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„Du mutiger Kosake!“

Die Studios von Mosfilm waren die Propagandazentrale der Sowjetunion. Bis heute blieb die Produktionsfirma das offizielle staatliche Filminstitut Russlands und mauserte sich nach und nach zum Hollywood der Region. Nun stellt Mosfilm zahlreiche Filme aus über 80 Jahren gratis auf YouTube zur Verfügung - von Propaganda über Action bis zum aktuellen Kunstfilm.

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„Uns’re Bauern sind so glücklich
Arbeiten von früh bis spät
Und werden die Lagerhäuser dieses Landes
Mit Millionen Tonnen von Korn füllen“

In der Musical-Komödie „Kubankosaken“ aus dem Jahr 1949, gedreht von Regisseur Iwan Pyrjew, wird stets breit gelächelt. Die Bauern schwingen ihre Sensen im Takt der hymnischen Musik. Der Film wird schneller abgespielt als er gedreht wurde - ob das aufgrund der mangelhaften Konvertierung so ist oder ob die offizielle Propaganda die Arbeiter im Publikum zu schnellerem Arbeiten anhalten wollte, sei dahingestellt. Alle haben volle, rote Wangen, lächeln, lachen und singen voll Stolz und Freude.

Kesse Kolchosenkader

„Was macht Ihr hier?“, fragt die Landarbeiterin von der Lastwagenpritsche aus eine Gruppe von Männern, die über die Landstraßen zieht. „Wir haben etwas gesucht und gefunden“, lautet die Antwort. „Was habt Ihr gefunden?“ - „Euch, Ihr kessen Bienen!“ Der Lkw-Fahrer will die Männer vertreiben. Sie aber behaupten, Händler zu sein, die an seiner Fuhre interessiert seien. Das stimmt ihn wiederum freundlich: „Was kann ich Euch anbieten?“ Einer der Arbeiter ruft lachend: „Heiratsfähige Mädchen!“

Harmlose Schwejkiaden in Stile Peter Alexanders werden hier auf Sowjetpropaganda in Reinkultur gepolt. Josef Stalin selbst ging früher in den Mosfilm-Studios ein und aus, er griff in Drehbücher ein und wählte stets jene Schauspieler aus, die ihn verkörpern durften. Die Härte des Kolchosenlebens wird im vorliegenden Film, knallbunt überkoloriert, zum Heldenepos des einfachen Sowjetbürgers: „Du hast Dich nicht verändert, mutiger Kosake!“

Hürden für Filmfreunde

Mosfilm bietet eine kleinere Auswahl an Filmen, noch sind es fünfzig, bis Ende des Jahres sollen es 200 sein, nun auf YouTube in einem eigenen Kanal an, wie die „Moscow Times“ berichtet. Bereits über 500 der Tausenden von Mosfilm produzierten Filme können via Stream direkt auf der Website des Studios angesehen werden - theoretisch. In der Praxis scheint es Probleme zu geben. Auf den ORF.at zur Verfügung stehenden Computern konnten die Filme nicht gestartet werden.

Die Funktionalität ist auch sonst verbesserungsbedürftig. Der YouTube-Channel funktioniert zwar einwandfrei, dort sind die Filminformationen aber nur auf Russisch zu lesen - selbst bei Filmen mit englischen Untertiteln. Wer also Russisch nicht lesen kann, muss sich aufs Geratewohl anhand von Bildern nach Genres geordnet durchklicken oder zuerst auf der Mosfilm-Website nach den englischen Titeln suchen und die dann gezielt auf YouTube suchen. Sie sind dort an einem eigenen Channel-Symbol (das man erst sieht, wenn man den Film angeklickt hat) von den illegalen Files zu unterscheiden.

Jedem sein privates Filmfestival

Auf diese Unterscheidung kommt es Mosfilm-Direktor Karen Schachnasarow an. Die meist grottenschlecht aufbereiten illegalen Versionen auf YouTube waren der Hauptgrund, die Filme auf der Plattform in renovierter Form und hoher Auflösung anzubieten, heißt es in einem Statement auf der Mosfilm-Website. Die untertitelten Versionen sind ein wertvoller Schatz für die internationale Filmcommunity und für alle, die sich gerne überraschen lassen.

Die Filme der Sowjetära sind selbstverständlich nicht sämtlich Propagandamachwerke wie das oben beschriebene. Es finden sich bei Mosfilm Action- und Science-Fiction-Filme in Blockbuster-Manier genauso wie Kunstfilme, etwa jene des unvergleichlichen Andrei Arsenjewitsch Tarkowski („Der Spiegel“, „Stalker“). Gerade auch mit aktuellen populären Streifen und Autorenfilmen kann man sich sein eigenes, hochkarätiges russisches Filmfestival basteln.

Der russische James Dean

Mosfilm gilt heute, wie der „stern“ schreibt, als größter Filmproduzent Europas. 80 Prozent der russischen Fernseh- und Kinofilme werden demnach in den 13 Studios gedreht. Dazu kämen Werbespots für das Fernsehen, aber auch Musikclips von Stars der russischen Popszene. Sämtliche Sowjetfilmklassiker, darunter „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergej Eisenstein (1925), seien hier entstanden. In der Sammlung findet sich Schrott neben Juwelen.

Vielversprechend beginnt etwa „The Vanished Empire“ von Mosfilm-Direktor Schachnasarow (online zu finden in der englischen Schreibweise „Shaknazarov“) aus dem Jahr 2008. „The Vanished Empire“ handelt von einem jungen Studenten, der als cooler Alltagsanarchist durch das Moskau der Jahre 1973 und 1974 zieht und ein wenig an James Dean in der Rolle des „Cal“ in „Jenseits von Eden“ erinnert. Der Bursch behauptet, ein Dissident zu sein, wenn er glaubt, dafür einen Kuss einheimsen zu können und verscherbelt für ein Paar Jeans und Platten von den Rolling Stones und Pink Floyd nach und nach die Bibliothek seines Großvaters in einem Second-Hand-Laden.

Nicht nur Propaganda

In einem weiteren Film Schachnasarows, „Poisons - Or The World History of Poisoning“ (2001), wird ein junges Paar (er Schauspieler, sie Lehrerin) vorgestellt, das in einer gemeinsamen, schlichten Wohnung lebt. Der neue Nachbar wirkt wie ein langweiliger Spießer. Als er aber zum ersten Mal auf Besuch kommt, verführt er die Frau innerhalb weniger Minuten vor den Augen ihres Mannes. Die intensiven Bilder lassen mitleiden, trotz des ironischen Untertons.

Schachnasarows 1991er-Film „The Assassin of the Tsar“ wurde damals in Cannes gezeigt. Der Regisseur selbst legt dieselbe Ambivalenz an den Tag, die auch den Mosfilm-Produktionen anhaftet, wo Action und „Eastern“ (in Analogie zu „Western“) neben Arthouse und Propaganda koexistieren. Denn er soll 1998 von Wladimir Putin persönlich in sein Amt gehoben worden sein und sagt gegenüber Interviewern in nationalistischer Manier, dass es zu den Aufgaben von Mosfilm zählt, Hollywood-Helden genuin russische Helden entgegenzustellen. In seinen eigenen, schrägen Filmen, tut er das nicht - zumindest nicht kritiklos.

Historische Filmtour

Aber all das kann jetzt jeder selbst überprüfen, bei einer spannenden, kostenlosen Tour durch die russische Kinogeschichte. In Russland zählt Mosfilm bereits zu den Topangeboten auf YouTube - nach nur etwas mehr als einer Woche online.

Simon Hadler, ORF.at

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