Keine Beweise für kriminelle Organisation
Montagvormittag ist der aufsehenerregende Tierschützerprozess nach 14 Monaten in Wiener Neustadt zu Ende gegangen. Richterin Sonja Arleth verkündete, dass sämtliche Angeklagte von allen ihnen von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegten Vorwürfen freigesprochen wurden. Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig: Am Dienstag legte Staatsanwalt Wolfgang Handler Berufung ein.
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13 Aktivisten hatten sich wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation nach Paragraf 278a verantworten müssen. Neun von ihnen waren auch weitere Delikte wie Nötigung, Sachbeschädigung und Tierquälerei vorgeworfen worden - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Die Beteiligung an einer kriminellen Organisation setze zumindest einen bedingten Vorsatz voraus, so Arleth. Die Täter müssten es ernstlich für möglich halten, dass sie bei ihren Handlungen eine Straftat begehen. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Dann listete die Richterin sämtliche Einzelvorwürfe gegen die 13 Beschuldigten auf - um ihren späteren Begründungen besser folgen zu können, wie sie erklärte. Die erste Frage, die man sich stellen müsse, sei, ob eine kriminelle Organisation, an der man sich beteiligen könnte, überhaupt vorliege. „Das Beweisverfahren hat ergeben, dass das nicht vorliegt.“
Entlastung durch Protokolle von „Danielle Durand“
In beiden Organisationen, Basisgruppe Tierrechte (BaT) und Verein gegen Tierfabriken (VGT), gebe es ein basisdemokratisches Vorgehen. Protokolle der Sitzungen sowie die Angaben der verdeckten Ermittlerin (VE) „Danielle Durand“ hätten das zweifelsfrei ergeben. Indizien, die laut der Staatsanwaltschaft für einen hierarchischen Aufbau stehen würden, müsse man im Gesamtzusammenhang sehen - dann seien sie widerlegt.
Über das Fadinger-Forum habe der erstangeklagte Martin Balluch ausgedrückt, wie er zur Animal Liberation Front (ALF) stehe - und zwar, dass das nicht „unsere Taktik“ sei, er sie aber toleriere. „Und das ist nicht ein Indiz für eine Doppelstrategie, wie von der Staatsanwaltschaft zu würdigen“, betonte Arleth. „Es konnte nicht erwiesen werden, dass das Fadinger-Forum eine Kommunikationsmöglichkeit für Mitglieder einer kriminellen Organisation ist.“ Es handle sich dabei um eine geschlossene E-Mail-Liste für Themen der Tierrechtsbewegung.
Balluch für Richterin „Infojunkie“
Aus den 20.000 E-Mails der Liste, die von rund 200 Personen geschrieben wurden, sei in den Abschlussberichten nur ein Bruchteil verarbeitet und ausgewertet worden. Den Ausführungen Balluchs, dass er sämtliche Informationen zu diesen Themen sammle, sei zu glauben. Sie halte ihn gar für „einen Infojunkie, der alles sammelt, was es überhaupt gibt“, so Arleth.
Das Beweisverfahren habe - auch durch die Aussagen der verdeckten Ermittlerin belegt - ergeben, dass es keine Räumlichkeiten gebe, die als Kommandozentrale für eine kriminelle Organisation fungieren. Einige der vorgeworfenen Protestaktionen fielen unter zivilen Ungehorsam und stellten „maximal Verwaltungsübertretungen“ dar. Auch Nachweise für einen Handypool oder chemische Substanzen, die auf Anschläge hindeuten, wurden nicht gefunden.
Linguistische Expertise „nicht nachvollziehbar“
Zum umstrittenen linguistischen Gutachter Wolfgang Schweiger meinte Arleth, dass seine Expertise „unbestimmt und nicht nachvollziehbar“ gewesen sei. Sie habe aber kein neues Sprachgutachten in Auftrag gegeben, weil das Verfassen von Bekennerschreiben allein nicht ausreichen würde, um eine kriminelle Organisation zu bilden.
Sämtliche andere Vorwürfe waren abgewiesen worden, weil sie durch Zeugenaussagen widerlegt oder nicht ausreichend bewiesen werden konnten. Abschließend meinte Arleth, das Verfahren sei in ihrer bisherigen Berufslaufbahn die größte Herausforderung gewesen und sie wünsche sich, dass das Urteil rechtskräftig werde.
Strafanträge waren „sehr komplex“
Zur Verfahrensdauer meinte Arleth, dass die Strafanträge sehr komplex gewesen seien, aber auch eine „sehr exzessive Verteidigungsstrategie“ gefahren worden sei. „Auch wenn Angeklagte und Verteidiger es dem Gericht nicht unbedingt leicht gemacht haben, muss man auf der anderen Seite schon sagen, dass sie teilweise Widersprüche und Unzulänglichkeiten gemeinsam mit dem Gericht aufarbeiten konnten.“
Auch die „umfassenden Rundumschläge“ seien für das „leidgeprüfte Gericht“ im Nachhinein verständlich. „Bedenken muss man aber auch, dass das für die ermittelnden Beamten völliges Neuland war und man im Nachhinein - verzeihen Sie mir diesen Ausdruck - leicht klugscheißen kann“, bat sie um Verständnis für die Ermittler.
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