Wichtige Weichenstellung
Gut einen Monat nach dem erzwungenen Rücktritt von Ägyptens langjährigem Staatschef Hosni Mubarak sind am Samstag etwa 45 Millionen Bürger aufgerufen, in einem Referendum über Verfassungsänderungen zu entscheiden. Diese sollen demokratische Wahlen eines Staatsoberhaupts und eines Parlaments ermöglichen und die Voraussetzungen zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung schaffen.
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Seit dem Sturz von Präsident Mubarak am 11. Februar übt ein Militärrat die Macht in Ägypten aus. Dieser versprach, die Macht im Anschluss an Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abzugeben, die nach dem Referendum stattfinden sollen.
Ja soll Weg für Wahlen frei machen
Stimmen die Wahlberechtigen mit Ja für die elf Verfassungszusätze, dürfte ein Präsident nur noch für maximal zwei Amtszeiten zu jeweils vier Jahren im Amt bleiben. Innerhalb von 60 Tagen nach Amtsantritt müsste ein Vizepräsident ernannt werden. Wahlen müssten von den Justizbehörden überwacht werden. Zudem ist vorgesehen, dass jede Verhängung eines Ausnahmezustands die Zustimmung des Parlaments braucht. Der Präsident dürfte keine Militärgerichte mehr einzusetzen.
Nach den Vorstellungen des regierenden Militärrates und der von ihm eingesetzten Experten sollen nach dem positiven Referendum innerhalb von drei Monaten ein neues Parlament und dann ein neuer Präsident gewählt werden. Das neue Staatsoberhaupt soll in der Folge eine hundertköpfige Kommission bestimmen, die eine völlig neue Verfassung ausarbeitet. Über deren Annahme soll dann wiederum das Volk in einem Referendum voraussichtlich im Oktober entscheiden. So würden die Ägypter in diesem Jahr insgesamt viermal an die Urnen gerufen.
Politisch umstritten
Die als Oppositionskraft mit dem besten Organisationsgrad geltende Muslimbruderschaft und andere Gruppierungen riefen dazu auf, für die Verfassungsänderungen zu stimmen. Dagegen wandte sich ein Bündnis von Parteien, Bewegungen und Persönlichkeiten, die vor einem überstürzten Volksentscheid über lediglich geringfügige Verfassungsänderungen warnen. Die geplanten Änderungen würden ihrer Meinung nach an dem Präsidialsystem der Ära Mubarak im Grunde nichts ändern.
Führende Oppositionelle dagegen
Die Beibehaltung der alten Verfassung, selbst mit Änderungen, würde nach Ansicht von Amr Mussa, Chef der Arabischen Liga, dem künftigen Staatsoberhaupt ausgedehnte Machtbefugnisse geben. „Dagegen aber wehrt sich das Volk in seinem Bestreben nach Demokratie und Freiheit“, erklärte Mussa hinzu, der den Posten des Präsidenten anstrebt.
Der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBaradei, sieht im „Zusammenflicken“ der Verfassung eine „Beleidigung der ägyptischen Revolution“. Der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2005 spricht sich dafür aus, dass eine Verfassungsgebende Versammlung eine vollständig neue Verfassung ausarbeitet.
Demonstration am Freitag
Ebenfalls gegen die Verfassungsänderung wenden sich liberale und linke Gruppierungen sowie jene Jugendbewegung, die mit ihren Internetkampagnen die zum Umsturz führenden Proteste initiiert hatte.
Noch am Tag vor der Volksabstimmung protestierten Tausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegen die geplanten Verfassungsänderungen. Die Teilnehmer der Kundgebung warben am Freitag auf Spruchbändern und in Sprechchören dafür, bei dem Verfassungsreferendum am Samstag mit Nein zu stimmen. „Nieder mit der Verfassung“, war auf einem Plakat zu lesen. „Wir setzen den Kampf fort“, stand auf einem anderen. Die Veranstaltung begann friedlich, die Polizei griff nicht ein.
Was passiert bei einem Nein?
Falls die Verfassungsänderungen abgelehnt werden, ist unklar, was geschehen soll. Wahlen würden wohl bis mindestens bis Dezember verschoben, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. Das Militär könnte bis dahin an der Macht bleiben.
Der Ablehnungsfront schwebt vor, dass in diesem Fall eine neue Übergangsregierung auf der Grundlage einer knappen „Verfassungsdeklaration“ provisorisch weitermacht. Für die später stattfindenden Wahlen hätten die weniger organisierten Gruppierungen mehr Zeit, um in die Startlöcher zu kommen. Doch Skeptiker befürchten, die Generäle könnten ein Nein beim Referendum auch als Vorwand für einen Staatsstreich nutzen.
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