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Nische wird nicht genützt

Wie sieht der typische Kunde der Zukunft aus? Zieht man die Bevölkerungsstatistik zu Rate, dann ist er vermutlich 50 Jahre oder älter, finanziell gut abgesichert und immer öfter Single. Die Generation 50 plus ist die am schnellsten wachsende Zielgruppe. Gleichzeitig steht die Wirtschaft keiner anderen Käuferschicht so rat- und tatlos gegenüber wie dieser.

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Auf Unternehmen kommen in den nächsten Jahren besondere Herausforderungen zu. Die Bevölkerung wird immer älter, damit verändert sich auch das Konsumverhalten. Doch Firmen, die sich den neuen Ansprüchen stellen wollen, stehen oft vor einem Problem. Denn egal, welche schönen Namen man der Zielgruppe der älteren Personen gibt, „50 plus“, „Best Ager“ oder „Silver“, wirklich dazugehören will eigentlich niemand.

Alles für den älteren Kunden

Das Motto für Unternehmensstrategen heißt also: „Tu Gutes für Senioren, aber sprich nicht darüber.“ In Deutschland ist man sich der neuen Entwicklung bereits bewusst. Der Deutsche Handelsverband (HDE) vergibt seit 2010 ein Zertifikat für „generationenfreundliche“ Geschäfte. Erfüllt werden müssen dabei 58 Kriterien, von der Beleuchtung bis zur Breite der Gänge. Der Einzelhandelsriese Kaufhof geht sogar noch weiter und beschäftigt als einziges Einzelhandelsunternehmen in Deutschland eine eigene Demografiebeauftragte.

Ihre Aufgabe ist es, für die Metro-Tochter altersgerechte Angebote möglichst kundenfreundlich, aber unauffällig umzusetzen. Seitdem gibt es in vielen Filialen Sofas zum Ausruhen, Sitzbänke in Umkleidekabinen und Taschenablagen an den Kassen. Lupen an den Regalen wird man hingegen keine finden - zu offensichtlich.

Geschäft mit „mehr Menschlichkeit“

In Österreich kennt man so viel Zurückhaltung nicht. Mitte Mai eröffnete in Wien ein Lebensmittelhändler, der sich speziell an Senioren wendet. Mit breiten Gängen, größeren Beschriftungen und Beratung „mit mehr Menschlichkeit“ will man gezielt ältere Personen ansprechen. Die Sorge, damit eventuell andere Kunden abzuschrecken, hat T-Preis-Chef Christian Thurner nicht. „Wir sind ein Markt für alle“, aber mit speziellem Blick auf eine in Österreich noch stiefmütterlich behandelte Zielgruppe, erklärte Thurner gegenüber ORF.at.

Seniorensupermarkt in Wien

ORF.at/Gabi Greiner

Breite Gänge und mehr Licht: Der T-Preis-Supermarkt wirbt um ältere Menschen.

Ruheecke und Taxifahrten

So arbeite man mit Seniorenverbänden zusammen, die sich sehr interessiert an der Geschäftsidee gezeigt hätten. Ein Zertifikat wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht, daher muss sich Thurner auf seinen eigenen Ideenreichtum verlassen. So sollen im neu eröffneten Markt bald Sitzecken mit Wasserspender aufgestellt werden, und einmal in der Woche sollen Kunden mit Pensionistenkarte kostenlose Taxifahrten zum Markt und wieder nach Hause erhalten.

Der Oberösterreicher ist von seiner Geschäftsidee felsenfest überzeugt und plant bereits weitere 15 Filialen im Umland von Wien. Beim Besuch in der Filiale scheint das Konzept aufzugehen. Die meisten Kunden sind deutlich über 50, aber vielleicht lag das auch nur an der frühen Tageszeit.

WKÖ: Potenzial wird nicht ausgeschöpft

Mit seiner konsequenten Ausrichtung auf ältere Menschen übernimmt Thurner eine Vorreiterrolle in Österreich. Dabei wird vor allem von der Wirtschaftskammer (WKÖ) bereits seit Jahren auf das Marktpotenzial der älteren Menschen hingewiesen, doch bisher ohne viel Erfolg. „Die Unternehmen sind beim Thema Senioren vorsichtig, zurückhaltend und wissen oft nicht, wie man sie richtig anspricht“, erklärt Günter Schmidauer von der WK-Kärnten gegenüber ORF.at

Seniorengruppen

Empty Nester: 45 bis 60 Jahre. Kinder sind aus dem Haus, Einkommen hoch.
Junge Senioren: 61 bis 75 Jahre. Einkommen sinkt nach Pensionierung, mehr Freizeit.
Alte Senioren: Ab 75 Jahre. Wachsende Single-Haushalte, Konsumverhalten nimmt ab.

Das liegt daran, dass der Seniorenmarkt sehr inhomogen ist. Schmidauer nennt grob drei Typen: vom aktiven, jungen 50 plus, der sich gerne belohnt und viel reist, bis hin zum alten Menschen, bei dem die finanzielle Absicherung im Vordergrund steht, und der nur noch wenig konsumiert. „Ältere Menschen stellen andere Ansprüche als junge, die Wirtschaft muss darauf aber reagieren“, erklärt Schmidauer. „Viele haben noch nicht kapiert, wie man mit Älteren umgehen muss“, so Schmidauer. Gerade große Supermärkte werden von betagten Menschen wegen der lauten Musik und der schrillen Werbung oft gemieden.

Chancen nutzen

Trotzdem schrecken viele Händler davor zurück, seniorengerechte Veränderungen vorzunehmen. Meist aus Angst, damit andere Kunden zu vergraulen. Dabei birgt der wachsende Markt an älteren Personen laut WK auch Chancen. Gerade kleine Unternehmen könnten durch Spezialisierung Nischen abdecken und sich so besser positionieren und gegen Konkurrenten durchsetzen.

Vorbild Japan

Als gutes Beispiel kann hier Japan herhalten. Dort ist die Babyboomer-Generation mittlerweile im Schnitt über 65 Jahre alt, und die Wirtschaft hat das Potenzial des „Silbermarkts“ längst für sich entdeckt. Angefangen vom Pflege- und Gesundheitsmarkt über den Freizeitsektor bis hin zum Immobilien- und Jobvermittlungsmarkt bieten sich interessante Geschäftschancen, wie das Deutsche Institut für Japan-Studien schreibt.

Zwar lässt sich nicht alles auf den europäischen Markt umlegen, doch aus einigen Fehlern können Unternehmen sicher lernen. Denn wie die heimischen Senioren lehnen auch Japaner Produkte, die mit dem Attribut „seniorengerecht“ beworben werden, schlichtweg ab. Zwar wird auf altersgerechte Produktgestaltung geachtet, man möchte aber nicht mit der Nase darauf gestoßen werden. Auf Packungen mit Papierwindeln wird man deshalb diese Bezeichnung vergeblich suchen. Beworben werden stattdessen Unterhosen für Erwachsene, die auch längere Reisen erlauben.

Gabi Greiner, ORF.at

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