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Nur der Kurier schoss

Zu der US-Kommandoaktion, bei der Al-Kaida-Chef Osama bin Laden getötet wurde, gibt es immer mehr Details. Wieder werden ursprüngliche Schilderungen des Verlaufs des Einsatzes revidiert.

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Die „New York Times“ berichtet nun unter Berufung auf US-Regierungsvertreter, dass der Überfall „extrem einseitig“ abgelaufen sei, bei der mehr als 20 Navy-SEAL-Soldaten schnell die paar Wachleute, die Bin Laden beschützten, überwunden hätten. Die einzigen Schüsse, die nach der neuen Darstellung von den Bewohnern des Anwesens auf die US-Soldaten abgefeuert wurden, fielen laut „NYT“ nur ganz am Anfang, die der Kurier des Terrorpaten, Abu Ahmed al-Kuwaiti, abfeuerte, der sich hinter einer Tür des an Bin Ladens Wohnhaus angrenzenden Gästehauses verschanzt hatte.

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Die Soldaten töteten zunächst Kuwaiti und eine Frau - anschließend sei kein einziger Schuss mehr auf die Amerikaner abgefeuert worden. Bisher hatte es in den offiziellen US-Schilderungen immer geheißen, die Truppen seien „während der gesamten Operation in ein Feuergefecht verwickelt gewesen“. CIA-Chef Leon Panetta hatte betont, dass sie die ganze Zeit, während die Soldaten die Treppe zu Bin Ladens Schlafzimmer hinaufstürmten, unter Beschuss gestanden hätten.

Seit Tagen rechtfertigen US-Regierungsvertreter die zahlreichen Revisionen beim Ablauf der Ereignisse damit, dass sich das genaue Bild erst nach und nach - mit dem Einlangen der Berichte der Einsatztruppe - ergebe. Als die Kommandoeinheit in das Haupthaus eindrang, seien sie auf den Bruder Kuwaitis gestoßen, von dem sie geglaubt hätten, dass er dabei sei, auf sie zu feuern. Er wurde erschossen. Beim Hinaufstürmen sei den Soldaten Bin Ladens Sohn Khalid entgegengestürzt, der ebenfalls erschossen wurde.

Als das Kommando Bin Ladens Schlafzimmer eindrang und sah, dass sich in Griffweite des Terrorchefs eine AK-47 und eine Pistole befanden, hätten sie auf ihn gefeuert. Auch die Frau, die bei ihm war, sei verwundet worden.

Tochter: „Wurde lebend gefasst“

Die Darstellung widerspricht allerdings jener, die pakistanische Medien unter Berufung auf die 13-jährige Tochter Bin Ladens, die Augenzeugin des Überfalls war, berichteten. Die Zeitung „The News“ berichtete, das Mädchen habe gegenüber pakistanischen Sicherheitskräften angegeben, Bin Laden sei von den US-Soldaten zunächst lebend gefasst und erst anschließend vor den Augen seiner Familie erschossen worden. Die Leiche sei von den Amerikanern abtransportiert worden.

Sollten sich die Angaben der Tochter Bin Ladens als richtig herausstellen, könnte das US-Präsident Barack Obama unter Druck setzen. Bereits jetzt gibt es vor allem international teils deutliche Zweifel an der US-Darstellung, der Terrorpate habe nicht lebend festgenommen werden können.

Dem Bericht zufolge befindet sich die Tochter mit anderen Familienmitgliedern in der Hand der pakistanischen Behörden. Darunter seien zwei Frauen und sechs Kinder im Alter zwischen zwei und 13 Jahren sowie weitere, nicht näher benannte Personen. Pakistanische Sicherheitskräfte hätten nach Ende des US-Einsatzes insgesamt 16 Menschen lebend und mit gefesselten Händen in dem Haus angetroffen.

„Er war nicht bewaffnet“

Bereits am Vortag hatte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, die bisherige Darstellung der Kommandoaktion teils grundlegend revidiert. Vor allem räumte Carney ein, dass Bin Laden beim nächtlichen Überfall in seinem pakistanischen Versteck nicht bewaffnet gewesen sei: „Er war nicht bewaffnet“, sagte Carney. Er habe sich aber auf andere Weise gewehrt, sagte Carney, ohne Einzelheiten zu nennen. Zudem seien andere Männer in dem Anwesen bewaffnet gewesen und hätten Widerstand geleistet.

Bin Laden sei bei einem „unberechenbaren Schusswechsel“ ums Leben gekommen. Carney bekräftigte, das Ziel des Einsatzes sei die Festnahme und nicht die Tötung Bin Ladens gewesen. Wegen des „großen Widerstandes“ sei der Al-Kaida-Chef aber erschossen worden.

Pakistanische Armee überrumpelt

Am Donnerstag veröffentlichte auch Pakistan erstmals seine eigene Version der Vorgänge um die Tötung von Bin Laden. Demnach bemerkten die Behörden die US-Hubschrauber zunächst nicht, die in der Nacht zu Montag zum Anwesen des Terrorchefs flogen, wie der Staatssekretär im pakistanischen Außenministerium, Salman Bashir, sagte. Erst als einer der Hubschrauber bei dem Anwesen in Abbottabad abstürzte, sei Verdacht aufgekommen.

Bin Laden bereits fortgeschafft

Die pakistanische Luftwaffe sei dann mit zwei Maschinen zum Haus Bin Ladens geflogen und 15 Minuten später dort eingetroffen, sagte Bashir. Zu diesem Zeitpunkt habe das US-Einsatzkommando den Ort bereits verlassen gehabt. Die pakistanische Soldaten hätten im Haus die Familie Bin Ladens vorgefunden, die angegeben habe, dass er erschossen und seine Leiche fortgebracht worden sei.

Der pakistanische Generalstabschef Ashfaq Kayani war Bashir zufolge der erste, der über den Einsatz informiert wurde. Demnach rief US-Oberbefehlshaber Mike Mullen Kayani gegen 3.00 Uhr Ortszeit (0.00 Uhr MESZ) an, noch bevor US-Präsident Barack Obama seinen pakistanischen Amtskollegen Asif Ali Zardari informierte.

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