Fieberhafte Suche nach Ursache
Bisher ist noch unklar, was die gefährliche Durchfallepidemie in Deutschland ausgelöst hat, die womöglich bereits zwei Todesopfer gefordert hat. Auf einen ersten Verdacht ist die Frankfurter Gesundheitsbehörde bei ihrer Suche nach der Quelle für die Infektionen allerdings gestoßen: Alle 19 bisher in der Metropole Erkrankten hatten in denselben Kantinen einer Frankfurter Unternehmensberatung gegessen, sagte Oswald Bellinger vom Gesundheitsamt am Dienstag.
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Zwei Kantinen von PricewaterhouseCoopers waren deshalb bereits am Montag vorsorglich geschlossen worden. Auf Anfrage von ORF.at bestätigte der Betreiber der Kantinen, die Sodexo Services GmbH, die Infektionen. Es gebe jedoch keine weiteren Verdachtsfälle, keine weitere Kantine sei betroffen, versicherte Unternehmenssprecher Stephan Dürholt. Zuvor hatte es geheißen, dass auch in Berliner Kantinen des Betreibers Infektionen aufgetreten seien.
Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet. So wurde im Zuge eines Ursachenhinweises des Robert-Koch-Instituts (RKI) der Einsatz von Rohgemüse auf industriell vorbereitete Ware umgestellt, hieß es auf der Website von Sodexo.
Belastete Lieferung?
Das Gesundheitsamt vermutet eine belastete Lieferung an die Kantinen als Ursache: „Wir gehen davon aus, dass die Infektionsquelle in Norddeutschland liegt“, sagte Bellinger. Derzeit werteten Experten die Lieferscheine der beiden betroffenen Kantinen aus. „Wir gehen immer noch davon aus, dass die Übertragung durch Rohkost stattgefunden hat.“ Sicherheitshalber würden auch die Küchenmitarbeiter untersucht, Ergebnisse von Proben seien bis Ende der Woche zu erwarten, wie Bellinger auch dem Radiosender FFH sagte. So lange blieben die Kantinen geschlossen.
Dürholt sagte gegenüber ORF.at, er glaube nicht, dass einer der Lieferanten seines Unternehmens Urheber der Übertragungen sei. Man habe auch selbst Lieferungen analysiert und dabei keine Belastungen festgestellt.
Vorportionierte Salate unter Verdacht
Einige Experten vermuten als Quelle für den Darmkeim vorportionierte Salate. „Im Moment sieht es so aus, als wenn Salatbars, also vorbereitete Salatteile, eine Rolle spielen“, sagte die ärztliche Leiterin des Großlabors Medilys der Asklepios-Kliniken in Hamburg, Susanne Huggett, am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen. „Es wird aber mit Hochdruck daran gearbeitet.“
Mindestens ein Todesopfer durch EHEC-Infektion
Der lebensgefährliche Durchfallerreger gibt Gesundheitsexperten in Deutschland große Rätsel auf: Mehr als 400 Menschen sollen sich mit dem Bakterium Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) infiziert haben. Am Dienstag meldeten die Behörden, dass der Erreger schon mindestens ein Todesopfer forderte.
Eine 83-jährige Frau aus Niedersachsen starb den Angaben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums zufolge bereits am Samstag. Sie war seit dem 15. Mai wegen eines blutigen Durchfalls stationär behandelt worden. Die Frau sei im Labor positiv auf eine EHEC-Infektion getestet worden, teilte das Ministerium mit. Die Ermittlungen des Gesundheitsamtes Diepholz zu den näheren Todesumständen laufen noch.
80-Jährige starb nicht an Infektion
In Bremen starb eine junge Frau in der Nacht auf Dienstag nach Behördenangaben mit Verdacht auf das Hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), das durch den EHEC-Erreger verursacht wird. Bei ihr wurde der Erreger aber zunächst nicht im Labor nachgewiesen.
Bei jener 80-jährige Frau, die bereits am Sonntag in Schleswig-Holstein verstarb, soll die Ursache nicht, wie davor vermutet, am EHEC-Erreger liegen. Das sagte der Gesundheitsminister von Schlewsig-Holstein, Heiner Garg, am Mittwoch unter Berufung auf Angaben der Klinik in Bad Oldesloe (Kreis Stormarn).
„Besorgniserregende“ Ausbreitung
Indes nehmen die EHEC-Verdachtsfälle im Norden Deutschlands weiter zu, während der Süden bisher lediglich vereinzelt betroffen ist. In Bayern etwa wurden am Dienstag zwei Verdachtsfälle bestätigt. Allein in Schleswig-Holstein verdoppelte sich die Zahl der Verdachtsfälle von Montag auf Dienstag auf mehr als 200. „Diese Entwicklung übersteigt jedes historische Maß“, sagte der Mikrobiologe Professor Werner Solbach vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Damit gibt es deutschlandweit derzeit mehr als 400 Verdachts- und bestätigte Fälle.
Die deutsche Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) bezeichnete die Ausbreitung des Darmkeims als „besorgniserregend“. „Wir können momentan noch nicht sagen, wo die Quelle ist und können deshalb auch keine neuen Fälle ausschließen“, sagte Aigner am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin anlässlich des Deutschen Verbrauchertags.
„Erschreckend viele“ Erkrankungen
Das RKI rechnet mit weiteren Opfern. Bisher seien mehr als 80 HUS-Fälle bekannt, bei denen es sich um einen gefährlichen Verlauf der Infektion handelt, sagte RKI-Präsident Reinhard Burger am Dienstag in Berlin. „Wir müssen auch klar sagen, dass wir mit Todesfällen rechnen müssen“, sagte Burger. Normalerweise gebe es pro Jahr etwa 1.000 EHEC-Fälle, daraus würden sich dann zwischen 50 und 60 HUS-Fälle entwickeln. Burger bezeichnete die Zahl 80 als „erschreckend viel“. Es sei auch nicht erkennbar, dass diese Entwicklung nachlasse.
Zur Ursache des EHEC-Erregers gibt es weiter keine verlässlichen Erkenntnisse. Es werde vermutet, dass möglicherweise mit Gülle gedüngtes Gemüse die Ursache sei. Solange die konkrete Quelle nicht identifiziert sei, lasse sich zur weiteren Verbreitung nichts Seriöses prognostizieren. „Das wäre Kaffeesatzleserei“, hieß es aus der Behörde.
Bauern: Gülledünger für Gemüse „total abwegig“
Die deutschen Bauern widersprachen dieser Darstellung jedoch. „Da wird gemutmaßt, dass EHEC-Erreger über Gülle auf das Gemüse gespritzt worden seien. Dabei ist es total abwegig, Gemüse mit Gülle zu düngen“, sagte der Sprecher der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Bernhard Rüb, am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa in Münster.
„Das würde den Geschmack beeinträchtigen und könnte auch Pflanzenkrankheiten verursachen. Gülle wird nur auf Getreide-, Mais- oder Rapsäckern versprüht, aber noch bevor ausgesät wird.“ Vermutungen, dass EHEC über Gemüse verbreitet worden sei, hätten unnötig Verunsicherung geschürt, sagte Rüb. Zurzeit ist Hochsaison für Freilandgemüse.
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