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Verstecke offenbar oft gewechselt

Der frühere bosnisch-serbische General und mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic ist bei seiner Festnahme im Schlaf überrascht worden. Widerstand leistete er keinen. Mladic sei praktisch „aus dem Bett heraus verhaftet“ worden, berichteten Belgrader Zeitungen am Freitag. Keine Spur gab es von seiner - angeblich umfangreichen - Leibwache.

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Die hätte, hatte es immer geheißen, den Auftrag gehabt, Mladic im Fall einer drohenden Festnahme zu erschießen, ließ sich aber nicht blicken, als der 69-Jährige von Sonderpolizisten im Haus eines Verwandten in der nordserbischen autonomen Provinz Vojvodina überrascht wurde.

Bei dem Haus, das Mladics Onkel Branislav Mladic gehört und im Dorf Lazarevo, rund eine Autostunde nordwestlich der serbischen Hauptstadt Belgrad, liegt, handle es sich um „ein typisches Bauernhaus“, hieß es in den Presseberichten weiter. Das Gebäude sei bereits in der Vergangenheit mehrmals von Sicherheitskräften durchsucht worden - allerdings ohne Erfolg.

Haus in dem Mladic sich versteckte

AP/Andrej Cukic

Das Haus, in dem Mladic sich versteckt hielt

Bereits seit Monaten observiert?

Der gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher habe sich erst seit rund zwei Wochen bei seinem Onkel aufgehalten. Zuvor war er allem Anschein nach in der Nähe von Belgrad untergetaucht. Mladic dürfte seine Verstecke in kurzen Abständen gewechselt haben.

Die Tageszeitung „Politika“ berichtete, der Ex-General sei vor seiner Festnahme bereits mehrere Monate vom Nachrichtendienst BIA observiert worden. Einwohner von Lazarevo erzählten, Mladic habe noch kürzlich Besuch von seinem Sohn Darko und seinen Enkelkindern erhalten. Die Familie hatte in den letzten Monaten mehrmals beteuert, der 69-Jährige sei wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustands sehr wahrscheinlich schon tot.

Bei Festnahme bewaffnet

Im vergangenen Sommer soll Mladic sogar sein Geld als Bauarbeiter in Zrenjanin verdient haben, berichtete die Tageszeitung „Blic“. Ein junger Mann, der dem Blatt das berichtete, hätte nicht gewusst, um wen es sich handelte, wenngleich „Milorad Komadic“, so der Tarnname von Mladic, dem früheren Militärchef der bosnischen Serben sehr ähnlich gesehen habe, berichtete die Tageszeitung.

Bei seiner Festnahme war Mladic nach Angaben der serbischen Regierung bewaffnet. Er habe zwei geladene Schusswaffen bei sich gehabt, aber keinerlei Widerstand geleistet, so der für die Verfolgung von Kriegsverbrechern zuständige Minister Rasim Ljajic. Moderne Kommunikationsmittel wie Handy und Computer hätten sich nicht in seinem Versteck befunden.

Tarnname „Milorad Komadic“

Der untergetauchte Mladic war einer der meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher. Der als „Schlächter vom Balkan“ bekannte Ex-General wurde vom Haager UNO-Kriegsverbrechertribunal unter anderem wegen des Massakers in der bosnischen Stadt Srebrenica 1995 angeklagt. Seine Ergreifung gilt als Voraussetzung für einen Beitritt Serbiens zur Europäischen Union.

Die ersten Fahrzeuge des Geheimdienstes und der Spezialpolizei waren am Donnerstag bereits um 6.00 Uhr in Lazarevo aufgetaucht. Der von seinen Landsleuten noch immer geschätzte und seit Jahren international gesuchte Mladic war so überrascht und unvorbereitet, dass er versuchte, die Einsatzkräfte mit seiner falschen Identität eines „Milorad Komadic“ zu täuschen. Die Verhaftung des Ex-Generals, dem auch die 44-monatige Belagerung Sarajevos mit rund 10.000 Toten zur Last gelegt wird, erfolgte laut serbischem Innenministerium nach einem „anonymen Hinweis“.

Keine Belohnung

Deshalb gibt es auch keine Belohnung. Die zehn Millionen Euro, die Serbien für die Ergreifung Mladics ausgesetzt hatte, bleiben in der Staatskasse. Es gebe niemanden, der den entscheidenden Tipp gegeben habe, sagte der Staatssekretär im Justizministerium, Slobodan Homen, dem Belgrader TV-Sender B-92. Der 69-Jährige sei „im Rahmen der normalen operativen Arbeit der serbischen Sicherheitsorgane“ gefasst worden. „Die haben nur ihre Arbeit gemäß Verfassung und Gesetz gemacht“, begründete Homen am Freitag seine Position.

16 Jahre auf der Flucht

Der frühere Militärführer der bosnischen Serben gilt als Hauptverantwortlicher für das Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem serbische Truppen rund 8.000 bosniakische Burschen und Männer töteten. Im selben Jahr endete der blutige Bosnien-Krieg, Mladic tauchte unter. Der politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wurde bereits 2008 gefasst und muss sich vor dem Haager UNO-Tribunal verantworten.

Was wussten die Behörden?

Seit Jahren wurde vermutet, dass sich Mladic in Serbien versteckt hält - womöglich mit Billigung der Behörden. Die Verhaftung des wegen Völkermordes und Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagten Mladic bedeutet einen großen Schritt Serbiens in Richtung EU-Mitgliedschaft. Darauf wies nicht nur der serbische Staatspräsident Boris Tadic bei der offiziellen Bekanntgabe der Verhaftung hin, auch die internationalen Reaktionen, insbesondere jene aus Europa, ließen erkennen, dass Belgrad damit einen entscheidenden Sprung vorwärts gemacht haben dürfte.

„Neuer Schwung“ für EU-Kurs

Europaparlamentspräsident Jerzy Buzek sagte, die Festnahme „gibt Serbiens EU-Beitrittsprozess einen neuen Schwung“. „Mit Mladics Festnahme hat Serbien eine seiner internationalen Verpflichtungen erfüllt“, so der Chefankläger des Haager UNO-Kriegsverbrechertribunals, Serge Brammertz, dessen Bericht entscheidend ist für die EU-Ambitionen Serbiens. Auch UNO und NATO begrüßten die Festnahme Mladics.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem „historischen Tag für die internationale Justiz“. Der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko meinte, mit der Verhaftung Mladics sei „sicher das letzte Hindernis für den Kandidatenstatus“ Serbiens beseitigt. Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) sagte, der EU-Kandidatenstatus für Serbien sei nun „in greifbare Nähe“ gerückt.

Pro-Mladic Demonstranten in Dorf bei Zrenjanin, Serbien

APA/EPA/Milos Jelisijevic

Proteste gegen die Festnahme Mladics

„Schwere Bürde von Serbien genommen“

Der serbische Präsident Tadic meinte, mit der Verhaftung sei „eine schwere Bürde von Serbien genommen“. Mit der Festnahme von Mladic sei für Serbien die Tür für den EU-Beitrittskandidatenstatus geöffnet, so Tadic. Er kündigte eine rasche Überstellung Mladics an das UNO-Tribunal an und äußerte sich zuversichtlich, nun auch noch den letzten flüchtigen Haager Angeklagten, den kroatischen Serbenführer Goran Hadzic, fassen zu können.

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