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Reaktion auf wütende Proteste

Ein Blick über die Grenzen und die stärker werdende Protestbewegung im eigenen Land lassen nun offenbar auch die syrische Regierung nervös werden. Nach tagelangen Unruhen und blutigen Übergriffen der Sicherheitskräfte kündigte die Regierung am Donnerstag umfassende Reformen an.

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Das Regime von Präsident Baschar al-Assad „prüft Mittel und Wege, um den (seit 1963 geltenden) Ausnahmezustand zu beenden“, erklärte Präsidentensprecherin Buthaina Schaaban auf einer Pressekonferenz in Damaskus. Auch die Einführung eines Gesetzes, das die Gründung politischer Parteien ermöglicht, werde erwogen. Eine Kommission werde die blutigen Vorfälle in der südlichen Provinz Daraa untersuchen und dabei „die Anliegen der Bürger anhören“.

Auch Lohnerhöhungen versprochen

Schaaban versprach außerdem - nicht weiter konkretisierte - Lohnerhöhungen, eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Staatsbediensteten und Maßnahmen im Kampf gegen die Korruption. Die Forderungen der Demonstranten in Daraa bezeichnete sie als „legitim“. Zugleich wiederholte sie aber die schon früher vom Regime vorgebrachte Behauptung, dass „bewaffnete Banden“ die Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften provoziert hätten. Beweise für diese Behauptung liegen allerdings bisher nicht vor.

Mindestens 80 Tote in Daraa

Die Ankündigung erfolgte nur einen Tag nach den blutigen Zusammenstößen in der Provinz Daraa, wo Tausende Menschen für demokratische Reformen demonstriert hatten. Mindestens 80 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Die Armee hatte am Mittwoch die Moschee al-Omari in Daraa, die seit Tagen im Zentrum der syrischen Protestbewegung steht, laut Augenzeugenberichten gestürmt und das Feuer auf Hunderte Jugendliche eröffnet.

Laut Angaben des örtlichen Krankenhauses starben 25 Menschen. Ein Behördensprecher wies das zurück und sprach von maximal zehn Toten. Seit Beginn der Auseinandersetzungen sollen nach Angaben eines Regimegegners über 220 Menschen ums Leben gekommen.

Schüsse auf „bewaffnete Bande“

Die Regierung bezeichnete den Vorfall als Schüsse auf Mitglieder einer „bewaffneten Bande“. Die Opposition sprach von einem „Massaker“. Auf einem Video, das im Internet veröffentlicht wurde, ist zu sehen, wie Demonstranten mit Tränengas attackiert werden. Auch Schüsse aus automatischen Waffen sind zu hören.

20.000 bei Beisetzung der Opfer

Rund 20.000 Menschen sollen am Donnerstag in Daraa an der Beisetzung der Opfer teilgenommen haben. Sie zogen von der Al-Omari-Moschee zum Friedhof und riefen in Sprechchören laut nach Freiheit: „Das Blut der Märtyrer ist nicht vergeblich vergossen worden.“ Die Stadt sei nach wie vor von der Armee umstellt, sagte der Prediger der Moschee. Immer wieder waren Rufe wie „Nein zum Iran, nein zur Hisbollah“ zu hören. Der Iran und die schiitische libanesische Hisbollah zählen noch zu den engsten Verbündeten Al-Assads.

Am Donnerstag gab es eine „undeklarierte Ausgangssperre“, sagte ein Einwohner Daraas gegenüber der Nachrichtenagentur AP: „Wenn Truppen mehr als vier, fünf Menschen gemeinsam sehen, eröffnen sie das Feuer.“

Regime gibt Opposition die Schuld

Die Staatsführung erklärte den Regimegegnern den Kampf und wirft ihnen vor, selbst die blutigen Auseinandersetzungen provoziert zu haben. „Was derzeit im Land geschieht, das ist eine Schlacht gegen eine ausländische Macht, die Millionen Dollar ausgibt mit dem Ziel, die Sicherheit und Stabilität Syriens zu erschüttern“, schrieb die regierungsnahe Zeitung „Al-Watan“. Alle Syrer müssten daher nun zusammenhalten, um das Vaterland zu verteidigen.

Ausweitung der Proteste geplant

Vor über einer Woche hatten auch in Syrien die Proteste für mehr Bürgerrechte und Demokratie begonnen. Gleich am Anfang wurden fünf Demonstranten erschossen, was zu einer raschen Eskalation der Proteste führte. Das Regime reagierte mit einer Welle von Verhaftungen von Bürgerrechtlern, Bloggern und Oppositionellen - darunter auch Jugendliche. Ein Bub soll erst zwölf Jahre alt gewesen sein.

Der Journalist und politische Aktivist Masen Darwisch etwa, Gründer des 2009 geschlossenen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit, ist nach einer Vorladung bei den Sicherheitskräften verschwunden. Er hatte offen über die Vorfälle in Daraa gesprochen.

„Diese Verhaftungen werden die Spannungen noch verstärken“, prognostiziert der Sprecher der syrischen Human Rights League, Abdel Karim Rihawi. Offenbar sind die Proteste nicht auf Daraa beschränkt. Laut Oppositionellen gab es am Mittwoch auch Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei in Aleppo. Auf der Facebook-Seite „The Syrian Revolution 2011“ wurde für Freitag zu einem Protesttag für ganz Syrien aufgerufen.

Internationale Kritik

Die EU kritisierte die scharfe Reaktion der syrischen Führung auf die Protestwelle scharf. Das Vorgehen sei „inakzeptabel“. Auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderte Al-Assad auf, sich auf Reformen einzulassen. Er habe den Staatschef bereits vor einiger Zeit gewarnt, dass auch in Syrien ein Konflikt mit Regierungsgegnern drohe. Er habe Al-Assad geraten, demokratische Reformen anzugehen und aus der Situation in anderen arabischen Staaten zu lernen.

Links:

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- Syrien (CIA-Factbook)
- EU