Themenüberblick

Patzelt über 50 Jahre AI

50 Jahre nach der Gründung von Amnesty International (AI) habe die Menschenrechtsorganisation zumindest eine Gewissheit: Es gebe heute „keinen Staat auf der Welt, der seinen Bürgern alle Menschenrechte zukommen lässt“, erklärte Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich.

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Über die Jahre hinweg sei die Themenpalette von Amnesty „sehr viel breiter“ geworden, so Patzelt. Eines sei aber gleich geblieben: die Durchsetzung der Menschenrechte. „Alle Menschenrechte für alle Menschen“, das war und ist weiterhin der Kern und das Ziel aller Arbeit.

Was sich völlig verändert habe, seien die Arbeitstechniken und die einzelnen Zielsetzungen der Organisationen, stellte der gelernte Jurist fest. Setzte man sich anfangs für einzelne Gewissensgefangene ein, sind heute der Kampf gegen Folter, die Todesstrafe aber auch die Asylthematik sehr präsent. Menschen würden heute „sehr viel mehr dafür verfolgt, was sie sind, und für das, was sie sagen, denken oder handeln“.

„Sorgenkind“ China

Die Europäische Union bezeichnet der Generalsekretär als den „Platz auf der Welt, wo Menschenrechte für die meisten Menschen am relativ besten verwirklicht sind“. Trotzdem würden auch hier Menschenrechtsverletzungen stattfinden.

Ein „Sorgenkind“ von Amnesty bleibe China. Er kenne wenige Länder, die „dermaßen systematisch perfekt und bizarr Meinungsfreiheit beschränken“, gab Patzelt zu bedenken. „Was ich so erschreckend finde, ist, dass in China alle sozialen Fortschritte gepaart sind mit einem ganz markanten Abbruch im Bereich Meinungsfreiheit.“

Aber auch im Iran und in Nordkorea sei es „tödlich, den Mund aufzumachen“. Ebenso würden sich in den USA, die sich gerne als die „Hüter der Menschenrechte“ sähen, die „eng gezogenen Grenzen“ des Begriffes Meinungsfreiheit zeigen, so der 54-Jährige.

„Wer redet noch von Osttimor?“

Aber nicht diese „Hot Spots“ der Menschenrechtsverletzungen - sie stünden ohnehin im Lichte der Öffentlichkeit - sondern die „Forgotten Countries“ stellten eine große Herausforderung für Amnesty International dar. „Wer redet heute noch von Osttimor?“, erinnerte der Generalsekretär an die „vergessenen Staaten“. Hierzu würden auch viele Länder in Afrika zählen.

„Unsere Arbeit war sicher nicht ausreichend“, betonte Patzelt in der Antwort auf die Frage, warum Menschenrechtsverletzungen in vielen Ländern noch immer auf der Tagesordnung stehen. Wäre die Arbeit ausreichend gewesen, „hätten wir heute eine menschenrechtskonforme Welt“.

In Summe sei es jedoch nicht die Verantwortung von Amnesty, sondern jene der einzelnen Staaten, Menschenrechte sicherzustellen. „Unsere Aufgabe ist es, die menschenrechtlichen Sprechblasen der Regierungen auf ihre Inhaltswertigkeit zu prüfen.“

Flüchtlingsdebatte innerhalb der EU

Die aktuelle Debatte über die Beschränkung der Reisefreiheit und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten zeigt laut Patzelt, „wie wenig den Menschen Freiheit eigentlich Wert ist“. Denn die vier Grundfreiheiten (freier Waren-, Personen-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr) seien die „wohl wichtigste Errungenschaft“ der europäischen Staatengemeinschaft.

Neuen Zündstoff für die Flüchtlingsdebatte innerhalb der EU brachten die jüngsten Umwälzungen im nordafrikanischen Raum. Patzelt forderte deshalb vergangene Woche eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik. „Wenn man aber Flüchtlingspolitik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner macht und der europäische Rat der Innenminister ein Kreativitätszimmer der Grauslichkeiten ist, dann wird das nicht funktionieren“.

Von der österreichischen Bundesregierung wünscht sich der Chef von Amnesty Österreich, dass in den Ministerien „nicht ausschließlich Kreativität herrscht, wie man die Menschenrechte aushöhlen kann“. In diesem Jahr liege der Fokus deshalb auch auf Bewusstseinsbildung innerhalb des Parlaments.

„Jedes dritte Gesetz menschenrechtswidrig“

Zudem kritisierte Patzelt dass seinem Gefühl zufolge jedes dritte Gesetz menschenrechtswidrig sei. In diesem Zusammenhang erwähnte er die Fremdenrechtsnovelle, den Mafia-Paragrafen und das Waffenexportgesetz. Aber auch bei vielen anderen Gesetzen und Debatten - aktuell der Wehrdienstdebatte - ortet Patzelt Menschenrechtsverletzungen, so sei ein möglicher Zwangsdienst zum Erhalt des Zivildienstes eine „kristallklare“ Verletzung der Menschenrechte.

Die Schwerpunkte der Arbeit in Österreich liegen laut Generalsekretär Patzelt im „immer skandalöser werdenden Umgang mit Asylrecht“. Man müsse klarmachen, dass die Polizei eine „ganz zentrale wichtige Menschenrechtseinrichtung ist. Menschenrechtsarbeit ohne Polizei ist undenkbar“, betonte der Generalsekretär. Es gehe vor allem um institutionellen Rassismus. Nicht einzelne Polizisten, sondern die Polizei als Institution - inklusive des Justizsystems (Staatsanwaltschaft, Gerichte etc.) - setze sich „nicht aktiv gegen Rassismus zur Wehr“.

Ein weiteres Ziel der Arbeit in Österreich sei es, den Menschenrechtsbeirat (MRB) im Innenministerium „unabhängiger zu stellen“ und in der Volksanwaltschaft anzusiedeln. Der MRB wurde - unter anderem durch die Hilfe von Amnesty Österreich - nach dem Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma im Jahr 1999 gegründet.

Kampf gegen Todesstrafe

Als sein persönliches Anliegen bezeichnete Patzelt den Kampf gegen die Todesstrafe. Deren Abschaffung innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre hält er für realistisch. Es sei ein „gewinnbarer Kampf“, denn pro Jahr würden zwei der noch 30 Staaten, die die Todesstrafe noch immer „ernstzunehmend in ihrem Programm haben“, diese abschaffen.

Trotzdem habe die Organisation in den vergangenen 50 Jahren gelernt, dass ein Menschenrechtsthema „wohl nie richtig abgeschlossen sein kann, deshalb wird uns auch in den nächsten 50 Jahren nicht langweilig werden“, blickte Patzelt in die Zukunft: Die Arbeit von Amnesty sei zwar eine Sisyphusarbeit, aber „ungeheuer zufriedenstellend, weil noch immer sehr viel weitergeht“.

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