Wichtiger Vertrauter Al-Gaddafis
Der libysche Außenminister Mussa Kussa ist aus Libyen geflüchtet. Er sei Mittwochabend in London angekommen, teilte das britische Außenministerium mit. Kussa habe die Regierung in London über seinen Rücktritt informiert, er sei aus Tunesien kommend gelandet.
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Kussa sei „aus freien Stücken“ nach Großbritannien gereist, teilte das Außenministerium mit. „Er hat uns gesagt, dass er von seinem Posten zurücktritt.“ Er wolle nicht mehr länger die Regierung Muammar al-Gaddafis international repräsentieren. Reuters hatte zuvor bereits von einer dem Minister nahestehenden Person erfahren, Kussa wolle in Großbritannien um politisches Asyl bitten. Er sei geflohen, weil er gegen Angriffe auf die Zivilbevölkerung gewesen sei.
Nach BBC-Informationen wurde Kussa nach seiner Ankunft in Großbritannien vom britischen Geheimdienst befragt. Die Behörden erhoffen sich von dem bisherigen Vertrauten Al-Gaddafis Insiderinformationen über die Lage in Libyen. Unklar blieb zunächst, ob Kussa Hilfe bei dem Flug nach London hatte. Er sei auf dem Flughafen Farnborough bei London angekommen, wo keine Linienflugzeuge landen.
Hague: Kussa genießt keine Immunität
Kussa ist nach Angaben der britischen Regierung nicht vor einer strafrechtlichen Verfolgung gefeit. „Mussa Kussa wird keine Immunität vor der britischen oder der internationalen Justiz angeboten“, sagte der britische Außenminister William Hague am Donnerstag in London. Kussa spreche derzeit „freiwillig“ mit britischen Beamten. Kussas Rücktritt zeige, dass die Führung um Al-Gaddafi „gespalten, unter Druck und von innen am Zerbröckeln“ sei, sagte Hague.
Zuvor hatte die libysche Regierung erklärt, Kussa sei auf einer diplomatischen Reise. Die tunesische Nachrichtenagentur TAP meldete, Kussa sei nach einem kurzen, als „privat“ deklarierten Besuch in Tunesien in Richtung London aufgebrochen. Der 59-jährige Kussa galt als wichtiger Vertrauter Al-Gaddafis.
Appell an Anhänger, Gefolgschaft aufzugeben
Kussa soll sich in Tunesien mit französischen Regierungsbeamten getroffen haben. Frankreichs Außenminister Alain Juppe sprach am Mittwoch im französischen Parlament von „ersten Überläufern aus dem Kreis um Al-Gaddafi“. Zudem bekräftigte Juppe, dass Al-Gaddafi beim Neuaufbau Libyens keine Rolle spielen solle. Darüber müssten aber „die Libyer entscheiden, und wir werden ihnen dabei helfen“.
Paris und London hatten kürzlich an die Anhänger Al-Gaddafis appelliert, sich von dem Diktator abzuwenden und beim Aufbau ihres Landes mitzuhelfen.
Zentrale Figur in Al-Gaddafis Machtgefüge
Kussa war eine zentrale Figur im wichtigen Revolutionskomitee seines Landes. Bei allen wichtigen Verhandlungen der vergangenen Jahre saß der frühere Geheimdienstchef mit am Tisch. Dabei ging es auch um die Verbesserung der Beziehungen Libyens mit dem Westen. So kam Kussa eine Schlüsselrolle bei den Gesprächen über die Freilassung mehrerer bulgarischer Krankenschwestern zu. Und auch bei den Verhandlungen über eine Entschädigung der Angehörigen der Lockerbie-Opfer wirkte Kussa entscheidend mit.
Ein hochrangiger US-Vertreter bezeichnete den Rücktritt Kussas als „sehr bedeutend“. Das zeige, dass das Umfeld Al-Gaddafis kein Vertrauen mehr in die Stabilität der Führung in Tripolis habe. Beobachter erwarten, dass sich in den kommenden Tagen noch weitere führende Funktionäre des Regimes absetzen werden.
Opposition: Wutanfall Al-Gaddafis
Oppositionelle berichteten am Donnerstag, Al-Gaddafi habe einen Wutanfall bekommen, nachdem er erfahren habe, dass sich Kussa nach London abgesetzt hat. Er habe dem Geheimdienstchef Abu Zeid Omar Durda den Auftrag erteilt, seinen einstigen Vertrauten in Großbritannien aufzuspüren und zu liquidieren.
Offiziell nimmt das Regime die Flucht Kussas nicht zur Kenntnis. „Er war zuletzt geistig und körperlich sehr erschöpft und ist mit Erlaubnis der Führung zu medizinischen Behandlungen nach Tunesien gefahren“, sagte der libysche Regierungssprecher Ibrahim Mussa auf einer Pressekonferenz in Tripolis. „Er ist zurückgetreten, hat uns nicht verständigt, aber wir nehmen es zur Kenntnis“, sagte Mussa weiter. „Wir haben keine Kenntnis davon, dass er sich in London aufhält.“
Grünes Licht für Al-Gaddafi-Exil?
Neben der Streitfrage über eine mögliche Bewaffnung der Regierungsgegner erörtert unterdessen die internationale Gemeinschaft derzeit auch die Möglichkeit, Al-Gaddafi ein Exilangebot zu unterbreiten. Obwohl offiziell etwa von den USA, Großbritannien und Frankreich ein Prozess gegen den Diktator vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angestrebt wird, gibt es von einigen westlichen Staaten Signale, Al-Gaddafi ziehen zu lassen.

AP/Salvatore Laporta
Der NATO-Befehlshaber für den Libyen-Einsatz, Charles Bouchard
Mit Uganda zeigte sich am Mittwoch zudem ein erstes Land offen, einen etwaigen Asylantrag prüfen zu wollen. Gleichzeitig stellte das Außenministerium des Landes aber klar, dass das nicht mit einer Einladung an Al-Gaddafi missverstanden werden dürfe: „Sollte Al-Gaddafi jedoch Asyl in Uganda beantragen, würden wir seinen Antrag so prüfen, wie wir es für jeden anderen tun, der in Uganda Zuflucht sucht“, betonte der Staatssekretär im ugandischen Außenministerium, Henry Okello Oryem.
Scharfer Protest aus China
Scharfe Kritik am Militäreinsatz in Libyen kam am Mittwoch aus China. Wie Staats- und Parteichef Hu Jintao bei einem Treffen mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy betonte, habe die Geschichte gezeigt, dass der Einsatz militärischer Gewalt nicht die Antwort auf die Probleme sei, sondern diese noch komplizierter mache.
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