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Auseinandersetzung immer erbitterter

Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben am Sonntag den Hafen von Misrata unter heftigen Beschuss genommen. Nachdem die Hafenanlagen bereits in der Früh beschossen worden waren, feuerten Regierungstruppen gegen 18.00 Uhr Dutzende Raketen auf das von Aufständischen kontrollierte Gelände ab.

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Das berichteten Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP. Demnach wurde der Haupteingang zerstört, wobei mindestens zwei Rebellen ums Leben kamen. 40 Minuten später dauerte der heftige Beschuss weiter an. Der Eskalation der Kämpfe war der Beschuss eines Quartiers Gaddafis vorangegangen, bei dem einer seiner Söhne und drei Enkel getötet worden sein sollen. Gaddafi-Anhänger richteten danach Verwüstungen in den leerstehenden Botschaften Großbritanniens, der USA und Italiens an.

Misrata nicht zu erreichen

Der Hafen ist der einzige Zugang zu der Küstenstadt Misrata, die seit zwei Monaten von den Truppen Gaddafis belagert wird. Seit Tagen steht er im Zentrum heftiger Kämpfe. Ein Schiff der Internationalen Organisation für Migration (IOM), das Hunderte afrikanische Flüchtlinge an Bord nehmen soll, konnte weiterhin nicht in den Hafen einlaufen. Seit Wochen campieren die Flüchtlinge in der Hoffnung im Hafen, einen Platz auf einem der seltenen Hilfsschiffe zu ergattern.

An der tunesischen Grenze lieferten einander Rebellen und Regierungstruppen unterdessen weiter Kämpfe um die Straße zwischen Nalut und Dehiba in Tunesien. Wie Augenzeugen der AFP berichteten, schlugen dabei auch mehrere Geschoße auf tunesischer Seite ein. Der Grenzposten von Dehiba ist seit Tagen umkämpft.

Britische Botschaft offenbar zerstört

Das Außenministerium in London prüft nach eigenen Angaben Berichte über die Zerstörung der britischen Botschafterresidenz in der Hauptstadt Tripolis durch Truppen von Gaddafi. Es gebe Berichte, wonach die britische Residenz in Tripolis zerstört wurde, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums am Sonntag. Das werde derzeit untersucht. „Wir glauben, dass auch andere ausländische Residenzen angegriffen wurden“, fügte die Sprecherin hinzu - Video dazu in iptv.ORF.at.

Sollten sich die Berichte bestätigen, wären sie „bedauerlich, denn das Gaddafi-Regime hat die Pflicht, diplomatische Vertretungen zu schützen“, sagte die Sprecherin. „Das wäre ein weiterer Bruch von Gaddafis internationalen Verpflichtungen.“ Großbritannien hat derzeit keine diplomatische Vertretung in Tripolis. Vertreter des britischen Außenministeriums halten sich in der Rebellenhochburg Bengasi auf. Großbritannien will nun den libyschen Botschafter ausweisen.

UNO-Sprecherin Stephanie Bunker kündigte unterdessen an, dass die Vereinten Nationen wegen der Kämpfe ihr gesamtes Personal aus Tripolis in Sicherheit bringen werden.

US- und italienische Botschaft betroffen?

Die libysche Oppositionszeitung „Brnieq“ meldete am Sonntag, Gaddafi-Anhänger hätten als Reaktion auf die Attacke der NATO, bei der angeblich der jüngste Gaddafi-Sohn, Saif al-Arab, und drei von Gaddafis Enkeln getötet wurden, die US-Botschaft in Tripolis angezündet. Die US-Diplomaten hatten die Vertretung ebenfalls bereits im Februar, kurz nach Beginn des Aufstandes gegen Gaddafi, verlassen.

Ein Augenzeuge sagte unterdessen der Agentur Reuters, Rauch steige vom Gebäude der italienischen Botschaft in Tripolis auf. Das Gebäude stehe in Flammen. Die meisten westlichen Staaten brachten ihr Botschaftspersonal aus Tripolis fort, als die NATO ihre Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime begann.

Die Ziele der NATO

Die Allianz folgt einer neuen Strategie und nimmt verstärkt Regierungspaläste, militärische Hauptquartiere und Kommunikationseinrichtungen ins Visier. Die NATO will damit Gaddafis Regime ins Mark treffen und die fortgesetzte Gewalt gegen die aufständische Bevölkerung stoppen. Ein weiteres Ziel: Die Hauptstadt Tripolis soll von den kämpfenden Truppen abgeschnitten werden.

Soll mit den verstärkten Luftschlägen auf die Schaltzentralen der Macht in Libyen Gaddafi getötet werden? Bei der Allianz wird das verneint, denn sie will gemäß UNO-Resolution die Bevölkerung schützen und nur militärische Ziele attackieren.

„Schlange den Kopf abschlagen“

In einigen Hauptstädten wird jedoch eine deutlichere Sprache gesprochen. Der konservative US-Senatsabgeordnete Lindsey Graham riet dem Militärbündnis unlängst: „Geht nach Tripolis, beginnt, Gaddafis inneren Zirkel zu bombardieren.“ Laut der britischen Zeitschrift „The Economist“ sagte Graham weiter: „Ich glaube, es sollte jetzt im Mittelpunkt stehen, der Schlange den Kopf abzuschlagen. Das ist der schnellste Weg, diese Sache zu beenden.“ In London wird der Ton gegenüber Gaddafi ebenfalls schärfer.

Auch wenn das im NATO-Hauptquartier in Brüssel nicht explizit ausgesprochen wird: Die NATO braucht beim Libyen-Einsatz Erfolge. Kampfjets der internationalen Truppen flogen seit Ende März rund 4.400 Einsätze, doch das Leiden der Bevölkerung, beispielsweise in Misrata, hält an. „Ganz einfach, das muss aufhören“, lautet das Motto von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Die NATO bleibe bei ihrer Linie - sie werde ihren Einsatz fortführen, bis die Bedrohung der libyschen Bevölkerung beendet sei.

Gaddafi droht Italien

Wie gefährlich ist Gaddafi noch? Könnte er mit Terroranschlägen zurückschlagen? Auf diese Frage gibt es bei Brüsseler Militärexperten keine klaren Antworten. Eins ist jedoch klar: Der zivile NATO-Chef Rasmussen will eine Einschüchterung von Bündnispartnern nicht zulassen.

So wies er am Wochenende die Bedrohung Italiens durch Gaddafi scharf zurück. Dieser sagte im libyschen Fernsehen laut italienischen Medienberichten: „Zwischen uns und Italien herrscht offener Krieg.“ Jugendliche Libyer, die den Krieg nach Italien tragen wollten, hätten durchaus recht.

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