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Skandal vor Parlamentswahl

Weniger als drei Wochen vor der Parlamentswahl in der Türkei hat ein Skandal seinen Höhepunkt erreicht, der der Rechtspartei MHP wohl alle Chancen genommen hat. Der Streit um Sexvideos, die Oppositionspolitiker in kompromittierenden Szenen zeigen, eskalierte. Rund zehn führende Funktionäre der MHP reichten wegen der Videos ihren Rücktritt ein.

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Es sei „ehrlos“, mit Hilfe solcher Aufnahmen politische Gegner zu attackieren, so Parlamentspräsident Mehmet Ali Sahin. Die Affäre werde zunehmend als Bedrohung für die Politik des Landes als Ganzes gesehen, schrieb die Zeitung „Hürriyet“.

Urheber in den eigenen Reihen?

Die erstmals Ende April aufgetauchten, mit versteckter Kamera aufgenommenen Aufnahmen zeigen verheiratete MHP-Politiker mit ihren Geliebten. Die Videos wurden von einer Gruppe ins Internet gestellt, die sich selbst als parteiinterne Opposition gegen MHP-Chef Devlet Bahceli bezeichnet. Die bisher anonym gebliebenen Dissidenten verlangen den Rücktritt des Parteichefs.

Die „Anderen Nationalisten“, wie sie sich nennen, werfen dem Parteichef eine inhaltsleere Klüngelpolitik vor. Bahceli und seine Leute müssten weg, damit sich die Partei erneuern könne. Doch wer die „Anderen Nationalisten“ sind, weiß bisher niemand, die Website wurde inzwischen auf behördliche Anordnung gesperrt. Bahceli und seine Berater machen hingegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für den Skandal verantwortlich. Erdogan weist das zurück.

Katastrophe für Oppositionspartei

Für die Nationalistenpartei, die sich als Verein ehrenhafter Patrioten und Saubermänner präsentiert, sind die Videos und die Rücktritte eine Katastrophe. Der Skandal könnte die MHP am Wahltag unter die Zehnprozenthürde drücken und damit aus dem Parlament fegen. Sie liegt in den Umfragen ohnehin bei höchstens 15 Prozent, ihre konservativen Wähler sind wütend und verunsichert.

Hauptnutznießer eines Absturzes der MHP wäre wahrscheinlich die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan. Dass die AKP die Wahl am 12. Juni gewinnen wird, gilt angesichts eines Stimmenanteils von rund 45 Prozent in den Umfragen ohnehin als ausgemacht.

MHP: „Mordanschlag im Auftrag der AKP“

Sollte die MHP aus dem Parlament fliegen, könnte sich der Anteil der AKP-Sitze in der neuen Legislaturperiode von derzeit 331 auf mehr als 367 erhöhen. Damit hätte die AKP eine Zweidrittelmehrheit, was ihr angesichts der nach der Wahl anstehenden Beratungen über eine neue Verfassung für die Türkei eine wichtige Machtposition einräumen würde.

Deshalb sehen Erdogans Kritiker die Regierung hinter dem Skandal. Einer der zurückgetretenen MHP-Funktionäre sprach von einem politischen „Mordanschlag im Auftrag der AKP“. MHP-Chef Bahceli deutete an, dass er regierungsnahe Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen im Verdacht hat, die Videos angefertigt zu haben. Beweise konnten die Regierungsgegner bisher allerdings nicht vorlegen.

Ähnlicher Fall im Vorjahr

Es ist nicht das erste Mal, dass Videos von außerehelichen Affären türkische Spitzenpolitiker zu Fall bringen. Im vergangenen Jahr trat Deniz Baykal, der langjährige Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der links-nationalen CHP, nach einem ähnlichen Skandal zurück. Auch Baykal beschuldigte damals die Regierung. Beobachter vermuteten hingegen eine Intrige innerhalb der eigenen Partei.

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