Al-Gaddafi beklagt „Kolonialismus“
Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi haben Samstagfrüh offenbar die Aufständischenhochburg Bengasi angegriffen. Damit hätte Al-Gaddafi gegen die am Donnerstag beschlossene UNO-Resolution verstoßen, die unter anderem ein Flugverbot vorsieht.
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Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu dem vom Westen angedrohten Militäreinsatz kommt. Bengasi wurde von starken Explosionen erschüttert, während ein Kampfflugzeug über die Stadt flog. Einwohner sagten, sie würden von Al-Gaddafi-Leuten angegriffen. Nach jüngsten Angaben des TV-Senders al-Jazeera drangen die Soldaten mittlerweile in westliche Vororte von Bengasi ein.
Die Kämpfe zwischen den Al-Gaddafi-Truppen und den Aufständischen gingen trotz der von der libyschen Regierung nach der UNO-Resolution verkündeten Waffenruhe weiter. „Al-Gaddafis Streitkräfte rücken vor. Wir hören, dass sie sich 20 Kilometer vor Bengasi befinden“, hatte ein Einwohner der Stadt erklärt. Zudem habe er ein Flugzeug gesehen.
Unklare Lage
Gesicherte Berichte über die Lage in Libyen gibt es kaum. Die Angaben der Rebellen und des Regimes widersprechen einander häufig und können kaum überprüft werden.
Rebellen-Kampfjet abgestürzt
Ein bei Bengasi abgestürzter Kampfjet hat offenbar nicht zum Arsenal Al-Gaddafis gehört. Es habe sich um eine Maschine der Aufständischen gehandelt, sagte ein Rebellenvertreter am Samstag der Nachrichtenagentur AFP in Kairo per Telefon. „Wir haben wenige Flugzeuge, und sie sind alt.“ Es habe sich um einen Mirage-Jet aus französischer Produktion gehandelt. Der Pilot sei getötet worden.
Das Flugzeug war in der Früh über Bengasi aufgetaucht und fing dann plötzlich hinten rechts Feuer, wie AFP-Reporter berichteten. Es stürzte daraufhin in bewohntem Gebiet im Süden der Stadt ab. Beim Aufschlag gab es eine Explosion, worauf scharzer Rauch in den Himmel stieg. Weil die Aufständischen auf dem Boden zunächst geglaubt hatten, es habe sich um eine Maschine der Al-Gaddafi-Truppen gehandelt, waren in der Stadt Freudenschüsse abgegeben worden. Im Laufe des Libyen-Konflikts waren Teile der Armee zu den Aufständischen übergelaufen, womit diese auch einige wenige Flugzeuge in die Hand bekamen.

AFP/Patrick Baz
Der Kampfjet kurz vor dem Aufprall
Ein Krankenhausmitarbeiter und Unterstützer der Rebellen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Kampfjets würden die Straße zum Flughafen beschießen. Zwei bewaffnete Söldner seien in einem Auto voll Handgranaten durch die Stadt gefahren und hätten das Feuer auf Einwohner eröffnet. Laut einem Rebellen wurden die Männer getötet. Die Aufständischen und Vizeaußenminister Chaled Kaaim hatten einander schon am Freitag, unmittelbar nach Ausrufung der Waffenruhe durch die libysche Regierung, die Missachtung derselben vorgeworfen.
Attacken auch im Westen
Al-Gaddafi-treue Truppen griffen aber auch im Westen des Landes Rebellen an. So sagte ein Bewohner der Stadt Misrata, Regierungstruppen hätten Artilleriegeschosse auf die Stadt abgefeuert. Außerdem sie die Wasserversorgung weiter unterbrochen. Ein Vertreter der Rebellen sagte gegenüber dem TV-Sender al-Arabija, Regierungstruppen würden die im Westen des Landes gelegene Stadt Sintan angreifen.
Menschliche Schutzschilde?
Das libysche Staatsfernsehen berichtet, dass sich Zivilisten bei möglichen Zielen eines westlichen Luftschlags versammeln. Sie sollen offenbar als menschliche Schutzschilde dienen.
Al-Gaddafi kritisierte die UNO-Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen erneut scharf. „Das ist unverhohlener Kolonialismus. Es gibt keine Rechtfertigung. Es wird ernsthafte Folgen für den Mittelmeerraum und Europa haben“, sagte Al-Gaddafi am Samstag gegenüber al-Jazeera. Dem TV-Sender zufolge äußerte sich Al-Gaddafi, nachdem Libyens Regierung am Freitag scheinbar eingelenkt und eine einseitige Feuerpause verkündet hatte.
Fieberhafte diplomatische Verhandlungen
Mit einer internationalen Militäraktion in Libyen ist möglicherweise schon am Wochenende zu rechnen. Er gehe davon aus, dass eine Intervention „binnen Stunden“ nach dem Libyen-Gipfel beginnen könne, der am Samstag in Paris stattfinde, sagte Frankreichs UNO-Botschafter Gerard Araud. Washington, Paris und London verstärkten ihren Druck auf die libysche Führung, die wiederum den Rebellen die Missachtung der Waffenruhe vorwarf.
Der Gipfel in Paris sei „ein guter Zeitpunkt, um ein letztes Signal zu senden“, sagte Araud dem britischen Fernsehsender BBC. „Die USA, Großbritannien und Frankreich haben ein Ultimatum für die Waffenruhe gestellt ... wir haben die Bedingungen festgelegt.“ Er gehe davon aus, „dass nach dem Gipfel, ich denke in den darauffolgenden Stunden“, die militärische Intervention beginnen werde.

Graphi-Ogre/ORF.at (Montage)
„Das ist nicht verhandelbar“
In einer gemeinsamen Erklärung hatten Frankreich, die USA, Großbritannien und mehrere arabische Länder Al-Gaddafi am Freitagabend zu einem „sofortigen Ende“ der Angriffe aufgefordert. Der Vormarsch auf Bengasi müsse gestoppt, die Truppen aus Adschdabija, Misrata und Sawija abgezogen werden. „Das ist nicht verhandelbar“, hieß es in der vom französischen Präsidentenpalast veröffentlichten Erklärung. Wenn Al-Gaddafi sich nicht der UNO-Resolution 1973 beuge, werde diese „mit militärischen Mitteln durchgesetzt“.
US-Präsident Barack Obama drohte Al-Gaddafi mit dem Einsatz militärischer Gewalt, sollten seine Truppen nicht umgehend die Kampfhandlungen einstellen. Falls Al-Gaddafi der Resolution nicht nachkomme, werde die internationale Gemeinschaft die „Konsequenzen“ ziehen. Die USA seien bereit, als Teil einer internationalen Koalition in Libyen einzugreifen.
Die US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, warf Al-Gaddafi im Nachrichtensender CNN die Verletzung der Waffenruhe vor. Die neue Libyen-Resolution des UNO-Sicherheitsrats verlange eine „sofortige Waffenruhe“ und ein Ende aller Angriffe und verbiete zudem Flüge über Libyen. Laut Rice könnten die Vereinigten Arabischen Emirate an einer Intervention teilnehmen. Washington rechne mit der Teilnahme „einer gewissen Zahl wichtiger arabischer Partner“.
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