Sirte doch noch nicht eingenommen
In Libyen haben Regimetruppen am Montag den Vormarsch der Rebellen nach Westen offenbar gestoppt. Laut Korrespondentenberichten fand um Bin Dschawad, 140 Kilometer östlich von Sirte, ein heftiger Schusswechsel statt. Sirte, die Geburtsstadt von Machthaber Muammar al-Gaddafi, war am Montag weiter unter Kontrolle seiner Einheiten. Zuvor hatten die Aufständischen erklärt, Sirte sei in ihrer Hand.
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Eine Serie starker Explosionen erschütterte Sirte. Flugzeuge überflogen laut Korrespondentenberichten die Küstenstadt, was auf einen Luftangriff der westlichen Militärallianz schließen ließ. Mehr als eine Stunde nach den neun Explosionen konnten Reporter, die sich auf Einladung der libyschen Regierung in Sirte aufhielten, nicht feststellen, ob die Luftangriffe Schäden angerichtet hatten.
Der arabische Nachrichtensender al-Jazeera berichtete, die Rebellen hätten das Wadi al-Ahmar (Rotes Tal) westlich von Nofilia erreicht. Die Talsenke sei von Al-Gaddafi-Truppen vermint worden. Auch würden hinter den dahinterliegenden Anhöhen Stellungen der regimetreuen Streitkräfte vermutet.
Große symbolische Bedeutung
Die Rebellen hatten am Vortag, unterstützt durch Luftangriffe der westlichen Militärallianz, die Ölstadt Ras Lanuf und später Bin Dschawad eingenommen. Doch am Montag nahmen Regierungseinheiten die Aufständischen auf der Straße von Bin Dschawad nach Nofilia in Richtung Sirte unter Feuer.

Graphi-Ogre/ORF.at (Montage)
BBC-Reporter Kevin Connolly berichtete aus Bengasi, dass eine „Eroberung“ Sirtes durch die Rebellen - trotz ihrer vergleichsweise geringen strategischen Bedeutung - von „großer Bedeutung“ sein könnte. Denn wenn Rebellen eine Stadt „eroberten“, bedeute das weniger, dass sie Al-Gaddafis Truppen besiegt hätten, sondern dass diese schlicht demoralisiert und nicht zum Kampf bereit seien. Wenn, dann wäre zu erwarten gewesen, dass die Regimetruppen zumindest Al-Gaddafis Geburtsstadt um jeden Preis verteidigen würden, so Connolly. Dass die Rebellen vorschnell die Einnahme der Stadt verkündeten, unterstreicht seine These.
Kämpfe in Misrata
Bereits am Sonntag war das zwischen der Hauptstadt Tripolis und der Rebellenhochburg Bengasi gelegene Sirte Ziel von Luftangriffen der internationalen Koalition gewesen. Unter deren Schutz rückten die Aufständischen von Osten aus weiter in Richtung Westen vor.

Reuters/Youssef Boudlal
Konvoi der Rebellen auf dem Vormarsch
In der Innenstadt von Misrata im Westen - nicht weit von Tripolis - spielten sich am Sonntagabend laut Rebellenangaben Straßenkämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des Diktators ab. Französische Kampfjets zerstörten am Sonntag dort sowie östlich der Hauptstadt Tripolis Panzer und ein größeres Munitionsdepot - Video dazu in iptv.ORF.at.
NATO übernimmt Kommando
Die NATO übernahm unterdessen das Kommando des gesamten internationalen Militäreinsatzes in Libyen. Das teilte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Sonntagabend in Brüssel nach einem Beschluss der Botschafter der 28 Mitgliedsstaaten mit. Laut Beschluss des UNO-Sicherheitsrates sind zum Schutz der Zivilbevölkerung „alle notwendigen Maßnahmen“ erlaubt. „Unser Ziel ist es, Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete zu schützen, die von einem Angriff durch das Al-Gaddafi-Regime bedroht sind“, heißt es in der Erklärung des Generalsekretärs.
Katar erkennt Rebellen an
Der Golfstaat Katar erkannte indes am Montag als erstes arabisches Land den libyschen Nationalrat, die Gegenregierung der Regimegegner in Bengasi, an. Der Schritt folge der „Überzeugung, dass der Nationalrat und alle seine Vertreter in den verschiedenen Gebieten Libyens de facto zur Vertretung Libyens und seines Volkes geworden sind“, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Doha. Katar hatte sich als erstes arabisches Land dem westlichen Militärbündnis angeschlossen, das mit Luftangriffen auf die Regimetruppen auch die Zivilbevölkerung in Libyen schützen will.
Clinton: Hinweise auf Absetzbewegung
Die USA wollen den Druck auf Al-Gaddafi erhöhen, die Macht abzugeben, indem sie in den kommenden Tagen einen Sondergesandten mit „einer sehr klaren Botschaft“ nach Tripolis schicken, sagte Außenministerin Hillary Clinton am Sonntag dem TV-Sender NBC. Es sei möglich, dass sich Gefolgsleute Al-Gaddafis, aber auch das Militär gegen den autokratischen Herrscher wenden würden, sagte US-Außenministerin Clinton. Es gebe zahlreiche Hinweise, dass Menschen aus seinem Umfeld die Hand nach der internationalen Gemeinschaft ausstreckten.
US-Verteidigungsminister Robert Gates betonte, die Möglichkeit, dass das Regime zusammenbreche, dürfe nicht unterschätzt werden. Nachdem die NATO angekündigt hat, das komplette Kommando über den internationalen Militäreinsatz in Libyen zu übernehmen, wollen die USA ihre militärische Rolle zurückfahren.
Sorge wegen Massenflucht
Gates und Clinton traten am Sonntag in verschiedenen US-Talkshows auf, um den Einsatz vor der kriegsmüden US-Bevölkerung zu rechtfertigen. Am Montagabend will sich Obama öffentlich äußern. Gates begründete den Einsatz im Sender ABC unter anderem damit, dass es eine Massenflucht von Flüchtlingen nach Tunesien und Ägypten hätte geben können, was beide Länder destabilisiert und die Entwicklungen nach den Revolutionen dort gefährdet hätte. Clinton sagte, die Kritiker des Einsatzes müssten sich fragen, wie die Dinge jetzt lägen, wenn die USA nicht eingeschritten wären.
Die USA flogen bisher die meisten Einsätze in Libyen. Nach Pentagon-Angaben wurden allein zwischen Samstagabend und Sonntagnachmittag von 167 Lufteinsätzen 97 von der US-Luftwaffe ausgeführt. Die USA, Frankreich und Großbritannien fliegen seit mehr als einer Woche Luftangriffe gegen Libyen. Vor allem Washington hatte sich für eine schnelle Kommandoübernahme durch die NATO ausgesprochen.
„Keine Abstimmung mit Rebellen“
Angesichts des weiteren Vorrückens der Rebellen in von Al-Gaddafi-Truppen kontrollierte Städte sagte ein ranghoher US-Beamter am Sonntag, es gebe keine Abstimmung der internationalen Truppen mit den Aufständischen. Es gehe nicht um die Rebellen, sondern darum, Zivilisten und von Zivilisten besiedelte Gebiete vor Angriffen zu schützen. Die Luftangriffe auf Tripolis und Sirte ließen Vorwürfe laut werden, das Bündnis gehe damit über die Vorgaben der UNO-Resolution 1.973 hinaus, die die nötigen Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung erlaubt.
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