Temperatur in Reaktor 2 stabil?
Auch wenn der Betreiber des japanischen Unglücks-AKW Fukushima I am Mittwoch erste Anzeichen für eine Entspannung sieht, erscheint die Lage weiter außer Kontrolle. Brände in den Reaktoren 3 und 4 in der Nacht auf Mittwoch und Berichte über eine kritische Situation in Reaktorblock 5 deuten auf eine weitere Verschlechterung der Lage.
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Eine Stabilisierung gibt es laut dem Betreiber TEPCO allerdings für Reaktor 2. Dort sei der Druck zurückgegangen, und die Temperaturen hätten sich stabilisiert. Gleichzeitig musste der Energiekonzern eingestehen, dass die Lage in Reaktor 4 „nicht so gut“ sei. Zudem könne für den schwer beschädigten Reaktor 3 keine Entwarnung gegeben werden. Reaktor 3 hat laut TEPCO derzeit Priorität.
Sinkender Wasserpegel
Nach Ansicht der österreichischen Strahlenschutzbehörde ist für Reaktor 3 von einer „dramatischen Verschlechterung der Situation auszugehen“. Neben der Bestätigung der beiden Brände sprach die Behörde zudem von einer kritischen Situation in Reaktor 5. Der Wasserpegel sei dort innerhalb von fünf Stunden um 40 Zentimeter gefallen. Das Rettungsteam will offenbar einen Dieselgenerator des sechsten Blocks für die Versorgung von Reaktor 5 einsetzen.

AP/NHK TV
Ein Detailbild zeigt das Ausmaß der Zerstörung an Reaktor 4.
Wie Regierungssprecher Yukio Edano bei einer Pressekonferenz mitteilte, wurde in Reaktor 3 womöglich auch die wichtige innere Reaktorhülle beschädigt. Das Fernsehen zeigte Bilder, wie unaufhörlich dichte Rauchschwaden von der Anlage aufstiegen. Helikopter konnten wegen der Gefahr nicht zum Löschen aufsteigen.
Stufe sechs auf INES-Skala
Die Nuklearkatastrophe wird angesichts der jüngsten Entwicklungen bereits auf der zweithöchsten Störfallstufe eingestuft. Neben dem US-Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit (ISIS) ordnete auch die französische Behörde ASN die Katastrophe auf Stufe sechs von sieben ein.
Laut der Nachrichtenagentur Kyodo könnte der Rauch an Reaktor 3 direkt vom Behälter mit den Brennstäben kommen. Bereits am Sonntag fiel in dem Reaktor die Kühlung aus. Am Montag explodierte frei gewordener Wasserstoff. Das äußere Gebäude wurde zerstört, es blieb nur ein Stahlgerippe übrig. Mit Meerwasser wurde der Reaktor seitdem notdürftig gekühlt, um eine Kernschmelze zu verhindern. Mit Borsäure, auch via Helikopter aus der Luft ausgesprüht, will man weitere Kettenreaktionen verhindern - doch Techniker sehen dieses Unternehmen skeptisch.
Regierung spricht von „Gesundheitsgefahr“
Die Regierung versuchte auch am Mittwoch neuerlich zu beruhigen und betonte, dass außerhalb eines Umkreises von 20 Kilometern um Fukushima keine unmittelbare Gefahr durch radioaktive Strahlung bestehe. Erstmals sprach Regierungschef Naoto Kan allerdings von einer „Gesundheitsgefährdung“ in der direkten Umgebung der Atomanlage.
Hilfe von USA und Frankreich?
Die japanische Regierung verhandelt nach den Worten Edanos mit den US-Streitkräften darüber, dass US-Experten bei der Kühlung der Reaktoren helfen. Der weltgrößte Betreiber von Atomkraftwerken, der französische Konzern EDF, bot zudem die Entsendung von Spezialisten und Material an. Man wolle „nicht nur Zuschauer sein, sondern auch handeln“, sagte der Chef des französischen Stromkonzerns dem Sender RTL. Das Unternehmen wolle unter anderem Roboter schicken. Weitere Details, etwa zum Einsatzort der Spezialisten, nannte er zunächst nicht. EDF stehe allerdings bereits jetzt in täglichem Kontakt mit TEPCO.

AP/NHK TV
Militärhubschrauber mit Wasserbehälter
Im Einsatz gegen die Atomkatastrophe waren am Mittwoch auch japanische Militärhubschrauber. Fernsehbilder zeigten Helikopter auf dem Weg zu dem AKW, über dem er Wasser zur Kühlung eines Reaktors abwerfen sollte. Der Löscheinsatz über Reaktor 3 musste nach Angaben des TV-Senders NHK allerdings wieder abgebrochen werden. Als möglicher Grund wurde von der Nachrichtenagentur Kyodo die hohe Radioaktivität genannt.
Alte Brennelemente in Reaktor 4
Die Situation in Reaktor 4 ist vor allem deshalb so gefährlich, weil die alten Brennelemente nicht in doppelten Sicherheitsbehältern und hinter dicken Stahlwänden gelagert werden. Durch den Ausfall der Kühlung fing laut Behörden das Kühlwasser zu kochen und in weiterer Folge zu verdampfen an. Durch den Dampf dürfte auch eine größere Menge an Radioaktivität frei geworden sein.

AP (Montage)
Die sechs Reaktoren von Fukushima I
Mittlerweile sind vier der sechs Reaktoren nach mehreren Explosionen schwer beschädigt. Schäden an einem der Reaktorkerne schloss auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) Dienstagabend nicht mehr aus.
Personal hoher Strahlung ausgesetzt
Durch die Strahlenbelastung wurde die Situation auch für die im AKW verbliebenen Mitarbeiter unzumutbar. Zuletzt befanden sich noch 50 der 800 Mitarbeiter auf dem Gelände und versuchten fieberhaft, die Kühlung in den insgesamt sechs Reaktoren aufrechtzuerhalten. Laut TEPCO ist die Belastung so hoch geworden, dass das Personal nicht mehr in den Kontrollräumen bleiben kann.
Eine Evakuierungsanordung für Fukushima I wurde allerdings wieder aufgehoben. Die rund 50 Arbeiter hätten nach ungefähr einer Dreiviertelstunde Unterbrechung ihre Arbeit zur Kühlung der Reaktoren wieder aufnehmen können, sagte ein TEPCO-Sprecher. Die Techniker seien zuvor in Sicherheit gebracht worden, nachdem ein deutlicher Anstieg der Strahlung gemessen worden war. Allerdings hätten sich die Informationen laut TEPCO als falsch erwiesen.

Reuters/Michael Caronna
Laut Kaiser Akihito war die Atomkatastrophe nicht vorhersehbar.
Kaiser Akihito „zutiefst besorgt“
Erstmals meldete sich am Mittwoch Kaiser Akihito zu Wort. Die Probleme in den Atomreaktoren seien nicht vorhersehbar gewesen, so Akihito. Er sei „zutiefst besorgt“ angesichts der Ereignisse nach dem schweren Erdbeben, das von „noch nie gesehenem Ausmaß“ gewesen sei. Der 77-Jährige rief seine Landsleute zudem zum Durchhalten auf: „Ich hoffe aufrichtig, dass die Menschen diese schreckliche Zeit überstehen werden, indem sie einander helfen.“
Haben Betreiber Mitschuld an Unglück?
Zuvor wurde Kritik an TEPCO und den Behörden bezüglich der Erdbebensicherheit von TEPCOS AKWs laut. Wäre Fukushima I den Vorschriften der Regierung entsprechend baulich verbessert worden, hätte es das verheerende Beben eigentlich unbeschadet überstehen sollen. Das ging aus einem Vortrag des Seismologen Götz Bokelmann von der Universität Wien hervor.
Das Anfang der 1970er Jahre entstandene Kernkraftwerk sei auf Bodenbeschleunigungen von maximal 18 Prozent der Erdbeschleunigung (g) ausgelegt gewesen, 2008 habe die japanische Regierung diese Belastungsgrenze aber auf 60 Prozent g hinaufgesetzt. Das sei aber offensichtlich in Fukushima nicht umgesetzt worden - mehr dazu in science.ORF.at.
Auch die IAEA soll Japan bereits vor mehr als zwei Jahren auf mögliche Probleme bei der Erdbebensicherheit seiner Atomkraftwerke hingewiesen haben. Die Anlagen seien starken Beben nicht gewachsen, wird ein IAEA-Experte in einer diplomatischen US-Depesche vom Dezember 2008 zitiert. Das berichtete die britische Zeitung „Daily Telegraph“ unter Berufung auf die Enthüllungsplattform WikiLeaks.
TV-Hinweis
Das „Weltjournal“ widmet sich am Mittwoch um 22.30 Uhr in ORF2 dem Beben in Japan und den Folgen für Europas Atompolitik - mehr dazu in tv.ORF.at.
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