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„Freiheit ist für mich ein guter Motivator“

Der selbstständige IT-Berater Herbert Pötzl arbeitet seit dem Jahr 2000 am Linux-Kernel, dem Herz des freien Betriebssystems, mit. Im Interview mit ORF.at erklärte er, wie er sich bei Linux beteiligt und warum er Zeit und Arbeit in freie und quelloffene Software steckt.

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ORF.at: Seit wann arbeiten Sie an Linux-Projekten mit?

Herbert Pötzl: Ich bin etwa 1997 mit Linux in Kontakt gekommen. Es hat weitere zwei Jahre gedauert, bis ich mich mit Linux so weit angefreundet hatte, dass ich erste Projekte auf diesem Betriebssystem in Angriff nehmen konnte. Am Kernel selbst hab ich ca. 2000 begonnen, die generellen Abläufe zu studieren und kleinere Modifikationen vorzunehmen.

ORF.at: Wie sind Sie zur Arbeit an Linux gekommen?

Pötzl: Eigentlich immer dadurch, dass ich eine Lösung eines Problems gesucht habe, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Zum Beispiel fehlte mir damals eine Softwarelösung zur Serverkonsolidierung, d. h., um mehrere Server auf einer Maschine zusammenzulegen, was zur Entwicklung von Linux-VServer geführt hat, oder die fehlende Hardwareunterstützung, die eine Anpassung des Betriebssystemkerns erforderlich machte.

ORF.at: Aus welchen Gründen arbeiten Sie am Linux-Kernel und anderen freien Softwareprojekten mit?

Pötzl: Sicher einmal aus Eigennutz, da ich heutzutage praktisch alles mit dem Linux-Betriebssystem erledige, aber auch weil es ausgesprochen interessant ist, die Gedanken und Problemlösungen anderer nachzuvollziehen. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass mir meine Zeit zu wertvoll ist, um sie mit Closed-Source-Software, also Software, deren Quellcode nicht frei verfügbar ist, und den dazugehörigen für mich unzugänglichen Problemen zu verschwenden.

Wenn ich ein Gerät kaufe und feststelle, dass es nicht das tut, was ich will - zum Beispiel aufgrund eines Fehlers, dann habe ich üblicherweise vier Optionen: Ich kann es zurückgeben, ich kann es reparieren lassen, ich kann es selbst reparieren (vorausgesetzt, ich habe die notwendigen Fähigkeiten dazu) und natürlich kann ich mich einfach damit abfinden.

Bei proprietärer Software, also herkömmlich lizenzierter Software ohne Nutzungsfreiheiten, habe ich bei einem Fehler üblicherweise nur eine Option, nämlich die, mich damit abzufinden und auf eine Verbesserung vonseiten des Herstellers zu warten.

Bei freier und offener Software, die frei und ohne Einschränkungen modifizierbar ist (FOSS), kann ich sowohl einen Dritten beauftragen, die Software zu korrigieren, als auch selbst Hand anlegen, wenn etwas nicht so geht, wie es gehen soll.

ORF.at: Wie viele Stunden investieren Sie im Schnitt im Monat in die Entwicklung freier und offener Software?

Pötzl: Als IT-Berater habe ich die meiste Zeit mit Computern und Software zu tun, und da Linux das Betriebssystem meiner Wahl ist (egal ob auf Server, Desktop, Laptop oder Gadget), verbringe ich auch sicher die Mehrzahl der Stunden mit Linux, aber natürlich nicht notwendigerweise mit der Linux-Entwicklung.

ORF.at: Stört es Sie, dass Unternehmen wie Google Linux in ihren Projekten einsetzen und viel Geld damit verdienen?

Pötzl: Nein. Linux und die meisten Linux-Projekte sind von der Softwarelizenz her so ausgelegt, dass alle von einer Nutzung und der damit unweigerlich verbundenen Weiterentwicklung profitieren.

ORF.at: Zu Beginn der Linux-Entwicklung hat es oft geheißen, dass den freien Entwicklern irgendwann die Motivation ausgehen würde.

Pötzl: Freiheit ist für mich ein guter Motivator.

Virtualisierung

Virtualisierung ermöglicht es beispielsweise, mehrere Betriebssysteme auf ein- und derselben Maschine ausführen zu lassen und damit deren Ressourcen besser und flexibler nutzen zu können. Virtualisierungstechnologien erlauben es auch, die Ressourcen mehrerer Computer zusammenzufassen und wie eine einzige Maschine zu behandeln.

ORF.at: An welchen Projekten im Linux-Umfeld haben Sie schon mitgearbeitet?

Pötzl: 2002 habe ich begonnen, an dem Virtualisierungsprojekt Linux-VServer mitzuwirken, eine Softwarelösung, die es durch Isolation ermöglicht, mehrere Betriebssysteme unter einem gemeinsamen Betriebssystemkern laufen zu lassen, 2003 übernahm ich die Leitung des Projekts und die Kernel-Entwicklung sowie die Anpassung der Software für die damals neue Version 2.6 des Kernels. Daraus haben sich auch einige weitere Subprojekte entwickelt, wie meine Arbeiten am Quota-System und die Bind Mount Extensions, eine Erweiterung des virtuellen Dateisystems.

2004 gewann ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin auf einem Linux Hacking Contest einen Organizer, den HP iPAQ H1940, für den lustigerweise kein Linux verfügbar war, also habe ich kurzerhand ein Projekt gestartet, den Linux-Kernel auf diese Plattform anzupassen. Daraus ergaben sich einige Kernelmodifikationen, und natürlich wurden auch Treiber benötigt, wie z. B. für den Touchscreen oder den USB-Anschluss.

In den folgenden Jahren habe ich viele angrenzende Projekte (kommerziell und frei) in Angriff genommen und auch Beiträge zu diversen Projekten geleistet, beispielsweise zu: QEMU, einer virtuellen Maschine, mit der ich meine Kernel teste, oder zu dietlibc, einer optimierten Systembibliothek für statische Programme, die unter anderem im Linux-VServer Projekt Anwendung findet.

Im Augenblick beschäftige ich mich privat und auch geschäftlich wieder mehr mit Embedded Systems und Gadgets (natürlich unter Linux), also kleinen Steuersystemen oder Geräten und der damit verbundenen Hardware- und Softwareentwicklung.

ORF.at: Wie koordinieren Sie sich mit den anderen Entwicklern in Ihren Projekten?

Pötzl: Bei „meinen“ Projekten erfolgt die Koordination meistens via Internet Relay Chat (IRC) beziehungsweise über eine Mailingliste.

ORF.at: Sie arbeiten ja an größeren und kleineren Softwareprojekten mit. Welche Unterschiede gibt es da in der Koordination?

Pötzl: Einpersonenprojekte brauchen keine Koordination, der Entwickler gestaltet selbst und nimmt Beiträge auf oder verwirft sie ganz nach Lust und Laune.

Kleine Entwicklungsteams von bis zu zehn Personen koordinieren sich üblicherweise via Internet, z. B. IRC, und teilen sich die Arbeit je nach Bedarf auf. Größere Teams koordinieren sich meistens via Mailinglisten, wobei oft eine hierarchische Struktur vorzufinden ist, mit Zuständigen für einzelne Bereiche und einer kleinen Gruppe oder Einzelperson an der Spitze.

Die technische Koordination erfolgt über Versionsverwaltungssysteme bzw. den Austausch von Patches, also Änderungen am Quellcode, welche kommentiert und bei Zustimmung aufgenommen werden. Natürlich gibt es auch Entwicklertreffen und andere Formen der Kommunikation, aber die oben genannten sind sicherlich vorherrschend.

Wichtig in der Kommunikation ist, dass sachlich argumentiert und in Eigenverantwortung gearbeitet wird - die wesentlichen Dinge kommen zuerst, der Feinschliff kommt später. Natürlich sind Änderungen vorher genauestens auf Korrektheit zu prüfen. Außerdem sollte man sich an die bestehenden Richtlinien in den Projekten halten, jedes hat seinen individuellen Entwicklungsstil und somit auch bestimmte Formate und Tools, die man besser benutzen sollte. Bei alldem bleibt immer die Freiheit, seinen eigenen Fork, also eine Abspaltung des Quellcodes, parallel zu den bestehenden Projekten weiterzuentwickeln.

ORF.at: Hat sich die Vorgehensweise bei der Weiterentwicklung von Linux bewährt?

Pötzl: Ich denke, sowohl die Linux-Anwendungen als auch die Linux-Kernel-Entwicklung haben gezeigt, dass dieser Weg durchwegs zu qualitativ hochwertiger Software führen kann, ohne die Benutzer oder Entwickler unnötig einzuschränken.

ORF.at: Trägt sie sich auch in Zukunft?

Pötzl: Ich bin überzeugt, dass die FOSS-Bewegung noch einige Höhepunkte vor sich hat, da immer mehr Personen feststellen, wie sehr sie von den meisten proprietären Lösungen eingeschränkt werden.

Das Interview führte Günter Hack, ORF.at

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