„Mit zittrigen Händen“
Rund Zehntausend Ägypter - nach Schätzungen mehrerer Teilnehmer Zehntausende - haben am Freitag auf dem Tahrir-Platz in Kairo für ein höheres Reformtempo demonstriert. Sie verlangten zügige Prozesse gegen den im Februar gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak und sein in Korruption und Gewaltdelikte verstricktes Umfeld.
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Der von der Armee eingesetzten Übergangsregierung warfen Kundgebungsteilnehmer vor, mit „zittrigen Händen“ zu agieren, anstatt das Land sicher und entschlossen zu den geplanten Parlamentswahlen in diesem September zu führen. Die Oberstaatsanwaltschaft hatte erst am letzten Dienstag Anklage gegen Mubarak und zwei seiner Söhne wegen der Tötung von Demonstranten und illegaler Bereicherung erhoben.

AP/Khalil Hamra
Ein Teil der Revolution: Christen und Muslime beten auf dem Tahrir-Platz.
Auf dem Tahrir-Platz, der zum Symbol für den Sturz Mubaraks und den politischen Aufstand gegen das Regime wurde, trugen viele Demonstranten Spruchbänder, auf denen „Die ägyptische Revolution ist nicht vorbei“ zu lesen war. Mehrere Jugendorganisationen, die am Aufstand gegen Mubarak beteiligt waren, hatten den Protest zum „Zweiten Tag des Zorns“ ernannt und zu einer „zweiten Revolution“ aufgerufen.
Angst vor unheiliger Allianz
Unter den liberal-säkular orientierten Revolutionsgruppen wächst die Angst, dass künftig eine Allianz aus Muslimbrüdern und Militär die Geschicke des Landes bestimmen könnte, die Demokratisierung gestoppt und damit die Revolution gekappt werden könnte.
Muslimbrüder und Militär einig
Der Protesttag könnte innenpolitisch richtungweisend werden, denn die größte Oppositionskraft, die Muslimbruderschaft, hatte sich offen dagegen ausgesprochen. Die ägyptische Tageszeitung „Al-Masri al-Jum“ sprach auf ihrer englischen Website von einem „Test für die liberalen und säkularen Gruppen, auch langfristig eine eigene Oppositionsbewegung aufzubauen“.
Die Muslimbrüderschaft, die bestorganisierte politische Kraft des Landes, warf den Organisatoren des Protests vor, diese versuchten, einen Keil zwischen das Militär und das Volk zu treiben. Das Militär wiederum sprach sich ebenfalls gegen die Proteste aus und kündigte an, keine Sicherheitskräfte zu entsenden. Das deuteten manche wiederum als Einschüchterungsversuch, da damit mögliche Randalierer gefahrlos auftreten hätten können. Tatsächlich berichteten Demonstrationsteilnehmer, dass bereits Freitagfrüh Schläger von Demonstranten am Betreten des Tahrir-Platzes gehindert wurden.
Wenig Widerhall mit zentraler Forderung
Zwar gelang es den Organsiatoren - darunter die 6.-April-Bewegung und die Koalition der Jugendrevolution - zu mobilisieren, doch viele ihrer zentralen Forderungen trafen auf wenig oder gar keinen Widerhall. Vor allem die Forderung, die Verfassung nicht durch das künftige Parlament, sondern noch vor der Parlamentswahl abzuändern, traf bei vielen Demonstranten auf Widerstand. So zitierte „Al-Masri al-Jum“ etwa einen Teilnehmer, der der unter Verweis auf das Referendum meinte: „Wir werden nie eine Demokratie erreichen, wenn wir die Ergebnisse demokratischer Abstimmungen zurückweisen.“
Mehrere liberale Gruppierungen hatten gefordert, noch vor der Wahl die Verfassung umzuformulieren, um zu garantieren, dass Ägypten ein ziviler Staat wird. Dahinter steht die Befürchtung, dass die Muslimbruderschaft nach einem erwarteten überwältigenden Wahlsieg statt einer säkularen eine islamisch geprägte Verfassung durchzuboxt.
Muslimbrüder gegen Verschiebung
Die Muslimbrüder, die laut Umfragen die meisten Stimmen erhalten dürften, sind freilich gegen eine Verschiebung. Sie verweisen darauf, dass erst vor wenigen Wochen in einem Referendum 70 Prozent dafür stimmten, dass das neu gewählte Parlament die Verfassung ändern soll.
Einig waren sich dagegen die Demonstranten in ihrer Forderung, korrupte Vertreter des Mubarak-Regimes anzuklagen, die staatlichen Medien zu reformieren, korrupte Universitätsdirektoren und Gouverneure abzusetzen, die Macht des Sicherheitsapparats einzuschränken und die Justiz unabhängig zu machen.
Kritik an Militär
Die Menge auf dem Tahrir-Platz forderte, den derzeit regierenden Armeerat durch einen von Zivilpersonen besetzten Rat zu ersetzen und die Militärgerichte aufzulösen. Die Demonstranten werfen der Armee vor, seit Mubaraks Sturz ihre Machtbefugnisse zur Niederschlagung friedlicher Proteste zu missbrauchen und Tausende junger Demonstranten vor Militärgerichte zu stellen und zu inhaftieren.
Zahlreiche Redner formulierten auf der Bühne verschiedene konkrete Forderungen. Der Richter Mahmud al-Khodeiri etwa forderte Maßnahmen, um die Unabhängigkeit der Gerichte sicherzustellen und betonte: „Die Revolution hat das Justizministerium noch nicht erreicht.“ Ein koptischer Priester und ein islamischer Geistlicher betraten gemeinsam die Rednerbühne und forderten zur nationalen Einheit auf.
Die Demonstranten machten mit Sprechchören klar, dass sie es nicht zulassen werden, dass die „Märtyrer“ der Revolution umsonst starben und sie notfalls selbst bereit seien zu sterben, um die Umsetzung der Ziele der Revolution zu erreichen.
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