Themenüberblick

Was Migranten bewegt

Integration ist kein geradliniger Prozess von „nicht integriert“ bis „100 Prozent integriert“, der dann abgeschlossen ist. Das zeigt eine Untersuchung der Migrationsforscherinnen Barbara Herzog-Punzenberger und Rossalina Latcheva, die analysiert haben, wie Migranten der ersten Generation selbst ihren Integrationsverlauf bewerten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Integration ist dynamisch, hängt von vielen Faktoren ab und kennt keine Finalität - für alle Mitglieder einer Gesellschaft. Im Verlauf einer Biografie sind die sich ändernden Konstellationen in den verschiedenen Lebensbereichen für die Bewertung von Integration maßgeblich“, fassten die Wissenschaftlerinnen im Gespräch mit der APA die Ergebnisse zusammen.

Migranten aus den Jahren 1960 bis 1990 befragt

„Integration neu betrachtet“ haben die Bildungsforscherin Herzog-Punzenberger und Latcheva (Institut für Soziologie der Universität Zürich) ihre Studie genannt, die sie bei der am Mittwoch zu Ende gehenden Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung in Wien präsentiert haben. Der neue Blickwinkel richtet sich dabei vor allem darauf, wie Migranten, die zwischen 1960 und 1990 eingewandert sind, ihre Integration selbst bewerten.

Dafür haben die Wissenschaftlerinnen auf Daten der ländervergleichenden Studie LIMITS zurückgegriffen, in der in Wien jeweils 601 aus Serbien und der Türkei stammende Migranten der ersten Generation rückblickend in Halbjahresabständen ihre Situation im Bereich Arbeit, Einkommen, Wohnen und ihren Außenbeziehungen sowie persönliche Ereignisse in der Familie berichteten. Diese Daten wurden nochmals analysiert und darauf aufbauend mit 30 dieser Personen Tiefeninterviews geführt, um die eigenen Sichtweisen und Bewertungen ihres persönlichen Integrationsverlaufs zu untersuchen.

Erst Arbeit, später Familie wichtig

Wie die Bewertung ausfällt, hänge vor allem von den gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen ab, betonen die Wissenschaftlerinnen, wobei je nach Lebensphase unterschiedliche Bereiche im Vordergrund stünden. Während nach der Ankunft in Österreich vor allem der Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig gewesen sei und prekäre Wohnverhältnisse akzeptiert wurden, seien später Fragen der Familienzusammenführung, Niederlassungsgesetzgebung und Wohnqualität relevant geworden und in der Nach-Erwerbsphase das Sozial- und Pensionssystem. Emotional könne es gleichzeitig Gedanken an Rückkehr in die alte Heimat und Überlegungen zum Wohnungskauf und Altwerden in Österreich geben.

Die Migrationsforscherinnen haben unterschiedliche Gründe für eine positive Bilanzierung gefunden. Manche ziehen noch immer Vergleiche mit ihrer Herkunftssituation und betrachten zufrieden, was sie sich nach Jahrzehnten in Österreich aufgebaut haben. Für andere ist die Aussicht, in der Pension zwischen dem Herkunftsland und Wien pendeln und die jeweiligen Vorzüge genießen zu können, ein wesentlicher Grund, ihre Migration positiv zu bewerten.

Selbst nach 40 Jahren Angst vor Ausweisung

Es gab auch Personen, die sich sowohl im Herkunftsland als auch in Österreich fremd fühlen, was laut Latcheva viel mit Diskriminierung zu tun habe. So werde etwa parteipolitische Werbung stark wahrgenommen, und selbst nach 30, 40 Jahren in Österreich gebe es sogar unter Eingebürgerten die Sorge, „vielleicht schicken sie uns jetzt wieder zurück“.

Niedrige Pensionen durch prekäre Jobs

Die Wissenschaftlerinnen sind aber auch auf ein „schockierendes“ Phänomen gestoßen: Es gebe das „gehäufte Phänomen“, dass Migranten, die seit den 1970er Jahren in Österreich hart gearbeitet hätten, nicht, sehr spät oder nur geringfügig angemeldet waren und nun nur eine ganz kleine Pension bekommen würden. „Die Arbeitgeber haben das ausgenutzt, dass sich die Leute nicht ausgekannt haben und finanziell sowie rechtlich unter enormem Druck standen“, so die Wissenschaftlerinnen, die hier eine „Verantwortung der österreichischen Gesellschaft für die Altersarmut dieser Leute“ sehen, „weil diese angeworbenen Arbeitskräfte systematisch ausgenutzt wurden.“

Forderung nach Doppelstaatsbürgerschaften

Für die Migrationsforscherinnen zeigt die Studie, dass „Integration noch immer zu undifferenziert und defizitorientiert“ diskutiert werde. Es sei eine „Anerkennung der Pluralität notwendig. Mehrfachzugehörigkeit ist für die erste Generation normal und sollte in Form der Doppelstaatsbürgerschaft ihre Entsprechung finden.“

Kritisch sehen sie auch die starke Konzentration auf Sprache in der Integrationsdebatte, die sich auf die Formel reduzieren lasse, „wenn du nicht gescheit Deutsch sprichst, bist du nicht integriert“. Für einen 60-jährigen Gastarbeiter, der mit seinen Sprachkenntnissen jahrzehntelang gute Arbeit getan habe, sei so etwas „eine gefährliche Drohung“.

Link: