Keim gibt weiter Rätsel auf
Über 2.000 Menschen sind bereits an dem neuen EHEC-Stamm erkrankt, 18 davon gestorben, die meisten davon in Norddeutschland. Mittlerweile ist klar, dass es sich um eine mutierte Form des E.-coli-Bakteriums handelt, die besonders giftig und resistent ist. Nun geht die fieberhafte Suche nach der Erregerquelle weiter.
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Die Arbeit der Ärzte und Wissenschaftler, die sich auf die Suche nach dem Infektionsherd begeben haben, ähnelt der eines Detektiven. Sobald ein Patient eingeliefert wird, wird er genau über sein Essverhalten und seine Aufenthaltsorte befragt. Was wurde gegessen? Wo wurde es gekauft? Über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen versuchen Wissenschaftler das Essverhalten der Personen genau zu rekonstruieren, denn so lange dauert meist die Inkubationszeit.
Suche nach Gemeinsamkeiten
Vor allem wenn Erkrankungen gehäuft vorkommen, versuchen die Experten Gemeinsamkeiten im Verhalten der Patienten zu finden. Wie im Fall von acht Frauen, die nach einer gemeinsamen Tagung schwer erkrankt sind. Bei vier von ihnen trat Organversagen ein, eine Frau ist mittlerweile verstorben, wie die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) berichtete.
Geleitet wird die Einsatzgruppe des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Gerard Krause. Er und seine Mitarbeiter haben vor allem in Hamburg stundenlange Interviews mit den Betroffenen geführt. Doch nicht nur die Patienten selbst können wertvolle Hinweise geben, sondern auch die Gruppe der Personen, die nicht erkrankt sind, aber im selben Stadtteil leben und daher vermutlich im selben Supermarkt einkaufen und in denselben Lokalen essen.
Befragung führt zur ersten Spur
Daher sind die Experten vom RKI auch in den betroffenen Stadtteilen unterwegs, um Passanten zu befragen und an Wohnungstüren zu klingeln. Auch das direkte Lebensumfeld der Kranken wird genau unter die Lupe genommen. Gemüse, das sich noch im Kühlschrank befand, wurde untersucht, und es wurden Proben von Supermärkten in der Gegend genommen.
Durch diese Methode stellten sich bald Übereinstimmungen heraus. So hatten die Patienten häufiger frisches Gemüse gegessen als nicht Erkrankte. Der Verdacht lag also nahe, dass sich der Keim über Tomaten, Gurken oder Salat verbreitet hatte. Das würde auch mit den auffällig vielen weiblichen Erkrankten zusammenpassen, da sich Frauen öfter gesund ernähren und daher auch mehr rohes Gemüse essen.
Chimäre narrt die Wissenschaftler
Tausende Proben wurden daraufhin in Deutschland, aber auch in Österreich genommen. Vor allem Bioläden wurden genau untersucht. Auf einigen wenigen Gurken wurde dann ein EHEC-Keim gefunden, und kurz glaubte man, damit die Quelle des Übels identifiziert zu haben. Doch durch eine genaue Genuntersuchung des Keims wurde nun klar, dass es sich bei den gefundenen Bakterienstämmen nicht um den Krankheitserreger handelt.
Vielmehr handelt es sich bei dem Krankheitserreger um eine gefährliche „Chimäre“ - eine Art Kreuzung -, die Eigenschaften zweier Erregertypen in sich vereint. Diese löst das Hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) aus, die besonders schwere Verlaufsform der Krankheit. Für die Entstehung des Hybridklons haben allem Anschein nach zwei Bakterien Teile ihrer Erbsubstanz miteinander ausgetauscht. Damit gehen Eigenschaften eines Keims auf einen anderen über, es kommt zu Mischformen - den Chimären. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf betonte, dieser Hybridklon sei noch nie beobachtet worden.
Quelle nie gefunden?
Bisher haben auch die detaillierten Befragungen noch keine Hinweise auf die Ursache der Epidemie gegeben. Der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Andreas Hensel, bezweifelte gegenüber der „SZ“ sogar, dass die Keimquelle überhaupt gefunden werden kann. So würde der Erreger in einer Mehrzahl der Ausbruchsgeschehen nicht herausgefischt, so Hensel.
Leichte Entwarnung
Bei der Zahl der Neuinfektionen mit dem lebensbedrohlichen Darmkeim EHEC haben Mediziner eine leichte Entspannung beobachtet. „Die Lage ist so, dass sie sich scheinbar etwas beruhigt, was die Zahl der Neuinfektionen angeht“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, Reinhard Brunkhorst, am Freitag in Hamburg.
Das sei aber nur ein Trend, hob der Nierenfacharzt hervor. Er hoffe, dass dieser sich verfestige. In der Universitätsklinik in Hamburg werden derzeit 102 Patienten mit HUS, der schlimmsten Ausformung des EHEC-Keims, behandelt. Eine wachsende Zahl von EHEC-Infektionen verzeichnet nach wie vor Niedersachsen. Inzwischen liegen dort 414 Fälle und Verdachtsfälle vor.
Warnung vor Gemüse aufrecht
Nach Erkenntnissen der WHO ist der Erreger bisher in zwölf Ländern aufgetreten. Doch alle stehen im Zusammenhang mit Deutschland. So starb in Schweden eine Frau, die zuvor in Deutschland war. Auch die Personen, die in Österreich wegen des gefährlichen EHEC-Keims in Behandlung mussten, waren alle kurz zuvor in der betroffenen Region. Das RKI rät nach wie vor besonders in Norddeutschland vom Verzehr von Gurken, Tomaten und Salat ab. Auch wenn das massive Einbußen für Landwirte bedeutet.
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