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Rauchschwaden über Gadaffi-Residenz

Die NATO verschärft den Druck auf Libyens Regime: Nachdem sich Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi Dienstagabend in einer TV-Ansprache weiter unbeugsam zeigte, war Tripolis auch in der Nacht auf Mittwoch Ziel schwerer Luftangriffe.

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Wie der arabische Nachrichtensender al-Jazeera berichtete, waren wieder starke Explosionen zu hören. Ziel der Attacken sei offenbar erneut der Stützpunkt Bab al-Asisija gewesen, auf dem auch das Anwesen von Gaddafi liegt.

Rauchschwaden nach einem Raketeneinschlag über Tripolis

APA/EPA

Heftige Explosionen erschütterten bereits am Dienstag Tripolis.

Die NATO hatte das Gelände bereits am Dienstag bombardiert. Augenzeugen berichteten von mindestens 25 Luftangriffen. Nach den Angriffen war auf dem Stützpunkt Feuer ausgebrochen. Augenzeugen berichteten von einer riesigen schwarzen Rauchwolke, die über dem Gelände aufgestiegen sei. Außerdem seien in Tripolis der Sitz der Revolutionskomitees, ein palastartiges Gebäude und eine Wacheinheit angegriffen worden.

Bisher schwerste Angriffswelle

Einwohner in Tripolis berichteten von schweren Explosionen in der Innenstadt. Die Abstände zwischen den Angriffen würden immer kürzer. Über mehreren Stadtteilen stieg Rauch auf. Der Regierung zufolge wurden militärische, aber auch zivile Einrichtungen getroffen. Nach Angaben des Regimes warf die NATO allein am Dienstag mehr als 60 Bomben über Tripolis ab. 31 Menschen seien getötet worden. Wie Regierungssprecher Mussa Ibrahim auf einer Pressekonferenz weiter mitteilte, seien Dutzende Menschen verletzt worden.

Die Angriffe galten nach seinen Worten neben Gaddafis Sitz im Zentrum von Tripolis vor allem dem östlichen Vorort Tadschura sowie der Straße zum Flughafen im Süden der Hauptstadt. Es handelte sich um die schwersten Angriffe seit Beginn des Militäreinsatzes unter Führung der NATO Ende März.

„Wir haben keine Angst“

Auch Gaddafi selbst meldete sich Dienstagabend im staatlichen TV zu Wort. Er werde in Tripolis bleiben, „tot oder lebendig“, sagte Gaddafi in einer Audiobotschaft im staatlichen Fernsehen. „Wir werden nicht kapitulieren, wir begrüßen den Tod, der Märtyrertod ist Millionen Mal besser.“ Er sei bereit, zwischen 250.000 und 500.000 bewaffnete Libyer in den Kampf zu schicken, um das Land von den Rebellen, die er „bewaffnete Banden“ nannte, zu befreien. „Wir haben keine Angst, und wir sind stärker als eure Raketen und eure Artillerie.“

Aufständische vor Tripolis?

Die libyschen Rebellen sehen in den intensiven NATO-Luftangriffen der vergangenen Tage eine Vorbereitung für ihren Einmarsch in Tripolis. „Die Zerstörung der Mauern und Tore von Bab al-Asisija bedeutet, dass sich Gaddafi eine blutige Nase geholt hat. Den K.-o.-Schlag werden ihm schon sehr bald die Libyer selbst versetzen“, erklärt Guma al-Gamati, ein Sprecher der Aufständischen, in der Nacht auf Mittwoch via Twitter.

Laut al-Jazeera wurde zudem die rund 100 Kilometer von der libyschen Hauptstadt entfernte, wochenlang umkämpfte Ortschaft Dschafran von den aus den Bergen kommenden Regierungsgegnern eingenommen. Die Aufständischen behaupteten zudem, mehrere Kinder des Machthabers Gaddafi hätten inzwischen das Land verlassen. Al-Saadi, der einst in Italien als Fußballer angeheuert hatte, sei ausgereist. Gaddafis Tochter halte sich mit ihrer Familie in einem Hotel in Marokko auf.

„Gaddafi muss gehen“

US-Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekräftigten in Washington unterdessen die Forderung nach dem Rücktritt Gaddafis. Bis dahin werde der Druck auf ihn erhöht. Obama sprach zudem von merklichen Fortschritten beim Versuch der NATO, die libysche Zivilbevölkerung und die Rebellen vor Gaddafi-Truppen zu schützen. „Wir sehen im ganzen Land einen unumkehrbaren Trend, dass die Regimekräfte zurückgedrängt, kampfunfähig gemacht werden.“

Dennoch zeichnet sich trotz der NATO-Unterstützung militärisch keine Entscheidung ab. Den Rebellen gelang es bisher nicht, große Fortschritte gegen die Gaddafi-treuen Truppen zu erzielen. Die Aufständischen kontrollieren den Osten des Landes, die im Westen gelegene Stadt Misrata sowie die Bergkette an der Grenze zu Tunesien. Die Regierungstruppen haben in der Hauptstadt ihre wichtigste Basis.

„Echte Waffenruhe“

Die International Crisis Group kritisierte das Vorgehen von Rebellen und NATO. Sie schienen nicht an einer Verhandlungslösung interessiert zu sein. Die Rücktrittsforderungen an Gaddafi und die Drohung mit einem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof trieben Gaddafi in die Enge und sorgten dafür, dass dieser das Land nicht verlassen werde.

Unabhängig vom NATO-Militäreinsatz kommen nach Angaben des französischen Außenministers Alain Juppe aber auch die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung der Libyen-Krise vorwärts. Seine Regierung arbeite auf eine „echte Waffenruhe“ mit einem Rückzug von Gaddafis Truppen und einer UNO-Überwachung hin, sagte er am Dienstag bei den Vereinten Nationen in New York.

Der Militäreinsatz in Libyen steht am Mittwoch auch im Mittelpunkt eines zweitägigen Treffens der Verteidigungsminister aus den NATO-Ländern in Brüssel. Mehr als zwei Monate nach Übernahme des Kommandos für den Einsatz wollen die NATO-Länder über den Fortgang der Angriffe beraten, mit denen Zivilisten auf Basis eines UNO-Mandats vor den Truppen Gaddafis geschützt werden sollen. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte angekündigt, die Mitglieder der Allianz um weitere Mittel für den Einsatz zu bitten.

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