Themenüberblick

Kein Abschied in Sicht

Um den Bedarf an Essstäbchen zu decken, werden in China alle 24 Stunden rund 40 Hektar Bäume gefällt. Schon seit Jahren wird über deren Abschaffung debattiert. Aber alle Bemühungen, das Einwegstäbchen aus der asiatischen Esskultur zu verbannen, verliefen bisher ins Leere.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

1984 machte der als Reformer bekannte einstige Parteichef Hu Yaobang den Vorschlag, anstelle von Stäbchen Messer und Gabel zu verwenden, um so die Verbreitung von Krankheiten zu vermeiden. Hu, damals Generalsekretär der Kommunistischen Partei, versuchte in Form einer Kampagne, seine Landsleute von der westlichen Esskultur zu überzeugen.

„Wir sollten mehr Messer und Gabeln bereitstellen, mehr Teller kaufen und rund um den Tisch sitzen, um chinesische Mahlzeiten im westlichen Stil einzunehmen - das bedeutet, jeder isst von seinem eigenen Teller“, sagte Hu damals gegenüber Peking-Radio. „So können wir ansteckende Krankheiten vermeiden.“ Der Aufruf lief ins Leere, der Vorschlag war zu anti-chinesisch.

Chinas Behörden förderten anfangs die Nutzung von Einwegstäbchen aus hygienischen Gründen, um so die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten zu vermeiden. Das ebnete den Weg für das hölzerne Wegwerfbesteck. Der Verbrauch von Essstäbchen nahm etwa während der SARS-Epidemie exorbitant zu.

25 Millionen Bäume für 45 Milliarden Einwegstäbchen

Schätzungen der Naturschutzorganisation WWF zufolge werden in China jedes Jahr 45 Milliarden Einwegstäbchen aus Bambus oder Holz verbraucht. Um mit dem Bedarf mithalten zu können, müssen laut Greenpeace China alle 24 Stunden mehr als 40 Hektar Bäume gefällt werden. Eine Waldfläche, so groß wie 100 Fußballfelder, wird täglich für Einwegstäbchen geopfert. Pro Jahr werden in China 25 Millionen Bäume gefällt und zwei Millionen Kubikmeter Holz aus den Wäldern verarbeitet.

Japan als größter Abnehmer

Die Volksrepublik ist der größte Produzent, Konsument und Exporteur von Einwegstäbchen und Japan ihr größter Abnehmer. 2003 importierte der Inselstaat laut WWF den Großteil von Chinas Stäbchen. 2006 kamen 98 Prozent aller japanischen Essstäbchen aus China.

Grund für die hohe Nachfrage war der niedrige Holzpreis. Schon in den 90er Jahren begannen billige Essstäbchen „made in China“, den japanischen Markt zu dominieren, während die Wälder stetig schrumpften. „Chinesische Wälder, die billiges Holz für den japanischen Essstäbchenmarkt liefern, müssen dringend geschützt werden“, sagte Junichi Mishiba von der NGO Friends of Earth damals in einem Interview mit der „Asia Times“.

Steuer auf Wegwerfstäbchen

Die chinesische Regierung begann 2006, erste Zeichen zu setzen. Um die rapide Abholzung in der Volksrepublik einzudämmen, führte das Finanzministerium eine fünfprozentige Verbrauchsteuer auf Wegwerfstäbchen aus Holz ein. Der höhere Preis sollte Verbraucher davon überzeugen, auf wiederverwendbare Stäbchen aus Metall oder Plastik umzusteigen, um so riesige Mengen an Müll zu vermeiden.

Experten sahen die Besteuerung von Wegwerfstäbchen als ersten symbolischen Schritt Chinas, Bewusstsein für Energieeffizienz und Umweltschutz zu schaffen. Die Preise für Stäbchenexporte nach Japan stiegen laut „Asia Times“ angesichts Chinas Bestrebungen um bis zu 30 Prozent. Doch die Ökomaßnahmen wollten nicht greifen. Der Konsum von Einwegstäbchen ging kaum zurück.

Aktivisten warnen vor Waldsterben

Ab 2006 setzten sich Umweltaktivisten immer hartnäckiger gegen die Rodung der Wälder zur Produktion von Einwegstäbchen ein. Bürgerinnen und Bürger initiierten die Bewegung „Bring Your Own Chopsticks“ und riefen Restaurantbesucher auf, ihr eigenes Besteck mitzubringen. Greenpeace China sagte den Holzstäbchen mit der Kampagne „Say No to Disposable Chopsticks“ den Kampf an, bei der Aktivisten vor Fast-Food-Ketten gegen deren Verwendung demonstrierten.

Vergangenes Jahr stellten Greenpeace-Aktivisten in einem Einkaufszentrum in Peking Bäume auf, die aus Tausenden Wegwerfstäbchen bestanden. Über 200 Schüler sammelten 84.000 Essstäbchen und bastelten daraus vier meterhohe Bäume, um die Passanten für die Problematik zu sensibilisieren. Trotz aller Bemühungen blieb das Einwegbesteck in der asiatischen Esskultur verankert.

Verordnung ohne Biss

2010 beabsichtigte die chinesische Regierung, ihr Umweltengagement erneut unter Beweis zu stellen. So erließ das Handelsministerium gemeinsam mit fünf anderen Ministerien eine eineinhalbseitige Verordnung. In dem Dokument verlangten sie, die Herstellung, den Verkauf sowie die Ausgabe von Wegwerfstäbchen in Restaurants einzuschränken und schließlich einzudämmen. Doch die Warnung blieb ohne Folgen. In einem Artikel in der „Los Angeles Times“ bezeichnete der China-Experte und Historiker Daniel K. Gardner die Verordnung als Schritt in die richtige Richtung - aber nicht viel mehr. „Die Restriktionen werden darin nicht näher erläutert, auch nicht die Konsequenzen, die bei Nichteinhaltung drohen.“

Wirtschaftsfaktor Essstäbchen

China befindet sich beim Thema Essstäbchen in der Zwickmühle. Einerseits schreitet die Waldrodung stetig voran, andererseits ist die Stäbchenindustrie von enormer Bedeutung für die Wirtschaft. So waren 2010 laut „Los Angeles Times“ rund 100.000 Menschen in 300 Fabriken mit der Produktion des hölzernen Utensils beschäftigt.

Wirtschaftliche Bedenken angesichts der Abschaffung von Einwegstäbchen äußern auch die Restaurants. Als Alternative zu den hölzernen Stäbchen käme für sie nur die Sterilisation von Stäbchen aus Plastik, Metall und aus langlebigem Holz infrage. Ein Wegwerfstäbchen kostet 0,0068 Cent, das Entkeimen zwischen zehn und 50 Cent. Vor allem Billigrestaurants fürchten Einbußen, denn die Mehrkosten dürfen laut Lebensmittelgesetz nicht an die Konsumenten übertragen werden.

„Dass die chinesische Regierung im Kampf gegen Einwegstäbchen Stellung bezieht, ist ermutigend“, resümiert Daniel K. Gardner. „Doch am Ende entscheidet die Bevölkerung darüber, ob höhere Kosten für wiederverwendbare Stäbchen tatsächlich ein zu hoher Preis sind, um Chinas verschwindende Wälder zu retten.“

Links: