Neues Grundgesetz im Schnelldurchlauf
Grünes Licht für eine umstrittene Verfassungsreform in Ungarn: Ungeachtet eines Boykotts durch die Opposition und Protests im In- und Ausland ist das neue Grundgesetzes dank der Zweidrittelmehrheit der rechtskonservativen FIDESZ-Partei von Premier Viktor Orban am Montag im Parlament in Budapest verabschiedet worden.
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Für die Verfassung stimmten 262 Abgeordnete bei einer Enthaltung, 44 votierten dagegen, wie offiziell mitgeteilt wurde. Die oppositionellen Sozialisten (MSZP) und die linke Umweltpartei LMP boykottierten die Abstimmung. Die rechtsextreme Jobbik-Partei votierte gegen die neue Verfassung.

APA/EPA/MTI/Laszlo Beliczay
Premier Orban bei der Abstimmung im ungarischen Parlament
„National und integrierend“
Parlamentspräsident Laszlo Köver würdigte die neue Verfassung nach der Abstimmung als „legitim, national und integrierend, auf die Traditionen aufbauend“. Die Verabschiedung des Grundgesetzes bezeichnete Köver als „historischen Augenblick“.
Der Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz-MPSZ, Janos Lazar, erklärte, mit der Verabschiedung der Verfassung sei ein zwanzigjähriges Versprechen eingelöst worden. Die MSZP und die LMP hätten ihre Wähler „betrogen“, da sie nicht am Prozess der Erarbeitung der neuen Verfassung teilnahmen, kritisierte Lazar.
Mehrere gescheiterte Versuche
Die bisherige Verfassung stammt aus dem Jahr 1949, wurde nach der Wende 1989 aber umfassend revidiert. Seit den ersten freien Wahlen 1990 gab es in Ungarn gleich mehrere Versuche, dem Staat eine neue Verfassung zu geben. Dabei scheiterte sowohl die konservative Regierung von Jozsef Antall (1990 bis 1994) als auch die linksliberale Regierung von Gyula Horn (1994 bis 1998) sowie die erste Regierung (1998 bis 2002) des heutigen Premiers Orban.
Nun erhält Ungarn im Schnelldurchlauf eine neue Verfassung, wobei vom alten Regelwerk kaum etwas übrig bleibt. Das derzeit geltende Grundgesetz „ist nicht die Verfassung der Ungarn, wurde sie doch nach sowjetischen Muster konzipiert“, begründete Orban den radikalen Bruch. Nach der Verabschiedung im Parlament soll die neue Verfassung nun zu Ostern von Staatspräsident Pal Schmitt unterzeichnet werden. Auch dieser fand nur lobende Worte und kritisierte zugleich die Opposition. In Kraft treten soll die neue Verfassung zu Beginn des nächsten Jahres.
„Gott segne den Ungarn“
Die neue Verfassung schwört auf Gott, Krone und Vaterland, auf Christentum, Familie, Treue, Glaube, Liebe und Nationalstolz. Zitat: „Wir sind stolz, dass unser König, der Heilige Stephan, vor 1.000 Jahren den ungarischen Staat auf festem Fundament gebaut hat.“
Das bezeichnet der Budapester Politikwissenschaftler Zoltan Kiszely als „nationale Romantik“ mit viel Symbolik - wie der Erwähnung der Stephanskrone. Kritiker fühlen sich dadurch auch an die faschistische Ideologie der 30er Jahre erinnert. Mit der neuen Verfassung wird zudem die Republik Ungarn zu Grabe getragen. Denn die Republik Ungarn heißt dann nur noch Ungarn, die Staatsform wird aus dem offiziellen Namen gestrichen.
Die Präambel heißt in Ungarn „Nationales Glaubensbekenntnis“ und beginnt mit dem ersten Satz der ungarischen Nationalhymne: „Gott segne den Ungarn.“ Laut Kiszelly sollen in der neuen Verfassung die Prinzipien des bürgerlichen Ungarns verankert werden, nach denen die Familie aus Mann, Frau und Kind besteht. Das „Nationale Glaubensbekenntnis“ habe nur eine ideologische Funktion ohne konkrete Inhalte, habe außer Gefühlen keine Bedeutung, sagt dazu der Verfassungsrechtler Istvan Lövetei.
Konfrontation mit EU-Prinzipien?
Kritiker warnten im Vorfeld davor, dass unter anderem nicht Gläubige, Homosexuelle und auch Alleinerziehende nun um ihre Rechte fürchten müssen. Mit Blick auf die europäischen Gleichheitsprinzipien blickt somit auch die Europäische Union mit großer Skepsis auf die Vorgänge in Ungarn. Besorgt zeigte sich auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der Ungarns Regierung am Montag daran erinnerte, bei seiner Gesetzgebung sicherzustellen, dass diese mit allen relevanten internationalen Vereinbarungen einhergingen.
Sozialisten warnen vor „Diktatur“
Schmitt ist nach eigenen Worten allerdings davon überzeugt, dass die Verfassung den „Erwartungen der Menschen gemäß der Grundlage des Rechtssystems fundiert“. Orban bezeichnete das neue Grundgesetz zudem als „ästhetisch schön“.
Die oppositionellen Sozialisten (MSZP) sind im Gegensatz dazu ganz anderer Meinung: Das Grundgesetz verfolge demnach nur ein Ziel, nämlich „die Macht einer kleinen Elite auf lange Zeit zu sichern“, erklärte der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterhazy. Seiner Meinung nach will Orban eine „Diktatur“, abgesichert nicht mit Panzern, sondern mit der Verfassung.
Massendemos in Budapest
Gegen das neue Grundgesetz hatten am Wochenende Tausende Menschen in Budapest demonstriert. Ex-Premier Ferenc Gyurcsany betonte auf der Protestkundgebung der Ungarischen Demokratischen Charta, dass Orban nach der „Alleinherrschaft“ strebe. Die Demonstranten kritisierten zudem, dass es kein Referendum über die Verfassungsreform geben soll.
Im Vorfeld der Abstimmung erhielten die rund acht Millionen Wahlbürger des Landes im Rahmen einer „nationalen Konsultation“ lediglich Fragebögen zu gewünschten neuen Verfassungsinhalten. Die Frage, ob die Bürger denn überhaupt eine neue Verfassung oder ein Referendum zum Grundgesetz wollen, wurde darin aber nicht gestellt.
Nach einer jüngsten Umfrage jedoch stimmte die Mehrheit der Befragten - 60 Prozent - für ein Referendum zur Verfassung. Zugleich gab es Kritik wegen des Ausbleibens einer öffentlichen Debatte über das Grundgesetz. Die verschickten Fragebögen seien dafür kein Ersatz gewesen, ergab die Umfrage.
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