„Masterpläne“ für eine lebenswerte Stadt
In den letzten 20 Jahren ist die Weltbevölkerung explosionsartig gestiegen. In boomenden Metropolen wie Mexiko-Stadt, Mumbai und Kairo verschlechterten sich die Lebensbedingungen dramatisch. Verkehrschaos, veraltete Infrastruktur und hohe Grundstückspreise führen dazu, dass Ballungszentren immer mehr an Attraktivität verlieren. In Delhi sollen nun neue Ideen für mehr Lebensqualität sorgen.
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Um die Entwicklung von Städten planen zu können, muss man Städte als „lebende Gebilde“ verstehen, schreiben die indischen Forscher Kibram Kumar Dutta und Sanhita Bandyopadhyay in der Einleitung ihres Beitrags zur Stadtplanungskonferenz CORP 2011 in Essen. Demnach unterliegen Ballungszentren einem Lebenszyklus, der sich von der Gründung einer Stadt über deren Wachstum bis zur Abwanderung erstreckt, wenn nicht Maßnahmen ergriffen werden, um eine Stadt „am Leben“ und für die Bewohner attraktiv zu erhalten.
Neue Herausforderungen für Megacitys
Dabei sehen sich Städte überall auf der Welt denselben Herausforderungen gegenüber: demografischer Wandel, unzureichende oder veraltete Infrastruktur, wachsender Bedarf nach Baugrund. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern verzeichneten Städte wie Mumbai, Delhi und Kairo seit den 80er Jahren gigantische Zuwanderungsraten.
Städtebaulicher Wildwuchs
Doch der Zuzug erfolgte vielfach unkontrolliert und ohne Plan. Das wird am Beispiel der 18-Millionen-Stadt Delhi besonders deutlich. Dort leben heute nur 30 Prozent der Stadtbevölkerung in geplanten Wohnarealen, der Rest ist städtebaulicher Wildwuchs.
Mehr als drei Millionen Menschen leben in 1.432 inoffiziellen Siedlungen, die sich konzentrisch um den Stadtkern gebildet haben. Bisher gab es erst zweimal den Versuch, diese Siedlungen gesetzlich zu regulieren: 1961 (100 Siedlungen) und 1977 (600 Siedlungen). In der Zwischenzeit ist die Stadt weiter gewachsen. Heute umfasst Delhi 165 Dörfer und 52 mittelgroße Städte, die von der wuchernden Großstadt „geschluckt“ wurden. Bis 2021 dürfte die Stadt laut Prognosen auf 23 Millionen Menschen anwachsen.
Fehlende Prognosen für die Zukunft
Wegen der fehlenden oder schlecht vernetzten Regionalverwaltungen kann die Stadtbehörde aber nur unzureichend den künftigen Bedarf an Wohnungen, Geschäftsflächen und Industriezonen in den einzelnen Arealen abschätzen. Ein anderer Nachteil ist, dass viele Flächen nur schlecht genutzt werden. So gibt es im Stadtzentrum von Delhi ein Beamtenviertel, in dem nur zweistöckige Gebäude stehen, was viel wertvollen Platz verbraucht. Zudem beherbergen nur 35 Prozent der Gebäude Beamte.
Die Auswirkungen der fehlenden Stadtplanung sind stark spürbar. Wuchs Delhi in den 90er Jahren um 47 Prozent, legten die umliegenden Städte wie Noida und Ghaziabad um 108 bzw. 89 Prozent zu. Angelockt von günstigeren Grundstückpreisen siedelten sich in den letzten 20 Jahren große Unternehmen zunehmend in den Orten rund um Delhi an - und mit ihnen Zehntausende Arbeiter.

Reuters/Danish Siddiqui
In Delhi sollen in den nächsten Jahren eine Million neue Wohnungen entstehen.
Neue Pläne für die Stadt
„Masterpläne“ sollen deshalb die Stadtentwicklung in andere Bahnen lenken. Bereits 1962 wurden ein neues Kultur- und Kongresszentrum geplant, verkehrsberuhigte Einkaufsstraßen festgelegt und große Textilfabriken an den Stadtrand umgesiedelt. In der 1981 für den Zeitraum bis 2001 erstellten Planung konzentrierten sich die Stadtforscher auf die Bewahrung von Kulturschätzen, den Ausbau von Massentransportmitteln und den wachsenden Bedarf an Wohnraum.
Bevölkerungszahl explodiert
Hierbei zeigt sich auch deutlich die rasant wachsende Bevölkerungszahl. War man im „Masterplan“ 1962 noch von rund vier Millionen Einwohnern ausgegangen, hatte sich die Zahl bis 1981 bereits verdreifacht. Und im aktuellen „Masterplan“ bis zum Jahr 2021 wird bereits von einer Bevölkerung von mehr als 23 Millionen Menschen ausgegangen.
Als vordringlichstes Ziele in den nächsten Jahren sind deshalb die Ausrichtung der Infrastruktur auf Massentransportmittel, die Gestaltung von belebten Zentren entlang der Hauptverkehrswege und die gesetzliche Änderung von Bauvorschriften definiert.
Eine Million Wohnungen geplant
Gerade der Wohnsektor ist eines der wichtigsten Entwicklungsfelder der Großstadt. Jedes Jahr strömen bis zu 45.000 Familien nach Delhi - viele von ihnen landen in Slums. Die Lebensbedingungen dort sind aber oft katastrophal: Keine ausreichende Gesundheitsversorgung, unsauberes Wasser und starke Umweltbelastung sorgten dafür, dass die Lebenserwartung ungleich niedriger ist als bei Armen, die nicht in Slums leben.
In Delhi sind eine Million Wohnungen für die nächsten Jahre projektiert. Dabei soll auch der Anteil der Grünflächen langsam wachsen und es sollen neue regionale Zentren entstehen. Auch die Planung neuer Viertel wie eines Universitätsviertels im Süden Delhis, die Verbreiterung der wichtigsten Straßen und ein 200 Hektar großer Sportkomplex sollen der Stadt langsam ein neues Gesicht geben.
Gutes Stadtmanagement ist gefragt
Um diese Pläne umzusetzen, braucht es jedoch oft neue Verwaltungsstrukturen und vor allem ein effizientes Management. Doch gerade hier spießt es sich bei Megacitys oft. Ein OECD-Bericht hat bereits 2004 Millionenstädte wie Mexiko Stadt und Sao Paolo für ihre Stadtverwaltungen kritisiert. Beide sind in zahllose Einheiten untergliedert, die oft gegeneinander statt miteinander arbeiten. Auch in Delhi existieren viele Verwaltungseinheiten, die sich überschneiden und kommunale Aufgaben wie die Festlegung von Baubestimmungen unnötig verzögern.

APA/EPA/Douglas E. Curran
1996 erreichte die Luftverschmutzung in Delhi ihren Höhepunkt.
Wachsende Umweltprobleme
Das Leben unter 20 Millionen Einwohnern hat natürlich auch ökologische Nachteile. Wobei das Wachstum einer Metropole nicht automatisch mehr Schaden für die Umwelt bedeutet, wie ein Forschungsbericht von GlobeScan festhält. So hat sich die Luftqualität in London und Tokio in den vergangenen 50 Jahren verbessert, in Entwicklungs- und Schwellenländern aber verschlechtert. Noch 2005 führte Delhi die Liste der dreckigsten Städte der Welt an.
CORP 2011: Konferenz in Essen
Im deutschen Essen befasst sich zwischen 18. und 20. Mai die „16. internationale Konferenz zu Stadtplanung und Regionalentwicklung in der Informationsgesellschaft“ unter dem Titel „Stabilität durch Veränderung - Lebenszyklen von Städten und Regionen“ mit unterschiedlichen Aspekten der Stadt- und Regionalentwicklung.
Doch die Stadt hat mittlerweile die Problematik erkannt. Vor allem die wachsende Zahl an Motorrädern und alten, schlecht gewarteten Dieselbussen ließ die Luftverschmutzung bis 1996 fast unerträglich werden. Die Zahl der Lungenerkrankungen stieg sprunghaft an, jedes Jahr starben rund 7.500 an Krankheiten im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung.
Delhi kann wieder atmen
Das indische Umweltministerium setzte drastische Maßnahmen: Busse fahren heute mit Erdgas, 50.000 alte Motorrikschas wurde aus dem Verkehr gezogen, und alle Autos müssen zum Umwelttest. Bis 2003 konnten die CO2-Werte um 75 Prozent, die Schwefeldioxide um 35 Prozent gesenkt werden. 2009 wurde Delhi von der Umweltorganisation Blacksmith Institut für die Erfolge bei der Luftverbesserung ausgezeichnet.
Gabi Greiner, ORF.at
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