Ungleiche Kontrahenten
Mitten in der heißen Phase des Kalten Krieges wurde Wien zum Schauplatz der Weltpolitik. Vor 50 Jahren, am 3. und 4. Juni 1961, trafen einander die beiden mächtigsten Männer der damaligen Welt: US-Präsident John F. Kennedy und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow. Vor allem der Konflikt um das geteilte Nachkriegsdeutschland und der Streit über atomare Abrüstung belasteten das Verhältnis.
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Es war das erste Gespräch der beiden Staatsmänner. Die beiden waren einander 1959 allerdings schon einmal kurz begegnet. Bei einer Chruschtschow-Reise in die USA hatte Kennedy, damals noch Senator von Massachusetts, an einem Empfang teilgenommen. Die politische Ausgangslage für den Wiener Gipfel war denkbar ungünstig.
Verunsicherte USA
Vor dem Treffen war weder ein Konsens über die atomare Abrüstung in Sicht, noch schienen auf der Genfer Laos-Konferenz Fortschritte möglich - genauso wenig wie im Disput über die Führungsstrukturen der UNO, unter deren Ägide die Ost-West-Entspannung zustande kommen sollte. Dazu kam, dass der Konflikt um Kuba die Beziehungen der beiden Supermächte schwer belastete: Kurz vor dem Gipfel hatten im April 1.500 Exilkubaner unter Anleitung und tatkräftiger Unterstützung von CIA und US-Armee versucht, das kommunistische Castro-Regime zu stürzen. Die Invasion in der Schweinebucht endete kläglich und schwächte die US-Position deutlich.
Die Sowjets dagegen strotzten nicht zuletzt wegen ihrer Raumfahrterfolge vor Selbstvertrauen: Ebenfalls kurz vor dem Gipfel hatte Juri Gagarin im April als erster Mensch im Weltraum die Erde umrundet. Vor allem aber drohte der Konflikt um das geteilte Nachkriegsdeutschland zu eskalieren. Durch einen von Moskau angedrohten separaten Friedensvertrag mit der DDR hätten die westlichen Alliierten das Recht auf den Zugang nach Westberlin verloren, der Westen befürchtete eine neuerliche Berlin-Blockade.
„Hirtenjunge und Königskind“
Es war vor allem ein Gipfel mit ungleichen Kontrahenten: Der damals 67-jährige Chruschtschow stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend hatte er als Hirte und Schlosser gearbeitet - und es dann doch an die Spitze von Partei und Staat geschafft. Im Vergleich zur düsteren vorangegangenen Stalin-Ära weckte er mit seiner betont hemdsärmeligen und volksnahen Art auch im Westen zumindest ein bisschen Zuversicht.

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Kennedy und Chruschtschow in der Wiener US-Botschaft
Der charismatische Hoffnungsträger Kennedy auf der anderen Seite war gerade ein paar Monate im Amt, über 20 Jahre jünger als sein Gegenüber und stammte aus besten Verhältnissen: „Hirtenjunge und das Königskind“, nannte der deutsche Historiker Karl Drechsler das ungleiche Duo.
Harter Schlagabtausch
Unter diesen Vorzeichen ging man vor allem auf amerikanischer Seite mit geringen Ansprüchen in das Treffen. Nicht mehr als eine erste „Fühlungnahme“ zwischen den beiden Staatschefs sollte der Gipfel in Wien werden. Der durch eine Rückenverletzung auch körperlich angeschlagene Kennedy sollte eine Gelegenheit zum „Kennenlernen“ seines Gegenspielers bekommen.
Dementsprechend hart fielen die Gespräche und mager die Ergebnisse des Gipfels aus. Die beiden grundverschiedenen Charaktere prallten aufeinander. Chruschtschow, von der durch eine massive Fluchtwelle ihrer Bürger unter Druck gesetzten Führung in Ostberlin zu einer Stabilisierung der DDR gedrängt, nahm Kennedy mit aggressiver Rhetorik und unverhohlenen Drohungen in die Zange. Der wiederum blieb, obschon beeindruckt bis schockiert, standhaft und machte - seinerseits unter entsprechendem Druck der Partner Deutschland und Frankreich - in der Berlin-Frage keinerlei Zugeständnisse.
„Es wird einen kalten Winter geben“
Das nach außen hin freundliche Treffen war von beinharten Konfrontationen geprägt. So erklärte Chruschtschow gegen Ende des Treffens: „Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufzwingen sollten, wird es einen geben.“ Kennedy dazu: „Wie es scheint, wird es einen kalten Winter geben in diesem Jahr.“
Das nur 125 Worte umfassende dürre Abschlusskommunique des Treffens dokumentierte schließlich eine Einigung nur hinsichtlich der „Unterstützung eines neutralen und unabhängigen Laos“. Ansonsten beschränkten sich Kennedy und Chruschtschow auf das Bekenntnis, „weiterhin Kontakte zu unterhalten, hinsichtlich aller Fragen, die von Interesse für die beiden Länder, aber auch für die ganze Welt sind“. Wenige Wochen später begann die Führung der DDR mit dem Sanktus Moskaus den Bau der Berliner Mauer, die Kubakrise im Oktober 1962 brachte die Welt an den Rand eines Nuklearkrieges.
Zwischen Unfreundlichkeit und Diplomatie
Auch gegenüber Dritten fielen die gegenseitigen Bewertungen der beiden wenig diplomatisch aus: Während Chruschtschow Kennedy wahlweise als „Hurensohn“ und „Weichling“ bezeichnet haben soll, meinte Kennedy nach dem Treffen zu einem „New York Times“-Journalisten sinngemäß, „er hat mir die Hölle heißgemacht“ („He just beat the hell out of me“).
Andere Zeitzeugen berichteten allerdings, dass die beiden vielleicht noch zueinanderfinden hätten können, zumal auch schon in Wien der Umgangston nicht immer unfreundlich war. „Wir konnten mit Ihnen leider keine gemeinsame Auffassung in den erörterten Fragen erzielen, aber ich danke Ihnen aufrichtig, Herr Vorsitzender, für Ihre Gastfreundschaft sowie für den liebenswürdigen und höflichen Ton, in dem Sie die Unterredungen mit mir geführt haben“, so die Abschlussworte Kennedys bei dem Treffen.

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Präsident Schärf zwischen Chruschtschow und Kennedy
Zu einem weiteren Gipfel kam es nicht mehr: Am 22. November 1963 wurde Kennedy in Dallas erschossen. Nicht einmal ein Jahr später putschten mit Reformvorhaben unzufriedene Parteikollegen, allen voran sein Nachfolger Leonid Breschnew, Chruschtschow von der Spitze. Seine letzten Jahre verbrachte er vom Sowjetsystem ins Abseits gestellt, 1971 starb er.
Österreich als Gewinner
Letztlich brachte der Gipfel nur einen Profiteur: Österreich und Wien konnten sich als Austragungsstätte internationaler Gipfel und Konferenzen profilieren. Folgerichtig freute sich Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) in einem Resümee über das gewonnene internationale Ansehen: „Österreich hat es verstanden, bisher in beiden Hauptstädten der Weltmächte ein höchstes Maß an Vertrauen zu erwerben. Das Gipfeltreffen bedeutet somit eine Aufwertung des Begriffs der österreichischen Neutralität.“
Das sieht auch der Grazer Historiker Stefan Karner so: Der Gipfel habe entscheidend zur Bildung der österreichischen Nachkriegsidentität beigetragen. „Die österreichische Politik nutzte den Gipfel, um sich als neutraler Vermittler zu zeigen.“ Die damalige Positionierung Österreichs wirkt bis heute nach. „Die Menschen verstehen Österreich als neutralen Staat“, sagte Karner.
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