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Kantinen im Visier der Behörden

Ein lebensgefährlicher Durchfallerreger gibt Gesundheitsexperten in Deutschland derzeit große Rätsel auf: Mehr als 400 Menschen sollen sich mit dem Bakterium Enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) infiziert haben. Am Dienstag meldeten die Behörden, dass der Erreger schon mindestens ein Todesopfer forderte.

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Eine 83-jährige Frau aus Niedersachsen starb den Angaben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums zufolge bereits am Samstag. Sie war seit dem 15. Mai wegen eines blutigen Durchfalls stationär behandelt worden. Die Frau sei im Labor positiv auf eine EHEC-Infektion getestet worden, teilte das Ministerium mit. Die Ermittlungen des Gesundheitsamtes Diepholz zu den näheren Todesumständen laufen noch.

Todesopfer in verschiedenen Bundesländern

In Bremen starb eine junge Frau in der Nacht auf Dienstag nach Behördenangaben mit Verdacht auf das Hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), das durch den EHEC-Erreger verursacht wird. Bei ihr wurde der Erreger aber zunächst nicht im Labor nachgewiesen.

Im Kreis Stormarn starb laut dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium am Sonntag eine mehr als 80 Jahre alte Frau, die mit EHEC infiziert war. Ob die Infektion die Todesursache gewesen sei, stehe aber noch nicht fest, erklärte das Ministerium. Die Frau lag demnach wegen einer Operation im Krankenhaus.

„Entwicklung übersteigt historisches Maß“

Indes nehmen die EHEC-Verdachtsfälle im Norden Deutschlands weiter zu, während der Süden bisher lediglich vereinzelt betroffen ist. In Bayern etwa wurden am Dienstag zwei Verdachtsfälle bestätigt. Allein in Schleswig-Holstein verdoppelte sich die Zahl der Verdachtsfälle seit Montag auf mehr als 200. „Diese Entwicklung übersteigt jedes historische Maß“, sagte der Mikrobiologe Professor Werner Solbach vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Damit gibt es deutschlandweit derzeit mehr als 400 bestätigte und Verdachtsfälle.

RKI rechnet mit mehr Todesfällen

Das Robert-Koch-Institut (RKI) rechnet mit weiteren Opfern. Bisher seien mehr als 80 HUS-Fälle bekannt, bei denen es sich um einen gefährlichen Verlauf der Infektion handelt, sagte RKI-Präsident Reinhard Burger am Dienstag in Berlin. „Wir müssen auch klar sagen, dass wir mit Todesfällen rechnen müssen“, sagte Burger. Die Infektionsquelle sei weiterhin nicht bekannt. Normalerweise gebe es pro Jahr etwa 1.000 EHEC-Fälle, daraus würden sich dann zwischen 50 und 60 HUS-Fälle entwickeln. Burger bezeichnete die Zahl 80 als „erschreckend viel“. Es sei auch nicht erkennbar, dass diese Entwicklung nachlasse.

Zur Ursache des EHEC-Erregers gibt es weiter keine verlässlichen Erkenntnisse. Es werde vermutet, dass möglicherweise mit Gülle gedüngtes Gemüse die Ursache sei. Solange die konkrete Quelle nicht identifiziert sei, lasse sich zur weiteren Verbreitung nichts Seriöses prognostizieren. „Das wäre Kaffeesatzleserei“, hieß es aus der Behörde.

Infizierte aßen in derselben Kantine

Auf einen ersten Verdacht ist die Frankfurter Gesundheitsbehörde bei ihrer Suche nach der Quelle für die Infektionen allerdings gestoßen: Alle 19 bisher in der Main-Metropole Erkrankten hatten in denselben Kantine einer Frankfurter Unternehmensberatung gegessen, sagte Oswald Bellinger vom Gesundheitsamt am Dienstag. Zwei Kantinen von PricewaterhouseCoopers waren bereits am Montag vorsorglich geschlossen worden. Auf Anfrage von ORF.at bestätigte der Betreiber der Kantinen, die Sodexo Services GmbH, die Fälle.

Schuld ist wahrscheinlich eine belastete Lieferung an die Kantine: „Wir gehen davon aus, dass die Infektionsquelle in Norddeutschland liegt“, sagte Bellinger. Derzeit werteten Experten die Lieferscheine der beiden betroffenen Kantinen aus. „Wir gehen immer noch davon aus, dass die Übertragung durch Rohkost stattgefunden hat.“ Sicherheitshalber würden auch die Küchenmitarbeiter untersucht, Ergebnisse von Proben seien bis Ende der Woche zu erwarten, wie Bellinger auch dem Radiosender FFH sagte. So lange blieben die Kantinen geschlossen.

Stephan Dürholt, Unternehmenssprecher von Sodexo, sagte gegenüber ORF.at, er glaube nicht, dass einer der Lieferanten seines Unternehmens Urheber der Übertragungen sei. Eine davor veröffentlichte Meldung, wonach auch Kantinen in Berlin betroffen seien, wiederrief er - es gebe keine weiteren Verdachts- und Infektionsfälle in Sodexo-Kantinen.

Extrem resistente Bakterien

Die Erreger sind besondere Stämme der Escherichia-coli-Bakterien, die vor allem im Darm von Wiederkäuern, insbesondere Rindern, leben. Dem Großlabor zufolge handelt es sich bei dem seit Mitte Mai grassierenden Keim um eine besonders aggressive Form. Der bisher unbekannte Bakterienstamm sei resistent gegen bestimmte Antibiotika. Das sei bemerkenswert.

Von einer Behandlung mit Antibiotika vor allem im späteren Krankheitsstadium hatten Mediziner jedoch ohnehin abgeraten. Durch das Abtöten des Keims könnten verstärkt Giftstoffe freigesetzt und die Krankheit damit verschlimmert werden. EHEC-Infektionen treten immer wieder auf. Besonders verwundert die Experten auch, dass diesmal vor allem Erwachsene schwer erkranken, normalerweise haben eher Kinder starke Symptome.

Frauen häufiger betroffen

Ungewöhnlich ist unter anderem, dass die Erkrankung Frauen offenbar häufiger trifft als Männer. Die bisher einzige mögliche Erklärung dafür: „Die Frauen bereiten häufiger Lebensmittel zu, und da können sie sich möglicherweise bei der Reinigung des Gemüses oder anderer Lebensmittel infizieren“, so Epidemiologe Gerard Krause vom RKI gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

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