Idee ist dabei symptomatisch für Bloombergs Ambitionen. Er sieht New York dabei erklärterweise nur als Testlauf für eine Umsetzung des Systems im ganzen Land. Nach Meinung vieler gilt dasselbe auch für seinen Bürgermeisterposten - als Testlauf für das Weiße Haus, obwohl Bloomberg derartige Ambitionen regelmäßig dementiert. Bloomberg ist jetzt mitten in seiner dritten und damit gemäß dem Gesetz letzten Amtsperiode als Bürgermeister. Ein Leben als Privatier traut ihm danach niemand zu.
Zudem setzte Bloomberg zuletzt mehr als auffällige mediale Schwerpunkte. Im Frühjahr überzog er ganz New York mit einer millionenteuren Imagekampagne in eigener Sache. Zudem erweiterte der Milliardär seinen Wirtschaftsdienst um das Angebot „Bloomberg View“ - ein Sprachrohr für seine eigenen politischen Ansichten. Und Interesse an einem gewichtigen Amt in der nächsten US-Regierung - etwa dem des Heimatschutzministers - dementierte Bloomberg nie. Vielleicht sogar mit Farley als nationalem Lebensstilbeauftragtem im Gepäck.
Lukas Zimmer, ORF.at
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