Potenzielle Konkurrenten ausgeschaltet
An revolutionärem Eifer mangelt es weder den libyschen Rebellen noch den jemenitischen Demonstranten noch der Jugend in Tunesien und Ägypten. Was im arabischen Frühling aber fehlt, sind glaubwürdige Führungspersönlichkeiten.
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Zu einer ordentlichen Revolution gehörte in der arabischen Welt bisher immer ein charismatischer Revolutionsführer. Das war in Ägypten so, wo Gamal Abdel Nasser mit der Ideologie des arabischen Nationalismus die Massen euphorisierte, und auch in Libyen, wo der junge Muammar al-Gaddafi einst ein neues Zeitalter der Herrschaft des Volkes versprach. Die neuen arabischen Aufstände und Revolutionen kommen dagegen bisher fast gänzlich ohne Führungspersonal und Visionäre aus.
„Es sind Revolutionen ohne Anführer“, sagt der jordanische Aktivist Mohammed al-Sunaid, „diese Art von Revolution ist erst durch das Internet möglich geworden, weil es den Menschen ermöglicht, sich schnell zusammenzufinden.“
Regimekritiker nicht zugelassen
Dass es den Arabern in dieser Umbruchphase an Visionären und populären Führungspersönlichkeiten fehlt, liegt unter anderem daran, dass die arabischen Despoten in den vergangenen Jahrzehnten konsequent alle potenziellen Konkurrenten beseitigt haben. In Syrien gab es zeitweise mehr Oppositionelle im Gefängnis als in Freiheit. Auf der Suche nach libyschen Regimekritikern wurde man bisher in London eher fündig als in Tripolis.
Der jemenitische Präsident Ali Abdallah Saleh handelte nicht anders als die Monarchen vom Golf und besetzte die meisten wichtigen Posten in Verwaltung und Armee mit Angehörigen seines Clans. Dadurch wollte er verhindern, dass ihm jemand die Macht streitig macht. Seine Rechnung ging allerdings nicht auf. Denn jetzt forderte ihn sein Halbbruder General Ali Mohsen al-Ahmar heraus, der sich auf die Seite der Demonstranten geschlagen hat. Al-Ahmar taugt jedoch nach Einschätzung unabhängiger Beobachter nicht zum Revolutionsführer, weil er zu viele Flecken auf seiner Weste hat.
Einigung auf allgemeine Slogans
Wenn es keine Führungspersönlichkeiten gibt, ist es zunächst leichter, Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen von Unzufriedenen zu vermeiden. Das macht es auch einfacher, viele unzufriedene Menschen auf die Straße zu treiben, die sich dann auf allgemeine Slogans wie „Freiheit und Demokratie“ einigen.
In der postrevolutionären Zeit wird der Führungsmangel in der Politik jedoch zum ernsthaften Problem, weil plötzlich jede der verschiedenen Gruppen, die bei den Protesten noch Einigkeit demonstriert hatten, glaubt: „Wir sind das Volk.“
Kein geordneter Reformprozess
„Dass die tunesische Revolution spontan war - weder wurde sie von einer Führung geplant noch hat sie eine Führung hervorgebracht -, ist ein Segen gewesen, aber gleichzeitig ist es auch ein Fluch“, bilanziert die Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Denn zweieinhalb Monate nach dem schmählichen Ende der Ära von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ist es den tunesischen Revolutionären noch immer nicht gelungen, einen geordneten Reformprozess einzuleiten.
Schwierige Nachfolgefrage
Selbst in Ägypten, wo es um die Meinungsfreiheit in den vergangenen Jahren deutlich besser bestellt war als in Tunesien und Libyen, tut man sich sehr schwer mit der Frage, wer die Nachfolge von Hosni Mubarak antreten könnte. Ein Präsident aus der Führungsriege der Muslimbruderschaft wäre für etliche Christen und liberale Ägypter ein Grund auszuwandern.
Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei hat, weil er lange im Ausland gelebt hatte, nicht genügend Anhänger. Amr Mussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, ist zwar beliebt, aber bisher unterstützen ihn die Vorsitzenden der Oppositionsparteien nicht, was wohl auch mit persönlichen Eitelkeiten zu tun hat.
Skepsis bei Parteigründungen
Die Jugend, die mit ihren Protestaufrufen im Internet und per SMS ganz wesentlich zum Gelingen der arabischen Aufstände beigetragen hat, ist generell misstrauisch. Da diese jungen Araber mit Staatschefs aufgewachsen sind, die ihre Ämter alle auf Lebenszeit behalten wollten, wünschen sich viele von ihnen nun eine parlamentarische Demokratie, in der die Verantwortung auf viele Schultern verteilt wird. Gleichzeitig sind sie aber kaum bereit, selbst Parteien zu gründen und Verantwortung zu übernehmen.
„Die ‚Google-Jugend‘ befindet sich noch in einem Zustand der politischen Unschuld“, glaubt der ägyptische Politologe Abdel Moneim Said. Er selbst hat seine Unschuld bereits verloren. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender des staatlichen ägyptischen Al-Ahram-Medienkonzerns musste er vor einigen Tagen räumen, weil man ihm vorwarf, er sei dem Präsidentensohn Gamal Mubarak nahegestanden.
Zeit der Präsidentensöhne ist vorbei
Die Zeit der arabischen Präsidentensöhne, die sich als Nachfolger ihrer Väter in Position bringen, so wie das Gamal Mubarak versucht hatte, ist wohl vorbei. Der syrische Präsident Baschar al-Assad, der von der Regierungspartei nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 zum Nachfolger gekürt worden war, dürfte der letzte Vertreter dieser Gattung sein. Nur Saif al-Islam, der ambitionierte Sohn von Dauerrevolutionär Muammar al-Gaddafi, glaubt immer noch, er selbst könne Libyen in die Demokratie führen.
Anne-Beatrice Clasmann, dpa
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