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Bücher, die nicht gedruckt werden dürfen

Der Unmut auf dem E-Book-Pilotmarkt USA wächst: Die Konsumenten dürfen in einigen Systemen mit den gekauften Werken nämlich ausgerechnet das nicht tun, was spätestens seit Johannes Gutenberg die Grundlage der westlichen Wissensgesellschaft bildet, nämlich Inhalte durch Druck auf Papier zu vervielfältigen.

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Der Grund für dieses Problem ist weniger technischer als juristischer Natur. Denn der E-Book-Kunde kauft keinen Gegenstand, sondern er erwirbt nur eine Lizenz auf die Lektüre. Verlage und Händler wollen nicht, dass unlizenzierte Ausgaben ihrer Produkte im Netz kursieren, versehen sie mit Kopierschutzsystemen (DRM) und formulieren die Lizenzbedingungen entsprechend restriktiv.

Das hat zur Folge, dass ein Kunde mit einem E-Book weniger tun darf als mit einem gedruckten Buch. Letzteres darf er beispielsweise völlig legal an Freunde verleihen und gebraucht weiterverkaufen.

Profis und Endkunden betroffen

Solche Einschränkungen ärgern natürlich Menschen, deren Beruf darin besteht, Zugang zu Informationen zu schaffen. Ende Februar sorgten die beiden US-Bibliothekare Sarah Houghton-Jan und Andrew Woodworth mit ihrer E-Book User’s Bill of Rights im Netz für Aufsehen.

Diese Deklaration der Rechte von Nutzern elektronischer Bücher war eine Reaktion auf die Forderung des Verlags HarperCollins, der über den Dienstleister OverDrive bestimmen wollte, wie häufig einzelne E-Book-Titel aus der Bibliothek ausgeliehen werden dürfen. Im Fall von HarperCollins-Dateien hätte die Bibliothek nach 26 Ausleihvorgängen die Lizenz erneuern müssen.

DRM sorgt für künstliche Verknappung des betroffenen Guts und das damit verbundene Geschäftsmodell stellt nebenbei auch das Prinzip der Leihbibliothek selbst infrage: Wenn ein E-Book-„Kauf“ schon nur eine Art ausgedehnter Leihvorgang ist, wozu braucht man dann noch eine darauf spezialisierte Institution?

Freier Markt der Informationen

Houghton-Jan und Woodworth wollen der Entwicklung gegensteuern, sie bekennen sich zwar zu einem „freien Markt der Informationen und Ideen“, verlangen aber mehr Rechte für die Nutzer elektronischer Bücher, darunter auch die Bibliotheken. So sollte das Recht auf Zugang zu den Daten höher bewertet werden als die technischen Beschränkungen durch DRM.

Außerdem sollte sich der Nutzer das Endgerät, auf dem er die Dateien lesen will, selbst aussuchen dürfen. Es sollte ihm auch erlaubt sein, Notizen zu E-Books hinzuzufügen und Passagen daraus - den Vorgaben des Urheberrechts entsprechend - in legalem Umfang zu zitieren, auszutauschen und auszudrucken. Auch das Archivieren, Ausleihen und Weiterverkaufen sollte die Industrie demnach den mündigen Konsumenten zugestehen.

Vorläufer Musikindustrie

Während der Handel schon aus ureigenstem Verkaufsinteresse der Forderung nach Plattformunabhängigkeit zumindest einen Schritt weit entgegenkommen dürfte - Amazon bietet etwa neben dem eigenen Lesegerät Kindle auch gleichnamige Leseprogramme für Googles Android-Plattform, Windows-PCs und Apples iOS respektive Mac OS X an -, steht vor allem der letzte Punkt quer zum Lizenzmodell der Branche.

Das nämlich ist identisch mit dem mittlerweile weitgehend aufgegebenen DRM-Ansatz der Musikindustrie. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Kombination aus Kopierschutz und restriktiven Lizenzen in der Verlagsbranche besser funktionieren wird als dort.

Markt vor starkem Wachstum

Die Digitalisierung der Endprodukte und des Vertriebs ist auf dem Buchmarkt noch längst nicht so weit fortgeschritten wie auf dem Musikmarkt. Laut einer Anfang März veröffentlichten repräsentativen Studie des deutschen Marktforschungsunternehmens media control mit 10.000 Teilnehmern ab 15 Jahren sind 2010 in der Bundesrepublik rund vier Millionen E-Book-Lizenzen verkauft worden.

Das entspreche zwar nur rund einem Prozent des dortigen Buchmarkts, dafür sei aber die Hälfte aller E-Book-Reader - und damit sind nur die spezialisierten Lesegeräte mit E-Ink-Display gemeint - während des letzten Weihnachtsgeschäfts gekauft worden, was auf ein wachsendes Interesse der Konsumenten an den Geräten hinweise. Dieses dürfte weiter zunehmen, wenn mehr attraktive deutschsprachige Inhalte vorhanden sind.

Laut Auskunft von media control gegenüber ORF.at sind in Deutschland bisher rund 450.000 dieser E-Reader verkauft worden. Zahlen zum österreichischen Markt hat das Unternehmen nicht erhoben. Ausschlaggebend für den Kauf eines E-Readers war demnach meistens - mit 54,3 Prozent - die Möglichkeit, in einem kompakten Gerät eine große Anzahl von Texten unterwegs dabeihaben zu können.

E-Reader und Tablets

Auch das US-Marktforschungsunternehmen Gartner erwartet starke Steigerungen auf dem E-Book-Markt. In einer Studie vom vergangenen Dezember verzeichnete es eine Steigerung der weltweiten Verkäufe von E-Readern mit Netzwerkfunktion von 2009 auf 2010 um 79,8 Prozent auf 6,6 Millionen Geräte. Für 2011 sagte Gartner ein Plus von 68,3 Prozent auf über 11 Millionen voraus.

E-Books können aber nicht nur auf diesen Lesegeräten konsumiert werden. Allein Apple hat nach eigenen Angaben weltweit rund 160 Millionen Mobilgeräte mit iOS laufen, im letzten Quartal konnte der Konzern 16,24 Millionen iPhones und 7,33 Millionen iPads absetzen.

Zumindest die Tablets eignen sich recht gut als Lesegeräte für E-Texte. Welche Auswirkungen der sich abzeichnende Strukturwandel auf unsere textbasierte Wissensgesellschaft hat, ist noch nicht abzusehen. Die Konflikte zwischen Verlegern, Händlern und Konsumenten dürften in naher Zukunft eher zunehmen. Die Branche tut jedenfalls gut daran, die E-Book User’s Bill of Rights ernst zu nehmen, um nicht die teuren Fehler der Musikindustrie zu wiederholen.

Günter Hack, ORF.at

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