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Ein freies System für ein offenes Netz

Eigentlich hatte der Finne Linus Torvalds 1991 nur seinen neuen PC besser kennenlernen und ein Programm schreiben wollen, mit dem er Verbindung zum Universitätscomputer aufnehmen konnte. Aus der kreativen Beschäftigung mit dem Rechner wurde eines der wichtigsten Projekte der Computergeschichte: das freie Betriebssystem Linux.

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Am 17. September 1991 stellte der 21-jährige Informatikstudent Linus Torvalds Version 0.01 eines Programmpakets ins Netz, an dem er seit April gearbeitet hatte. Gerade einmal 10.000 Zeilen Code umfasste der Kernel damals, das Herz des neuen Betriebssystems - heute sind es mehrere Millionen. Eigentlich hatte Torvalds sein Projekt auf den Namen „Freax“ getauft, doch sein Bekannter Ari Lemke fand „Linux“ besser - und dabei blieb es auch.

Torvalds hatte sich im Jänner 1991 einen für damalige Verhältnisse üppig ausgestatteten PC mit Intel-386-Prozessor gekauft und sich dafür verschuldet - dabei verfügte die Maschine nicht einmal über eine Festplatte. Viel Geld für kommerzielle Software hatte der Student damals nicht. Als Betriebssystem wollte Torvalds Minix nutzen, eine Variante des Profibetriebssystems Unix, das von dem Informatikprofessor Andrew S. Tanenbaum für Ausbildungszwecke an Universitäten entwickelt worden war. Auch Minix kostete Geld - immerhin 169 US-Dollar netto, damals 1.773 Schilling.

Linux-Entwickler Linus Torvalds

AP/Charles Bennett

Linux-Pionier Linus Torvalds

Wissensaustausch im Netz

So richtig zufrieden war Torvalds allerdings mit Minix nicht. Vor allem das mitgelieferte Terminalprogramm, eine Software, mit der er sich über Modem und Telefonleitung in den Universitätscomputer und damit auch ins Internet einloggen konnte, ließ zu wünschen übrig. Also beschloss Torvalds, ein eigenes Terminalprogramm zu schreiben, und zwar eines, das auch ohne Minix oder ein anderes Betriebssystem laufen würde. Dazu musste er ein tiefgreifendes Verständnis seiner Computerhardware entwickeln.

Was darauf folgte, verglich Torvalds in „Just for Fun“, seiner 2001 erschienenen autobiografischen Geschichte der Linux-Entwicklung, mit der Erschaffung einer neuen Welt. Über vorsichtige Anfragen auf Newsgroups eignete Torvalds sich Wissen an, traf aber auch auf Gleichgesinnte, die ihn weitertrieben - das Projekt entwickelte schnell eine große Eigendynamik, der Bedarf nach einer freien Unix-Variante war in der keimenden Netzwerkgesellschaft groß.

Die entscheidende Entscheidung

Die für sein Projekt wohl folgenreichste Entscheidung traf Torvalds im Jänner 1992, als er seine bis dahin geschaffene Arbeit unter die GNU General Public License (GPL) stellte. Die von dem US-amerikanischen Computerwissenschaftler Richard Stallman entworfene Lizenz sichert die Freiheit der Software ab, die unter ihr veröffentlicht wird. Verkürzt dargestellt darf jeder Programme verändern, die unter die GPL gestellt sind, er muss seine Veränderungen dann aber der Gemeinde wieder frei zur Verfügung stellen.

Torvalds griff zur Programmierung seiner ersten Linux-Komponenten auch auf die Werkzeuge zurück, die Stallmans GNU-Projekt über Jahre hinweg geschaffen hatte. Dem GNU-Projekt, das seit 1985 an einem freien Betriebssystem arbeitete, fehlte seinerzeit noch die zentrale Komponente, der Kernel, der zwischen den verschiedenen Programmen und der Hardware des Computers vermittelt. Den brachte nun Torvalds mit - und im Internet fand zusammen, was zusammen gehört, auch wenn sich der Linux-Erfinder und GNU-Chef Stallman noch zahlreiche Schlagabtäusche darüber liefern würden, wie wirklich freie und offene Software gestaltet sein sollte.

Unentbehrlich für das Internet

Bis heute verwaltet der 1996 in die USA ausgewanderte Torvalds die Entwicklung des Linux-Kernels, dessen aktuelle Version auf die Nummer 2.6.38.5 hört. Mit der Zeit wuchs auch die wirtschaftliche Bedeutung von Linux, auch große Konzerne wie IBM, Nokia, Samsung und Google arbeiten am Kernel mit. Laut der aktuellsten Statistik für Kernel-Version 2.6.36 haben Entwickler aus 184 größeren Firmen daran mitgearbeitet, insgesamt nahmen 1.159 Programmierer rund 9.400 Änderungen am Kernel vor, fügten 604.000 Zeilen Code hinzu und entfernten 651.000 Zeilen daraus.

Peter H. Salus, der intensiv zur Geschichte des Linux-Vorgängers Unix geforscht hat, bezeichnete die Erfindung dieses Systems im Jahr 1969 als „wichtiger als die Mondlandung“, denn mit Unix wurde auch die Entwicklung der Computernetzwerke und damit der Wissensgesellschaft auf ein neues Niveau gehoben. In diesem Sinne war Linux neben Tim Berners-Lees World Wide Web eine der beiden zentralen Innovationen, die in den 1990er Jahren die schnelle Verbreitung des Internets begünstigten: Linux und der freie Webserver Apache hielten für Start-ups die Einstiegskosten niedrig, mit dem Web gab es nun einen Internetdienst, der auch für Windows-gewohnte Endanwender einfach zu verstehen und zu bedienen war.

Linux in Österreich

Von 5. bis 7. Mai finden an der FH Technikum Wien die Linuxwochen statt. Dort kann man sich über neueste Entwicklungen rund um das freie Betriebssystem austauschen. Es gibt auch Sessions über die einfache Entwicklung von Apps für Android und die Nutzung freier Grafikprogramme wie Gimp und Inkscape.

Copyright-Streitigkeiten

Der Open-Source-Boom der 1990er Jahre rief aber auch Gegner auf den Plan. Microsoft deutete mehrmals vage an, dass der Linux-Kernel mehrere der eigenen Patente verletzen würde. Geklagt hat Redmond nie, aber die Verunsicherung reichte. 2003 klagte das US-Unternehmen SCO, das 1995 diverse Rechte an Unix erworben hatte, IBM wegen Copyrightverletzung, der Konzern habe Code in den Linux-Kernel eingebracht, der SCO gehöre. Später klagte SCO auch Red Hat, Novell und DaimlerChrysler. Im Lauf der diversen Prozesse, von denen sich der gegen Novell bis 2010 hinzog, ging es damit auch um den Fortbestand des freien Betriebssystems. Am Ende verlor SCO.

In seiner Geschichte der Linux-Entwicklung schrieb Torvalds, dass ihm Marktanteile immer egal gewesen seien. Auf dem Desktop der Nutzer konnte sich Linux nie durchsetzen, die monatlich aktualisierte Statistik der englischsprachigen Wikipedia, die Browserstatistiken mehrerer Anbieter analysiert und miteinander verrechnet, verzeichnet für April 2011 einen weltweiten Marktanteil von rund 1,08 Prozent für „Mainstream“-Linux-Distributionen - aber bereits 0,75 Prozent für Googles Mobilbetriebssystem Android, das auf Linux basiert und erst seit Ende 2008 auf dem Markt ist.

Smartphones und Pinguine

Das System scheint von seinem Schöpfer, der sich seit 2003 hauptberuflich im Rahmen der Linux Foundation um die Weiterentwicklung seines Projekts kümmert, die Bescheidenheit geerbt zu haben. Es werkelt im Hintergrund, auf Googles Servern, in Set-Top-Boxen und anderen Gerätschaften - und eben in Smartphones. In Form von Googles erfolgreichem Mobil-OS Android kauft es auch endlich den proprietären Anbietern Microsoft und Apple die Schneid ab.

Nach 20 Jahren ist jedenfalls klar: Linux wird bleiben. Vielleicht lächelt der 1996 von Larry Ewing für das Linux-Projekt gezeichnete Maskottchen-Pinguin Tux ja doch zuletzt. Auch wenn er es nie wirklich darauf angelegt hat.

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